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Branchen | Russland | Chemieindustrie

Helium soll zum neuen Exportschlager werden

Russland will bei der Produktion von Helium zu den Weltmarktführern aufschließen. Zum Aufbau von Kapazitäten für Herstellung, Lagerung und Transport sind auch deutsche Technologien gefragt.

Von Gerit Schulze | Moskau

Moskau hat einen neuen Exportschlager „entdeckt“: Helium. Das Edelgas spielt in der Weltwirtschaft eine zunehmend wichtige Rolle und dient unter anderem als Kühlmittel in Medizintechnik und in der Halbleiterindustrie.

Bislang sind die Vereinigten Staaten und Katar die dominierenden Hersteller. Laut russischen Medienberichten entfallen 56 Prozent des globalen Heliumangebots auf die USA. Russland kam zuletzt dank des Orenburger Heliumwerks von Gazprom auf einen Marktanteil von 3 Prozent.

Die weltweit größten Heliumproduzenten (in Millionen Kubikmeter)

Land

2019

2020

USA (Erdgasextraktion)

68

61

Katar

45

45

Algerien

14

14

USA (Cliffside Field) *)

21

13

Russland

5

5

Australien

4

4

Polen

1

1

*) strategischer Heliumspeicher der USAQuelle: USGS - Mineral Commodity Summaries 2021 (U.S. Geological Survey)

Gazprom baut eine der größten Helium-Anlagen der Welt

Doch mit dem neuen Amur Gas Processing Plant (AGPP), das Gazprom seit Juni 2021 schrittweise hochfährt, ändern sich die Kräfteverhältnisse am Weltmarkt. In der riesigen Anlage bei Blagoweschtschensk an der Grenze zu China können in der letzten Ausbaustufe ab 2025 bis zu 42 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr verarbeitet werden – hauptsächlich zu Ethan und LPG (Liquified Petroleum Gas).

Der Rohstoff kommt über die Pipeline „Sila Sibiri“ (Power of Sibiria) aus den Lagerstätten Tschajandinskoje und Kowyktinskoje nahe des Baikalsees. Diese Erdgasvorkommen enthalten auch ungewöhnlich hohe Heliumkonzentrationen (bis zu 1 Prozent). Allein im Tschajandinskoje-Feld werden die Heliumvorräte auf 1.400 Millionen Kubikmeter geschätzt.

Ein Hauptprodukt des neuen Amur Gas Processing Plant wird daher Helium sein. Laut Gazprom beträgt die Jahreskapazität 60 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Damit wäre es eine der größten Heliumanlagen der Welt. Die Technologie für die kryogene Gastrennung hat die deutsche Linde AG geliefert.

Umschlagplatz in Wladiwostok geplant

Das am Amur produzierte Helium will Gazprom später in Wladiwostok für den Export vorbereiten. Dort entsteht bis 2025 im Sonderentwicklungsgebiet Nadeschdinskaja ein „Helium Hub“, wo Helium verflüssigt, in Container eingelagert und auf Schiffe verladen wird. Zuständig für die Umsetzung ist Gazprom Helium Service. Russlands Anspruch ist es, Wladiwostok zu einem global bedeutsamen Logistikzentrum für Helium zu machen.

Davon profitiert auch Lkw-Hersteller Kamaz. Das Unternehmen hat von Gazprom einen Großauftrag für 18 Sattelzugmaschinen zum Transport von flüssigem Helium bekommen. Die Lastwagen sollen mit Flüssigerdgas (LNG) betrieben werden und eine Reichweite von 1.400 Kilometern haben. Das mechanische Schaltgetriebe liefert der deutsche Hersteller ZF.

Strategisch wichtiger Rohstoff

Helium hat für Russland eine strategisch wichtige Bedeutung. Die Regierung unterstreicht in ihrer neuen Energiestrategie bis 2035 (von Juni 2020) den Anspruch, bei der Produktion und beim Export künftig zu den Weltmarktführern zu gehören. Dafür werden im Fernen Osten eine Infrastruktur zum Transport und zur Einlagerung von Helium errichtet.

Moskaus Ambitionen kommen dabei zur rechten Zeit, sagt Fares Kilzie, Chef der Moskauer Energiegesellschaft Creon Group. Da die USA das Heliumangebot verknappten, stiegen weltweit die Preise – allein im Jahr 2020 um ein Fünftel auf fast 5 US$ je Kubikmeter. Zugleich wachse der weltweite Bedarf an Helium bei Herstellern von Magnetresonanzgeräten, Elektronik und Raketentechnik.

Globale Nachfrage wächst

Der Weltmarkt für Helium wird in den Jahren 2021 bis 2025 jährlich um 11 Prozent zulegen und ein Volumen von 18,2 Milliarden US$ erreichen, prognostiziert das US-Forschungsinstitut ResearchAndMarkets.com. 

Mordor Intelligence beziffert den Helium-Weltmarkt 2020 auf 189 Millionen Kubikmeter und das jährliche Wachstum bis 2026 auf 4 Prozent. Russland ist bislang nur ein kleiner Verbraucher: Die Heliumnachfrage hierzulande beträgt laut Tageszeitung Vedomosti nur 5 Millionen Kubikmeter pro Jahr.

