Dieser Inhalt ist relevant für:
IndienAußenwirtschafts-, Industriepolitik
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaft | Indien | Außenwirtschafts-, Industriepolitik
Die indische Regierung weitet das Production Linked Incentive-Programm auf zehn Sektoren aus. Auch für deutsche Firmen bietet das Programm interessante Chancen.
18.12.2020
Von Boris Alex | New Delhi
Indiens Regierung dehnt das im Mai 2020 gestartete Industrieförderprogramm auf immer mehr Produktsparten aus. Damit unterstreicht sie die unter dem Motto Atmanirbhar Bharat (Autarkes Indien) gestartete Neuausrichtung ihrer Wirtschaftspolitik. Danach soll die heimische Industrie weniger Vorprodukte - vor allem aus China - importieren sowie die lokale Wertschöpfung und die Exporte steigern. Zudem soll sich Indien als attraktiver Produktionsstandort für internationale Konzerne aus Schlüsselbranchen wie Kfz, Elektronik und Pharmazeutik etablieren.
Um diese Ziele zu erreichen, wurde im Frühjahr 2020 das Production Linked Incentive-Programm (PLI) aufgelegt. Dabei erhalten indische und ausländische Unternehmen einen Bonus, wenn sie ihren Absatz in den förderfähigen Segmenten gegenüber dem Finanzjahr 2019/20 (1. April bis 31. März) steigern - vorausgesetzt, die Produkte wurden lokal gefertigt. Die Regierung hat dazu zehn strategisch wichtige Sektoren und darunter wiederum eine ganze Reihe von Produktgruppen identifiziert, bei denen Indien bislang stark von Importen abhängig ist. Für das PLI-Programm stehen bis zum Ende des Finanzjahres 2024/25 Fördermittel von umgerechnet 22 Milliarden Euro zur Verfügung.
Sektor | Produktgruppen | Fördersumme (in Mio. Euro) *) | Zuständiges Ministerium |
---|---|---|---|
Automobil | Kfz-Teile | 6.392 | |
Elektronikfertigung | Smartphones, Handykomponenten, Halbleiter, Displays, Notebooks, Server, Internet of Things-Geräte, sonstige Computerhardware | 5.149 | |
Pharmazeutik und Medizintechnik | Unter anderem: Biopharmazeutika, Generika, patengeschützte Arzneimittel, Orphan-Arzneimittel, Arzneistoffe (API), Medikamente zur Krebs-, Diabetes-, Herz-Kreislaufbehandlung, In-Vitro-Diagnosegeräte, pflanzliche Heilmittel, medizintechnische Geräte | 2.842 | |
Speichertechnik | Batterien (Advance Chemistry Cell; ACC) | 2.028 | |
Telekommunikation | Übertragungstechnik, 4G-/5G-Ausrüstung, Switches, Router | 1.367 | |
Nahrungsmittel | Fertiggerichte, Meeresprodukte, Obst, Gemüse, Käse, Eier, Geflügel | 1.221 | |
Textilien | Kunstfaser, technische Textilien | 1.197 | |
Stahl | beschichteter Stahl, hochfester Stahl, Stahlschienen, Stabstahl | 708 | |
Haushaltsgeräte | Klimageräte, Leuchtdioden | 699 | |
Erneuerbare Energien | Solarmodule | 504 |
Fast ein Drittel der Incentive-Zahlungen ist allein für die Automobilindustrie vorgesehen. Die Produktion von Pkw und Nfz wuchs bis zur Coronakrise in Indien über Jahre kontinuierlich und der Subkontinent belegt mit 4,5 Millionen Fahrzeugen 2019 inzwischen Platz 5 unter den größten Autobauern weltweit. Doch die Hersteller kaufen im Schnitt 40 Prozent ihrer Bauteile im Ausland ein, darunter Schlüsselkomponenten wie Getriebe und Kfz-Elektronik. Diese sollen aber mit Unterstützung des PLI-Programms künftig verstärkt lokal produziert werden, so die Hoffnung der Regierung.
