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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | Westbalkan | Coronavirus
Die Wirtschaft auf dem Westbalkan leidet: Lieferketten brechen ein und Rücküberweisungen aus dem Ausland könnten ausbleiben. Einige Betriebe versuchen mit neuen Ideen zu überleben.
05.05.2020
Von Martin Gaber | Belgrad
Zwischen Ausgangssperren und improvisierten Home-Office-Regelungen versucht die Wirtschaft ihren Weg durch die Krise zu finden. Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Serbien als eher industriell geprägte Länder kämpfen mit einbrechenden Lieferketten. Die engen Verflechtungen und Abhängigkeiten Serbiens und vor allem Nordmazedoniens mit der europäischen Automobilindustrie werden zur Herausforderung. Montenegro und Albanien kämpfen ihrerseits mit ausbleibenden Touristen. Der Tourismus macht rund ein Viertel des BIP in den beiden Ländern aus und mindestens jeder fünfte Beschäftigte verdient sein Geld in der Branche. Sollte die Hauptsaison diesen Sommer ausfallen, wird dies beide Länder schwer treffen.
Noch Ende 2019 hatten die Prognosen für den Westbalkan positiv ausgehen. Obwohl der globale Konjunkturmotor ins Stocken geraten war, schien die Region dem Gegenwind trotzen zu können und sollte mit durchschnittlich 3,4 Prozent in diesem Jahr wachsen.
Land | 2019 | März 2020 | April 2020 |
---|---|---|---|
Albanien | 3,2 | 1,7 | -7,0 |
Bosnien-Herzegowina | 2,5 | 1,2 | -5,0 |
Kosovo | 2,8 | 1,4 | -5,0 |
Montenegro | 3,3 | 1,7 | -9,0 |
Nordmazedonien | 3,7 | 2,0 | -4,0 |
Serbien | 4,3 | 2,8 | -2,3 |
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte früh angekündigt, dass die Regierung alles versuchen werde, das Schrumpfen der Wirtschaft auf minus 2 Prozent zu begrenzen. Nun scheinen erste internationale Prognosen diese Ankündigungen ziemlich zu bestätigen. Damit würde sich Serbien nicht nur im regionalen, sondern auch im globalen Vergleich sehr gut durch die Krise navigieren.
Der vergleichsweise milde Dämpfer für Serbiens Wachstum liegt wohl auch daran, dass das Land zum einen ein solides Konjunkturpaket auf den Weg gebracht hat und zum anderen öffentliche Infrastrukturprojekte am Laufen hält. Eine wichtige Stütze ist zudem ein starker landwirtschaftlicher Sektor sowie die lebensmittelverarbeitende Industrie. Serbiens Exporte liegen im Zeitraum Mitte März bis Mitte April nur rund 23 Prozent unter dem Vorjahreswert. Agrarprodukte und Lebensmittel stehen an der Spitze der Exporte. Mit 57 Millionen Euro erzielte Mais den Spitzenplatz, so das Nachrichtenportal eKapija.
Prognosen gleichen derzeit dem Blick in die Glaskugel. Dennoch gibt es bereits erste Ausblicke für die Länder des westlichen Balkans für 2021. Serbien und Nordmazedonien könnte der schnelle Wiedereinstieg in internationale Lieferketten gelingen. Auch in Albanien und Montenegro wird die Wirtschaft voraussichtlich schnell in Schwung kommen. Voraussetzung ist, dass die Touristenzahlen nach der Coronakrise wieder rapide ansteigen.
Lediglich Bosnien und Herzegowina fehlt eine langfristige Perspektive. Der Politik gelingt es auch in der Krise nicht, eine einheitliche Linie und damit zumindest eine kurz- und mittelfristige Strategie zu finden. Daher setzen die Betriebe auch nicht auf den Staat, sondern versuchen sich mit eigenen Ressourcen zu helfen und Arbeitsplätze zu erhalten. Das spürt auch Stefanie Ziska, Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Bosnien und Herzegowina: "Ich höre von den Unternehmen den Willen und die Anstrengung, jeden Arbeitsplatz zu erhalten." Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht für Bosnien-Herzegowina lediglich ein Wachstum von 3,5 Prozent nach der Krise.
Albanien | 8,0 |
Bosnien-Herzegowina | 3,5 |
Kosovo | 7,5 |
Montenegro | 6,5 |
Nordmazedonien | 7,0 |
Serbien | 7,5 |
Eine wichtige Konsumstütze könnte durch die Coronakrise wegbrechen. In nahezu allen Ländern des westlichen Balkans spielen Rücküberweisungen aus dem Ausland eine herausragende Rolle. Für einige Familien dienen diese zum Aufstocken des Einkommens, für andere stellen die Finanzspritzen von Angehörigen aus dem Ausland das einzige Einkommen dar. Da die Coronakrise einem globalen Rundumschlag gleicht, müssen weltweit Mitarbeiter in Kurzarbeit oder verlieren ihre Jobs. Unwahrscheinlich ist es also nicht, dass die Rücküberweisungen zumindest geringer ausfallen. Insgesamt könnten dadurch Milliarden Euro ausbleiben, wie die Zahlen der Weltbank belegen. Die Rücküberweisungen entsprechen rund 9 Prozent des BIP aller Westbalkanländer zusammen.
Land | Summe in Millionen US-Dollar | Prozent vom BIP |
---|---|---|
Albanien | 1.455 | 9,4 |
Bosnien-Herzegowina | 2.192 | 10,9 |
Kosovo | 1.249 | 15,6 |
Montenegro | 589 | 10,9 |
Nordmazedonien | 317 | 2,5 |
Serbien | 4.163 | 8,1 |
Westbalkan gesamt | 9.965 | 8,8 |
Die Coronakrise erhöht auch den Innovationsdruck auf Unternehmen und zwingt die Betriebe, ihre Produktion entsprechend anzupassen. Der Fokus liegt dabei auf der Produktion von Schutzausrüstung. Ein Beispiel ist das vornehmlich als Autozulieferer bekannte Unternehmen Prevent. Die Prevent-Gruppe ist der deutschen Öffentlichkeit bislang vor allem durch einen Streit mit dem Autobauer Volkswagen bekannt. Nun produziert man in Bosnien Schutzbekleidung. Auch das Unternehmen EMKA mit Sitz in Velbert und einer Produktionsstätte in Goražde produziert Schutzvisiere für medizinisches Personal, wie das Nachrichtenportal BiznisInfo berichtet. Durch die Umstellung der Produktion können die Unternehmen den Betrieb aufrechterhalten und ihre Mitarbeiter weiterbeschäftigen.
Einen technologischeren Ansatz verfolgt der Autozulieferer TMD aus Gradačac. Das Unternehmen im Norden von Bosnien und Herzegowina produziert im Normalbetrieb mechanische Komponenten für die Autoindustrie. Nun hat TMD sein Know-how für die Fertigung eines Beatmungsgerätes eingesetzt und einen ersten Prototypen entwickelt. Ob es tatsächlich zur Serienreife kommt, bleibt offen.