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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | China | Außenwirtschafts-, Industriepolitik
Mit der "Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs" soll China gegenüber globalen Unwägbarkeiten widerstandsfähiger werden. Dies hat Folgen auch für deutsche Firmen.
13.11.2020
Von Stefanie Schmitt | Beijing
Kein Tag vergeht derzeit in China, an dem nicht vom "Doppelten Wirtschaftskreislauf" (Dual Circulation) berichtet wird. Nun hat das im Mai 2020 von Staatspräsident Xi Jinping formulierte Konzept sogar Niederschlag im kommenden 14. Fünfjahresplan (2021 bis 2025) gefunden.
Danach besteht die Wirtschaft aus einem inneren Kreislauf (Binnenwirtschaft) und einem äußeren (Außenwirtschaft). Gestärkt werden soll vor allem der innere Kreislauf (weniger Exporte, mehr Binnenkonsum), um sich durch äußere Unwägbarkeiten weniger angreifbar zu machen. Hierzu zählt in der gegenwärtigen Situation vor allem eine geringere Abhängigkeit von US-amerikanischer Halbleitertechnologie. Die USA unter Trump verfolgten ihrerseits die Entflechtung beider Volkswirtschaften (Decoupling).
Mit Blick auf die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten ist dies sicher auch kein falscher Gedanke: sei es in Folge der Corona-Pandemie oder aufgrund internationaler Handelskonflikte und -barrieren oder angesichts der globalen Wirtschaftsentwicklung und den politischen Eskalationen. Zudem strebt China mehr Unabhängigkeit von Lebensmittel-, Öl- und Gasimporten an.
Beim Konzept der "Zwei Kreisläufe" handelt es sich zunächst einmal nur um die konsequente Fortsetzung der seit Jahrzehnten betriebenen Politik, China durch die Entwicklung eigener Technologien möglichst von Importen unabhängig zu machen – und überdies starke lokale Unternehmen aufzubauen, die im internationalen Wettbewerb an vorderster Stelle mithalten können.
Dies hat nicht zuletzt Auswirkungen für diejenigen deutschen Unternehmen, für die China ein sehr wichtiger Absatzmarkt ist oder die China aktuell als das Land ansehen, das sie aus der Krise zieht. Tatsächlich konnten sich in der Coronakrise die chinesischen Importe aus Deutschland sogar noch erhöhen: betrachtet man das 3. Quartal 2020, so lagen sie bei 28,6 Milliarden US-Dollar und damit um 4 Prozent über dem Vorjahresquartal.
Deutschen Unternehmen ist vor diesem Hintergrund zu raten, zwar die Geschäftschancen in China zu nutzen, gleichzeitig sich aber auch zusätzliche Standbeine neben China aufzubauen.
„Ein hoher Absatzanteil in China ist ein Segen – und ein Fluch zugleich.“
So formulierte es ein deutscher Wirtschaftsexperte im Gespräch mit Germany Trade & Invest. Dies dürfte zuvorderst für die Automobilindustrie zutreffen.
Zwar werden chinesische Wirtschaftsexperten nicht müde zu betonen, dass sich das Land keinesfalls abschotten wolle. Vielmehr seien ausländische Investitionen im Land weiter sehr erwünscht. Im Klartext aber dürfte diese Einladung vor allem an Hersteller von Produkten gerichtet sein, deren Herstellung chinesische Unternehmen derzeit noch nicht beherrschen, und die gewillt sind, in China vor Ort zu produzieren und möglichst ihre gesamte Wertschöpfungskette nach China zu verlagern.
Die Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs gilt natürlich umso mehr für die lokale Wirtschaft. Von allen drei Sektoren – Landwirtschaft, Industrie, Dienstleistungen – werde nunmehr erwartet, ihren Teil zur nationalen Entwicklung beizutragen, schrieb die staatliche China Daily. Auch private Unternehmen werden zunehmend aufgefordert, sich stärker in diesem Sinne politisch und sozial zu engagieren. Dies legte etwa das Generalsekretariat der Kommunistischen Partei (KP) Chinas in einem Dokument vom 15. September 2020 dar (Opinion on Strengthening the United Front Work of the Private Economy in the New Era).
Darüber hinaus soll und will die KP künftig mehr direkten Einfluss auf Privatunternehmen nehmen, um sie für ihre Zwecke (Armutsbekämpfung, Industriepolitik) einzusetzen. Schon bisher waren private Unternehmen in China nie "frei" in ihren Entscheidungen. Aber künftig dürfte es für sie etwa im Ausland noch schwieriger werden, sich als "unabhängig" darzustellen. Dies ist insbesondere für die chinesischen IT-Konzerne wie Huawei oder Tencent problematisch, die ohnehin bereits im Ausland unter Beschuss stehen.
Bislang scheint es, als sei die Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs bewusst vage gehalten. Dies bietet Raum, um das Konzept an aktuelle und zukünftige Entwicklungen anpassen zu können. Maßnahmen lassen sich so anlassbezogen konkretisieren.
„China hat keine Angst davor, dass die USA die Wirtschaftsbeziehungen vollständig abbrechen. China hat sich auf das Schlimmste vorbereitet. China kann in ein wirtschaftlich geschlossenes Umfeld zurückkehren“, so die Einschätzung des chinesischen Wirtschaftswissenschaftler Ren Hao.
Andererseits gelte aber auch: „China wird weiterhin eine offene Wirtschaftspolitik verfolgen und ist bestrebt, einen Handelsaustausch mit dem Ausland zu führen. Tatsache ist, dass China nicht ohne weltweiten Austausch auskommen kann“, so Ren.