Doch die Hürden, um in den Genuss des Absatzbonus zu kommen, sind hoch. So muss der Betrieb im Basisjahr 2019/20 Fahrzeuge oder Kfz-Teile im Wert von mindestens 112 Millionen Euro exportiert haben. Für die internationalen Autobauer in Indien gilt zudem ein Mindestumsatz von 1,1 Milliarden Euro weltweit. Darüber hinaus muss der Lokalisierungsgrad von in Indien montierten Fahrzeugen mindestens 40 Prozent betragen. Erst dann greife die Förderung, so die Society of Indian Automobile Manufacturers (SIAM). Bei Pkw und Nfz, die für den Export bestimmt sind, könnten die Local-Content-Anforderungen sogar noch darüber liegen.
Der Automobilverband geht dennoch davon aus, dass das PLI-Programm bei indischen und internationalen Herstellern aus der Kfz- und Zulieferindustrie auf Interesse stoßen wird. Zwar halten sich die Konzerne mit konkreten Plänen noch zurück, aber einige Unternehmen sollen bereits durchrechnen, welche Investitionen notwendig sind, um in den Genuss der Förderung zu kommen. Das dürfte wiederum die Nachfrage nach Industrieausrüstung - unter anderem von Werkzeugmaschinen und Automatisierungstechnik - beleben, so die Einschätzung des Industrieverbands Confederation of Indian Industry (CII).
Auch für deutsche Autobauer in Indien könnte das Bonusprogramm interessant sein. Die zum Daimler-Konzern gehörende indische Nfz-Marke BharatBenz produziert 70.000 Lkw pro Jahr und hat im Mai 2020 angekündigt, weitere 250 Millionen Euro in neue Kapazitäten an ihrem Standort in Chennai investieren zu wollen. Mit dem PLI-Programm hätte BharatBenz einen zusätzlichen Anreiz, zumal das Unternehmen bereits in 50 Ländern exportiert, so der Geschäftsführer von Daimler India Commercial Vehicles (DICV), Satyakam Arya, gegenüber der Presse.
Auch bei den Herstellern von Kfz-Teilen stößt das Förderprogramm auf Interesse, berichtet die Automotive Component Manufacturers Association of India (ACMA). Langfristig könnte Indien dadurch sogar zum Nettoexporteur bei Kfz-Teilen avancieren. Derzeit liegt der Anteil Indiens am globalen Automotivmarkt bei gerade einmal 1,5 Prozent, schätzt der Zuliefererverband. Mit einer stärkeren Diversifizierung der globalen Supply-Chain in diesem Segment weg von China, könnte der Anteil Indiens in den nächsten zehn Jahren auf über 5 Prozent steigen.
Mit der Elektronikfertigung hatte die indische Regierung im Mai 2020 den Startschuss für das PLI-Programm gegeben. Seitdem wurden die Mittel hierfür aufgestockt und die Förderung auf weitere Produktgruppen ausgedehnt. Inzwischen stehen gut 5 Milliarden Euro bis 2025 zur Verfügung und neben Smartphones und Handykomponenten kommt auch die Fertigung unter anderem von Notebooks und Servern in den Genuss des Bonus. Die Handyproduktion stößt auf großes Interesse bei internationalen Auftragsfertigern wie Foxconn und Wistron sowie indischen Herstellern von Smartphones und Komponenten. Die Firmen planen Investitionen in Neukapazitäten und könnten bis Mitte 2021 insgesamt 50.000 neue Arbeitsplätze schaffen, schätzt das Ministry of Electronics and Information Technology (MeitY).
Die indische Regierung zeigte sich auch mit der Resonanz auf die Ausschreibung im Bereich Pharma und Medizintechnik zufrieden. Das zuständige Department of Pharmaceuticals hatte 215 Anträge von 83 Herstellern von Arzneimitteln und -stoffen erhalten, deutlich mehr als die maximal 136 förderfähigen Vorhaben. Die Behörde muss nun binnen 90 Tagen bekanntgeben, welche Unternehmen in das PLI-Programm aufgenommen werden.
Starkes Interesse erwartet die Regierung auch bei der Telekommunikationsausrüstung, da Indien sein Mobilfunknetz der 5. Generation (5G) ohne chinesische Technologie aufbauen will, was Beteiligungschancen für Anbieter aus anderen Ländern eröffnen könnte. Auch bei der Produktion von Akkumulatoren für Elektrofahrzeuge hofft Indien auf positive Resonanz. Bis 2030 soll jedes dritte neu zugelassene Fahrzeug - Pkw, Zwei- und Dreiräder - mit Stromantrieb unterwegs sein.