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Branchen | Russland | Wasserstoff

Pilotprojekte bringen Wasserstoffwirtschaft in Schwung

Die Regierung will Russland zu einem führenden Produzenten entwickeln und fördert den Ausbau der Branche. Rohstoff- und Energiekonzerne starten erste Pilotvorhaben.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

Das weltweit größte Flächenland verfügt über einzigartige Wettbewerbsvorteile zur Produktion von Wasserstoff. Mit rund 40 Billionen Kubikmetern beheimatet Russland die global größten Erdgasvorkommen, aus denen blauer Wasserstoff gewonnen werden kann. Die ausgebeuteten Felder wiederum könnten CO₂ speichern (Carbon Capture and Storage, CCS). Über einen Teil der vorhandenen Pipeline-Infrastruktur könnte dem Erdgas beigemischter Wasserstoff transportiert werden. Derzeit produziert Russland rund 5 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr, der vollständig im Land verbraucht wird.

Regierung unterstützt Ausbau der Wasserstoffwirtschaft

Russland strebt weltweit eine Führungsrolle bei der Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft an. Anfang August 2021 beschloss die Regierung ein Konzept zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft. Damit will sie bis 2024 Cluster zur Herstellung und Nutzung von Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen und zur Abscheidung und Speicherung von CO₂ aufbauen und bis zu 200.000 Tonnen des Energieträgers exportieren. In einer zweiten Etappe bis 2035 sollen erste kommerzielle Projekte auf Basis einheimischer Technologien anlaufen und der Energieträger im Inland flächendeckend zur Anwendung kommen, beispielsweise in der Petrochemie oder im Wohnungsbau. Die Ausfuhrmenge soll auf 2 Millionen bis 12 Millionen Tonnen steigen. In Phase drei soll bis 2050 Wasserstoff verstärkt mit erneuerbaren Energiequellen gewonnen und das Exportvolumen auf jährlich 15 Millionen bis 50 Millionen Tonnen erhöht werden.

Die Regierung kündigte Mitte Oktober 2021 an, bis 2024 Subventionen von rund 110 Millionen Euro für die Wasserstoffwirtschaft bereitzustellen. Die Mittel sollen vor allem in die Entwicklung einheimischer Technologien für die Produktion, den Transport und die Speicherung des Energieträgers fließen. Industrieminister Denis Manturow schätzt den Investitionsbedarf insgesamt auf mehr als 600 Millionen Euro.

Im Dezember 2021 soll eine Arbeitsgruppe der größten Unternehmen der Öl- und Gasindustrie, Petrochemie und Energiewirtschaft unter Leitung von Vizepremierminister Alexander Nowak ein nationales Programm zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft für die Regierung ausarbeiten. Ziel ist es, die Rollen von Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung bei der Entwicklung der Branche zu koordinieren.

Wasserstoffcluster sollen Entwicklung ankurbeln

Bis 2024 sollen insgesamt drei Cluster für die Produktion und den Export entstehen. Der Nordwestcluster nahe dem Wasserkraftwerk Leningradskaja im Gebiet Leningrad spezialisiert sich dabei auf die Reduzierung des CO₂-Fußabdrucks exportorientierter Unternehmen. Langfristig soll grüner elektrolytischer Wasserstoff nach Europa exportiert werden.

Der Arktiscluster auf der Halbinsel Jamal fokussiert sich auf die kohlenstoffarme Energieversorgung abgelegener Gebiete. Über den Nördlichen Seeweg soll Wasserstoff nach Europa und Asien verschifft werden.

Die Regierung plant, den fernöstlichen Cluster auf der Insel Sachalin zum Vorreiter für den Einsatz von Wasserstoff im Verkehrs- und Energiesektor und zum H2-Exporthub für den asiatisch-pazifischen Raum zu entwickeln. Die Pazifikinsel fungiert als Testgebiet für den Handel mit Emissionszertifikaten und soll bereits bis 2025 CO₂-neutral werden.

Darüber hinaus entsteht im Gebiet Murmansk eine CO₂-freie Zone. Die Halbinsel Kola dient als Testgelände für erneuerbare Energien und CO₂-Abscheidungstechnologien. Rosnano und Enel realisieren ein Pilotprojekt zur Produktion von grünem Wasserstoff aus Windkraft. Ab 2025 sollen jährlich 12.000 Tonnen Wasserstoff nach Europa exportiert werden.

Technologierückstand gefährdet Umsetzung der Ziele

Branchenkenner halten die Ziele der Regierung für zu ambitioniert. Um einheimische Technologien zur Erzeugung des Energieträgers kommerzialisieren, Skaleneffekte nutzen und zu konkurrenzfähigen Preisen exportieren zu können, muss Russland die Wasserstoffwirtschaft zuerst im eigenen Land aufbauen. Mit Ausnahme der Petrochemie dürfte die Binnennachfrage jedoch nur langsam steigen, befürchtet Andrej Soljanik von der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN).

Zudem hinken russische Technologien zur Produktion von blauem Wasserstoff den Weltmarktführern hinterher. Dabei stehen nicht Qualitätsmängel im Fokus, sondern Defizite beim Engineering von Großanlagen, erklärt Anton Maksimow, Direktor des Instituts für Petrochemische Synthese der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN). Bei grünem Wasserstoff verharrten die Anlagen sogar auf dem technischen Stand der 1970er Jahre. Darüber hinaus gäbe es keine anwendbaren CCS-Lösungen. Um 12 Millionen Tonnen Wasserstoff zu exportieren, müssen bis zu 35 Millionen Tonnen Kohlendioxid gespeichert werden. Auf Hersteller von blauem Wasserstoff kämen deshalb hohe Kosten für die CO₂-Abscheidung zu, so der Experte.

