Branchen | Russland | Chemieindustrie
Chemieindustrie steht unter Volldampf
Die Chemiebranche bleibt ein Zugpferd der russischen Industrie. Ihr Produktionszuwachs liegt über dem Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes. Große Investitionen laufen weiter.
22.11.2021
Von Gerit Schulze | Moskau
Russland hält an dem Ziel fest, das Land zu einer globalen Macht für petrochemische Produkte ausbauen. Vizeenergieminister Pawel Sorokin sagte im Frühjahr 2021, dass der Weltmarktanteil bis 2030 etwa 7 bis 8 Prozent erreichen soll. Dafür müssten Investitionen von 30 Milliarden bis 60 Milliarden Euro in die Petrochemie fließen.
Elefantenhochzeit in der Petrochemie
Um solche gewaltigen Vorhaben zu stemmen, wollen die beiden größten Petrochemiekonzerne Russlands, Sibur und TAIF, fusionieren. Die Antimonopolbehörde FAS gab im Sommer 2021 hierzu grünes Licht, jedoch mit der Auflage, dass die Produkte des Konzerns zuerst den Bedarf des Inlandsmarktes decken.
Der neue Chemiegigant wird weltweit zu den fünf größten Herstellern für Polyolefine und synthetischen Kautschuk gehören. Auf TAIF entfielen bislang zwei Drittel der russischen Kautschukproduktion und über ein Viertel der Kunststoffherstellung. Sibur ist vor allem in der Weiterverarbeitung von Erdgas tätig und produziert Olefine, Polyolefine, Kunststoffe und Elastomere.
Milliardenschwere Investitionen stehen an
Der neue Großkonzern plant gewaltige Investitionsvorhaben. Allein TAIF will 11,5 Milliarden Euro für neue Projekte ausgeben, darunter die Verarbeitung von Ethen und Propen. Auch die Energieversorgung der Werke soll modernisiert werden. Bei künftigen Projekten will Sibur-TAIF einen höheren Automatisierungsgrad erreichen, um die Zahl der Beschäftigten in der Produktion zu reduzieren.
Weitere große Vorhaben der russischen Chemiebranche sind das Gasverarbeitungswerk der RusKhimAlyans in Ust-Luga an der Ostsee sowie das Petrochemiewerk von Rosneft und der Amur-Gaschemiekomplex von Sibur, die jeweils rund 7 Milliarden Euro kosten, im Osten des Landes.
Große Pläne zur Produktion von Helium
Seit Juni 2021 fährt Gazprom das Amur Gas Processing Plant (AGPP) an der Grenze zu China schrittweise hoch. Ab 2025 können dort bis zu 42 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr verarbeitet werden. Als Nebenprodukt wird Helium mit einer Jahreskapazität von 60 Millionen Kubikmeter gewonnen. Damit wäre es eine der größten Heliumanlagen der Welt. Linde lieferte die Technologie für die kryogene Gastrennung. Moskau verspricht sich vom Ausbau der Heliumproduktion gute Geschäftschancen, denn das Edelgas spielt in der Weltwirtschaft eine wachsende Rolle, unter anderem als Kühlmittel. Bislang dominieren die USA und Katar den Markt.
Neben Gazprom investiert die Irkutskaja neftjanaja kompanija (INK) in den Ausbau der Heliumkapazitäten im Gebiet Irkutsk. Außerdem kündigten Sachatransneftegas, Rosneft, RNG und Alrosa eine gemeinsame Produktionsstätte in Ostsibirien an.
Agrarchemikalien weltweit gefragt
Der Absatz von Agrarchemikalien prosperiert weiter, die Branche profitiert aktuell von sehr hohen Marktpreisen. Nach Prognosen des Verbands der Mineraldüngerhersteller RAPU wird sich der Inlandsverbrauch in den kommenden fünf Jahren verdoppeln. Auch die Nachfrage auf den Weltmärkten bleibt hoch. Bereits heute werden zwei Drittel der russischen Düngemittelproduktion für den Export hergestellt.
Die großen russischen Mineraldüngerproduzenten wollen laut Tageszeitung Kommersant ihre ursprünglichen Investitionsprogramme um die Hälfte ausweiten. Für die nächsten fünf Jahre sind Projekte im Umfang von 18,5 Milliarden Euro geplant.
Eurochem plant eine neue Produktionsanlage für Kalidünger im Gebiet Saratow, wo geologische Erkundungen einer Lagerstätte zu überraschend guten Ergebnissen führten. PhosAgro will bis 2025 die eigene Rohstoffversorgung verbessern, eine neue Produktionsstätte für Ammoniak und Carbamid bauen sowie die Kapazitäten für Schwefelsäure und Ammoniumsulfat erweitern.
Die russischen Hersteller von Agrarchemikalien wie Ammoniak oder Stickstoffdünger müssen verstärkt auf ihre CO2-Bilanz achten. Die geplante Grenzausgleichsabgabe (Carbon Border Adjustment Mechanism) der Europäischen Union könnte sie laut einem Bericht der Wirtschaftszeitung RBK Daily jährlich mit 400 Millionen Euro belasten, wenn sie die Produktion nicht klimaneutraler gestalten.
Kontrollsystem für Chemikalien kommt später
Zum 1. Juli 2021 sollte ursprünglich das neue technische Reglement der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) „Über die Sicherheit von chemischen Produkten“ in Kraft treten. Dieses Kontrollsystem für Chemikalien ähnelt der europäischen REACH-Verordnung. Da jedoch die entsprechenden Durchführungsbestimmungen noch nicht verabschiedet wurden, wird das Reglement nach Auskunft des russischen Industrieministeriums erst am 30. November 2022 eingeführt.
Ausgewählte Investitionsprojekte in Russlands Chemieindustrie
Projekt / Region | Investition (Mio. Euro) | Geplante Fertigstellung | Projektbetreiber |
---|---|---|---|
Produktionsanlage für 1,4 Mio. t Methanol pro Jahr / Hafen Indiga, Autonomer Kreis der Nenzen | 2.300 | 2025 | |
Methanolwerk Sewero-Zapad-3, Pipeline und Hafenterminal / Gebiet Leningrad | 1.500 bis 1.600 | 2025 | |
Produktionsstätte für 500.000 t Polypropylen pro Jahr / Nischni Nowgorod | 700 | 2025 | |
Produktionsstätte für Chlor- und Ätznatron (Laugenstein) / Sterlitamak, Baschkortostan | 300 | 2026 | |
Werk zur Herstellung von Polyesterfasern / Schachty, Gebiet Rostow am Don | 35 | 2022 |