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Fahrradproduktion in Portugal boomt

Portugal führt seit 2019 die Fahrradproduktion in der Europäischen Union an. Die Hersteller wollen als schnelle und verlässliche Bezugsquelle in der Lieferkettendiskussion punkten.

Von Oliver Idem | Madrid

Portugal hat sich zu einem innovativen Produktionsstandort für Fahrräder entwickelt. Águeda bildet das regionale Zentrum für die Montage, für Zulieferer sowie Test- und Entwicklungszentren. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lieferkettendebatte wollen die Hersteller mit der Nähe zu den Abnehmerländern und kurzen Lieferzeiten punkten. 

Seit 2019 fertigt Portugal mehr Fahrräder als jedes andere Land in der Europäischen Union (EU). Von den insgesamt 12,2 Millionen in der EU hergestellten Fahrräder stammten 2020 circa 2,6 Millionen aus Portugal. Damit lag das Land vor Italien (2,1 Millionen), Deutschland (1,5 Millionen) und Polen (0,9 Millionen).

Der Produktionswert bei Fahrrädern ohne Elektroantrieb erreichte laut Eurostat 336 Millionen Euro. Das entsprach einer Steigerung um knapp 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Aussichten für weiteres Wachstum sind günstig. Das Marktforschungsunternehmen Mordor Intelligence bezifferte den Weltmarkt für Fahrräder 2020 auf 60,7 Milliarden US-Dollar und erwartet bis 2026 ein jahresdurchschnittliches Wachstum von 4,2 Prozent.

Für Portugal ist die Auslandsnachfrage der Wachstumstreiber. Im Inland ist Radfahren bislang weniger im Alltag verbreitet als in anderen Ländern. Die größten Städte Porto und Lissabon bauen jedoch Netze von Radwegen auf beziehungsweise aus. Im Sommer 2021 stockte die Regierung ein Förderprogramm mit Kaufzuschüssen für konventionelle und Elektrofahrräder auf. Mindestens 2.000 Euro in ein E-Bike zu investieren, gibt die Kaufkraft vieler Portugiesen nicht her.

Insbesondere im Elektrosegment erwarten Branchenexperten in den kommenden Jahren weitere Zuwächse. Portugiesische Hersteller wollen von diesem Trend profitieren und produzieren oder montieren verstärkt elektrische Fahrradmodelle.

Allgemein erscheinen die Rahmenbedingungen für das Fahrrad als individuelles, umweltfreundliches und gesundheitsförderndes Verkehrsmittel günstig. In der Coronakrise wurde Radfahren zu einer Alternative für Menschen, denen die Infektionsrisiken in Bus und Bahn zu hoch waren. Im Zusammenhang mit Ökotourismus steckt ebenfalls Potenzial in der Fahrradnutzung.

Exporte legen seit 2014 jedes Jahr zu

Seit 2014 steigerte Portugal jedes Jahr den Ausfuhrwert seiner Fahrräder. Laut den neuesten Zahlen für 2019 erreichte der Export 242 Millionen Euro und nahm um 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Besonders interessante Zielländer sind die Niederlande und Deutschland mit proportional besonders hohen Anteilen von E-Bikes am Fahrradmarkt. 

Portugal profitiert auch von Antidumpingzöllen der EU, wodurch Importe asiatischer Billigfahrräder erschwert werden. Auch dieser Faktor trug zur positiven Entwicklung der Fahrradbranche in Portugal bei.

Die Fahrradimporte wiesen seit 2012 keine einheitliche Tendenz und wesentlich weniger Dynamik auf als die Exporte. Der Einfuhrwert schwankte zwischen 21,1 Millionen und 27,4 Millionen Euro. Zuletzt wurden 2019 knapp 24 Millionen Euro registriert.

Fahrradbranche lebt nach langem Niedergang wieder auf

Die Fahrradbranche erlebt eine Renaissance, nachdem sie seit den 1980er Jahren eine anhaltende Schwächephase durchgemacht hatte. Trotz der Zollschranken gegen Billigimporte und mehrerer kofinanzierter Förderprogramme führen die Unternehmen jedoch kein bequemes Leben. Die intensive Konkurrenz auf dem Fahrradmarkt sorgt für Kostendruck und die Notwendigkeit einer stark auf Technik gestützten Produktion. Insbesondere Kunden im Elektrosegment sind zudem meistens gut informiert und anspruchsvoll. 

Die Antwort der portugiesischen Branchenunternehmen sind neue Produktionsmethoden mit hohem Automatisierungsgrad sowie durch Test- und Entwicklungszentren erleichterte Innovationen. Das Cluster Águeda ist auch als "Tal der Fahrräder" bekannt und bündelt viele Aktivitäten im Sektor. Insgesamt sind circa 20 Montageunternehmen sowie rund 50 Hersteller von Teilen und Zubehör wie Lenkern, Bremsbelägen und Helmen in Portugal aktiv. Einen guten Überblick bietet die Mitgliederliste des Fachverbandes Abimota. Die Website der im Juli 2021 durchgeführten Portugal Bike Value Digital Show enthält ebenfalls Informationen zu Unternehmen und Rahmenbedingungen.

Der Branchenriese RTE beliefert die französische Sportartikelkette Decathlon. Das Unternehmen produziert annähernd die Hälfte der Fahrräder in Portugal. In Vila Nova de Gaia betreibt RTE das größte Montagewerk Europas für Fahrräder. Die Exportquote liegt bei 90 bis 95 Prozent. Für 2022 ist die Eröffnung einer Produktionsstätte in Polen geplant.

Deutsche Unternehmen spielen ebenfalls eine Rolle im portugiesischen Fahrradsektor. Bosch und die Universität Minho entwickeln Sicherheits- und Entertainmentanwendungen für Fahrräder und schöpfen dabei aus der Erfahrung mit Lösungen für die Automobilindustrie. Carbon Team produziert seit Mitte 2021 Karbonfaserrahmen für Fahrräder in Campia. Zunächst sind 25.000 Stück pro Jahr geplant, die Menge kann jedoch verdoppelt werden. An dem Projekt sind Partner aus Portugal, Deutschland (Bike Ahead Composites) und Taiwan beteiligt.

Standort will mit Nähe und Tempo punkten 

Die portugiesischen Fahrradhersteller sehen laut Medienberichten Chancen, von den weltweiten Lieferkettenproblemen zu profitieren. Zwar waren auch sie 2020 von den Folgen des Lockdowns und Versorgungsengpässen betroffen. Dennoch gelang es ihnen, den Ausstoß gegenüber dem Vorjahr zweistellig zu erhöhen.

Als Vorteil gilt die räumliche Nähe zu wichtigen Absatzmärkten. Diese ermöglicht kurze Lieferzeiten und ein flexibles Reagieren auf Kundenwünsche. Zudem existieren vielfältige Transportmöglichkeiten. Gegenüber Waren von außerhalb der EU besteht der Vorteil, dass innerhalb des Binnenmarktes keine Importabgaben fällig werden.

Gegenüber manchen internationalen Wettbewerbern sehen sich die Unternehmen auch in puncto Nachhaltigkeit im Vorteil - möglicherweise ein wichtiges Argument bei einem umweltfreundlichen Transportmittel wie dem Fahrrad. 

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