Deutsche Firmen beteiligen sich an Wasserstoffprojekten

Derzeit sind in Russland rund 20 Projekte zur Produktion von Wasserstoff angekündigt, davon der Großteil bei den Branchenführern Rosatom, Gazprom, Novatek und Rosnano.

Zur Umsetzung von Wasserstoffprojekten setzt Russland auch auf deutsche Partner. Der deutsche Energiekonzern RWE unterzeichnete mit Novatek eine Absichtserklärung zur Produktion von blauem Wasserstoff und Ammoniak im Obskij-Gaschemiewerk auf der Halbinsel Jamal für den Export nach Deutschland. Das entstehende CO₂ soll abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden. Der deutsche Energieversorger Uniper unterzeichnete eine Absichtserklärung mit Novatek zur Lieferung von blauem Wasserstoff nach Deutschland, nachdem sich sein Mutterkonzern Fortum auf grüne Energie umorientiert hat. Der Öl- und Gasproduzent Wintershall Dea will bei der Produktion und beim Export von blauem Wasserstoff in die Europäische Union sowie bei der Abscheidung und Speicherung von CO₂ mit Gazprom kooperieren.

Ausgewählte Projekte zur Produktion von Wasserstoff in Russland

Vorhaben

Projektstand

Projektträger

Produktion von grünem Wasserstoff aus Elektrolyse /  Wasserkraftwerk Krasnojarsk, Region Krasnojarsk

Start der Pilotphase: 2023

En+

Produktion von grünem Wasserstoff aus Elektrolyse /  Wasserkraftwerk Motyginskoje, Region Krasnojarsk

Machbarkeitsstudie; Baukosten für den Ausbau des Wasserkraftwerks: 1,3 Milliarden US-Dollar

En+

Produktion von blauem Wasserstoff / Gebiet Sachalin

Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, Machbarkeitsstudie

Gazprom, Regierung des Gebiets Sachalin

Bau eines Gezeitenkraftwerks zur Produktion von Wasserstoff / Penschinskaja-Bucht, Region Kamtschatka

Ausarbeitung des Konzepts bis 1. März 2022; Suche nach Technologiepartnern

H2 Tschistaja Energetika (gehört zu Polyus Gold); Gesellschaft zur Entwicklung der Region Kamtschatka

Produktion von grünem Wasserstoff / Region Krasnojarsk

Pilotprojekt

Lukoil

Einsatz von Wasserstoff in der Stahlproduktion, sowie von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 / Michajlowski Bergbau- und Anreicherungskombinat, Gebiet Kursk

Erste Phase: Umstellung der Heißbrikettierungsanlage für Eisen auf 100 Prozent Wasserstoff

Metalloinvest

Nutzung von blauem Wasserstoff zur Senkung von Treibhausgasen durch Abscheidung und Speicherung von CO2 / Gebiet Lipezk

Absichtserklärung unterzeichnet

NLMK, GazpromNeft

Bau eines Windparks mit 200 Megawatt Leistung zur Produktion von grünem Wasserstoff / Sabetta, Halbinsel Jamal, Autonomer Bezirk der Jamal-Nenzen

Kooperation mit Totalenergies bei der Umrüstung der Gasturbinen auf Wasserstoff

Novatek

Bau eines Gezeitenkraftwerks zur Produktion von Wasserstoff / Tugurskaja-Bucht, Region Chabarowsk

Geschätzte Investitionskosten: 30 Milliarden US-Dollar

Regierung der Region Chabarowsk

Aufbau einer Produktion von blauem Wasserstoff und Ammoniak sowie Abscheidung und Speicherung von CO2 / Gebiet Sachalin

Absichtserklärung unterzeichnet; geplanter Produktionsstart: 2025

RosatomAir Liquide

Produktion von grünem Wasserstoff aus Windenergie / Gebiet Kaliningrad

Geplanter Produktionsstart: 2024

Rosatom

Produktion von türkisem Wasserstoff aus Kernenergie / Kernkraftwerk Kolskaja, Gebiet Murmansk

Geplanter Produktionsstart: 2024

Rosatom

Produktion von grünem Wasserstoff aus Windenergie / Gebiet Sachalin

Geplanter Produktionsstart: 2025

Rosatom

Bau eines Windparks zur Produktion von grünem Wasserstoff / Gebiet Murmansk

Machbarkeitsstudie: 2022

RosnanoEnel Russia

Produktion von grünem Wasserstoff für den Export

Kooperationsvereinbarung unterzeichnet

Rosnano, H2 Tschistaja Energetika (gehört zu Polyus Gold)

Produktion von grünem Wasserstoff aus Wasserkraft

Kooperationsvereinbarung unterzeichnet

Rushydro, H2 Tschistaja Energetika (gehört zu Polyus Gold)

Produktion von grünem und blauem Wasserstoff sowie Abscheidung und Speicherung von CO2 / Metallurgiekombinat Tscherepowez, Gebiet Wologda und Republik Karelien

Vereinbarung unterzeichnet; Machbarkeitsstudie; geplanter Projektstart: 2023

SeverstalNovatek

Entwicklung von Technologien zur Herstellung, Transport, Speicherung und Nutzung von Wasserstoff in der Stahlproduktion

Absichtserklärung und Kooperationsvereinbarung unterzeichnet

Severstal, GazpromNeft

Quelle: Unternehmensangaben, Recherchen von Germany Trade & Invest

Weitere Projekte zur Produktion von Wasserstoff finden Sie in einem Atlas des russischen Industrieministeriums (in russischer Sprache).

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