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IndienKonjunktur / Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsumfeld | Indien | Konjunktur
Indiens Wirtschaftsleistung ist im Zeitraum April bis Juni deutlich zurückgegangen. Nur der Agrarsektor wuchs. Die weiteren Aussichten für das Gesamtjahr sind trübe.
02.09.2020
Von Florian Wenke | Bonn
Indiens Wirtschaft ächzt unter der Coronapandemie. Für das 1. Quartal des laufenden Finanzjahres 2020/21 (1. April bis 31. März) meldet das indische Statistikamt National Statistical Office (NSO) in einer ersten Schätzung, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum real um 23,9 Prozent geschrumpft ist. Im 1. Quartal 2019/20 war das BIP noch um 5,2 Prozent gewachsen.
Die nun veröffentlichten Daten sind die niedrigsten Wachstumszahlen seit Beginn der Veröffentlichung vierteljährlicher Berechnungen im Jahr 1996. Der Einbruch liegt am oberen Rand der Erwartungen. Banken und Analysten hatten einen Rückgang des BIP zwischen 15,2 (Nomura) und 25,5 Prozent (Barclays) vorhergesagt.
In seiner Veröffentlichung weist das NSO auf die Schwierigkeiten bei der Datenerhebung unter Pandemie- und Lockdown-Bedingungen hin. In indischen Medien wird davon ausgegangen, dass die zu einem späteren Zeitpunkt korrigierten Daten noch schlechter ausfallen werden.
Die Bruttowertschöpfung gab im 1. Quartal 2020/21 ebenfalls nach; sie sank real um 22,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im verarbeitenden Gewerbe war das Minus mit 39,3 Prozent noch größer. Das Baugewerbe verzeichnete sogar ein negatives Wachstum von 50,3 Prozent. Von den acht ausgewiesenen Sektoren konnte nur die Landwirtschaft (inklusive Fischerei und Forstwirtschaft) eine gestiegene Bruttowertschöpfung verzeichnen. Der Zuwachs hier betrug 3,4 Prozent. Ergiebige Regenfälle während der Monsunmonate stützen den Agrarsektor und versprechen eine gute Ernte. Der Sektor trägt zwar nur einen geringen Teil zum BIP bei, beschäftigt allerdings die Mehrheit der indischen Arbeitskräfte.
Wirtschaftszweig | Veränderung |
---|---|
Agrarsektor (inklusive Fischerei- und Forstwirtschaft) | 3,4 |
Bergbau | -23,3 |
Verarbeitendes Gewerbe | -39,3 |
Gas, Wasser, Strom | -7,0 |
Bau | -50,3 |
Handel, Hotellerie, Transport und Kommunikation | -47,0 |
Finanzdienstleistungen und Immobilienwirtschaft | -5,3 |
Öffentliche Verwaltung und sonstige Dienstleistungen | -10,3 |
Das 1. Quartal 2020/21 war für viele Firmen durch einen fast vollständigen wirtschaftlichen Stillstand aufgrund des strikten nationalen Lockdowns geprägt. Dieser umfasste die Monate April und Mai 2020. Anschließend wurden die Kapazitäten nur schrittweise wieder hochgefahren. Im Juni 2020 konnten zahlreiche Wirtschaftszweige eine anziehende Nachfrage vermelden, darunter beispielsweise der Automobilsektor. Diese Erholung war jedoch nicht nachhaltig und wird fast ausschließlich als Folge von nachholendem Konsum gewertet. Die Wirtschaft bleibt auch weiterhin im Krisenmodus.
Der vom Ministry of Commerce & Industry veröffentlichte Index der Industrieproduktion in acht Kernsektoren der indischen Wirtschaft, der Index of Eight Core Industries (ICI), gab im Juli 2020 um 9,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat nach. Für den Zeitraum von April bis Juli 2020 steht ein Minus von 22,5 Prozent zu Buche. Der Index umfasst unter anderem die Sektoren Öl, Gas, Stahl, Dünger, Zement und Elektrizität.
Auch die Kaufkraft ist durch die Coronapandemie getroffen, sodass der Konsum momentan wenig zur Stützung der Konjunktur beiträgt.
Für das gesamte Finanzjahr 2020/21 bleiben die Aussichten allenfalls durchwachsen. Die indische Zentralbank Reserve Bank of India erwartet ein Schrumpfen des BIP, Analysten sind sich jedoch uneins, wie stark der Rückgang ausfallen wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von einem negativen Wachstum in Höhe von 4,5 Prozent aus. Zuletzt hatte Indien 1979/80 eine gesunkene Wirtschaftsleistung verzeichnet. Gleichwohl rechnet der IWF für das kommende Finanzjahr 2021/22 mit einer Erholung und prognostiziert ein Wachstum in Höhe von 6 Prozent.