Daher wird der überwiegende Teil der russischen Produktion in den Export gehen. Gazprom profitiert dabei von der Lage des AGPP an der Grenze zu China, denn asiatische Kunden sollen die wichtigsten Heliumabnehmer werden. Lieferverhandlungen führt der Gaskonzern aber auch mit der deutschen Uniper, wie am Rande des "Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums" (SPIEF) im Juni 2021 bekannt wurde. Linde hat sich ebenfalls Heliumlieferungen aus dem neuen Gazprom-Werk gesichert.

Weitere Fabriken bei Irkutsk und in Jakutien geplant

Gazprom ist aber nicht der einzige Akteur bei der russischen Heliumproduktion. Auch die Irkutskaja neftjanaja kompanija INK investiert in den Ausbau der Kapazitäten. Aktuell baut das Unternehmen an der Lagerstätte Jaraktinskoje im Gebiet Irkutsk ein Heliumwerk, das bis 2022 in Betrieb gehen soll (7,5 Millionen Kubikmeter pro Jahr). Eine zweite Fabrik für 4,5 Millionen Kubikmeter Helium pro Jahr plant INK an der Öl- und Gaslagerstätte Markowskoje nördlich des Baikalsees. Auch mit INK soll die deutsche Uniper bereits Heliumlieferungen vereinbart haben, berichtete das sibirische Unternehmen.

Die Möglichkeit, das bei der Gasförderung entweichende Helium in die Gasfelder zurück zu verpressen und zu speichern, könnte Russland künftig erlauben, die Preise für das Edelgas zu beeinflussen. Dazu beitragen würden auch die großen Heliumspeicher, die im Land eingerichtet werden sollen. Eine riesige Anlage mit Speicherkapazitäten von 40 Millionen Kubikmeter (ein Viertel des globalen Bedarfs) entsteht laut Creon Capital bis 2030 in Jakutien.

Russland will lukrative Marktnische besetzen

Das dafür notwendige Helium soll bei der Erdgasförderung an den Lagerstätten Otradninskoje und Srednebotubinskoje in Ostsibirien gewonnen werden. Zu den Investoren gehören Sachatransneftegas, Rosneft, RNG und Alrosa. In einer ersten Phase sollen dort Heliumkapazitäten für bis zu 1,2 Millionen Kubikmeter pro Jahr aufgebaut werden, in einer zweiten Phase bis zu 12 Millionen Kubikmeter.

Laut Investmentexperte Fares Kilzie könnte Russlands Jahresausstoß durch die neuen Projekte auf 80 Millionen Kubikmeter Helium steigen. Das entspräche der Hälfte der heutigen Weltproduktion. „Damit werden russische Hersteller die Nische einnehmen, die durch die Verknappung des US-Angebots entsteht und so den globalen Heliummarkt retten“, sagt Creon-Vorstandschef Kilzie.

Hintergrund: Wo kommt Helium zum Einsatz?

Medizintechnik

Größter Heliumverbraucher ist die Medizintechnik, denn das Gas kommt zur Kühlung von Kernspin- und Magnetresonanztomographen (MRT) zum Einsatz. Im Jahr 2018 waren weltweit rund 36.000 solcher Geräte in Betrieb. Pro MRT werden nach Angaben der Deutschen Rohstoffagentur zwischen 1.000 und 2.000 Liter Helium verwendet. Da das Gas mit der Zeit entweicht, muss es regelmäßig nachgefüllt werden.

Traggas

Wegen seiner Auftriebseigenschaften wird Helium als Traggas für Party- und Wetterballons sowie für Luftschiffe benutzt. Allein die sechs in Friedrichshafen stationierten Zeppeline NT werden mit 7.400 Kubikmeter Helium befüllt.

Halbleiterindustrie

Bei der Produktion von Wafern und Halbleitern dient Helium wegen seiner Nichtreaktivität als Trägergas für Chemikalien und als Kühlmittel. Eine typische Produktionsstätte („Fab“) benötigt mehr als 500.000 Kubikmeter Helium pro Jahr.

Metallurgie

Beim Härten von Stahl in Vakuumöfen dienen Gasgemische aus Helium dazu, die hohen Temperaturen der Bauteile abzukühlen.

Gastrennung

Bei der Trennung von Gasen durch Gaschromatographen werden unter anderem Wasserstoff und Helium als Trägergase benutzt.

Lichtbogenschweißen

Bei einigen Schweißverfahren kommen Schutzgase wie Helium oder Argon zum Einsatz, die das flüssige Metall vor Luftbestandteilen abschirmen und den Lichtbogen stabilisieren. In den USA sollen 7 Prozent des Heliumverbrauchs auf diese Anwendung entfallen.

Weitere Anwendungen:

  • Metallbeschichtung durch Plasmaspritzen
  • Durchspülen und Vorkühlen von Behältern
  • Lecksuche bei Pumpen, Dichtungen, Leitungen, Getriebegehäusen
  • Technisches Tauchen (als Helium-Sauerstoffgemisch)
  • Kühlmittel in Hochtemperaturreaktoren
  • Bei der Herstellung von optischen Glasfasern, Flachbildschirmen, Festplatten und Mikroskopen
  • Als Kühlmittel in großen Forschungseinrichtungen
  • HelioxTherapie zur Behandlung von Asthma und Bronchienerkrankungen
  • Als Lebensmittelzusatzstoff zur Verlangsamung des Aromaabbaus und Verderbs

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