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Wirtschaftsumfeld | Indonesien | Bruttoinlandsprodukt
Zwischen April und Juni 2020 verzeichnet der Archipel das schwächste Quartal seit 1999. Am Jahresende könnte dennoch ein leichtes Wirtschaftswachstum zu Buche stehen.
17.08.2020
Von Frank Malerius | Jakarta
Indonesiens Wirtschaftsleistung ist nach Angaben des Statistikamtes BPS im 2. Quartal 2020 im Vorjahresvergleich um 5,3 Prozent geschrumpft. Es war damit das schwächste Quartal seit der Asienkrise des Jahres 1999. Damit steht für die ersten sechs Monate ein Rückgang des Bruttoinlandspordukts (BIP) von 1,3 Prozent zu Buche. Die Prognosen für das Gesamtjahr pendeln um die Nulllinie. Das Finanzministerium erwartet ein Wirtschaftswachstum zwischen 0 und 1 Prozent. Analysten der Bank Mandiri halten eine Schrumpfung von 1 Prozent für möglich.
Für Indonesien sind diese Zahlen ein tiefer Einschnitt nach fast zwei Dekaden robusten Wirtschaftswachstums. Zwischen 2000 und 2019 lag das durchschnittliche Steigerungsrate bei 5,3 Prozent per anno, nur ein einziges Mal fiel sie unter 4,5 Prozent. Die Wirtschaftleistung (nominal in US-Dollar) hat sich seitdem versechsfacht, Das Land ist in der Folge zum G20-Mitglied aufgestiegen.
Grund für den aktuellen Wirtschaftseinbruch ist die Coronapandemie. Im Januar gab es erste Engpässe beim Import von Vorprodukten aus China. Anfang Februar wurde ein Einreiseverbot für Reisende aus der Volksrepublik erlassen, gefolgt im April von einem generellen Einreiseverbot, das den Tourismus zum Erliegen brachte. Von Mitte April bis Anfang Juni wurde eine Art Soft-Lockdown erlassen, mit einem landesinternen Reiseverbot und weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Weite Teile der Wirtschaft standen in der Folge still.
Seit Anfang Juni erfolgt eine vorsichtige Lockerung der Beschränkungen, durch die immer mehr Unternehmen schrittweise in den Normalbetrieb übergehen. Im 3. Quartal könnte es dennoch ein Negativwachstum geben, Indonesien wäre dann in einer Rezession. Das Finanzministerium rechnet für das 4. Quartal wieder mit einem Wachstum von knapp 3 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für den Artchipel im Jahr 2021 ein Wirtschaftswachstum von 6,1 Prozent.
Nahezu alle Wirtschaftsbereiche sind von der Coronapandemie beeinträchtigt, allerdings in unterschiedlichem Umfang. Am schlimmsten betroffen sind der Tourismus und die Transportbranche, die angesichts des internationalen Einreiseverbots und landesweiter Reisebeschränkungen vorübergehend fast vollständig zum Erliegen kamen. Seit Ende Juli ist Bali wieder für den lokalen Tourismus geöffnet. Darüber hinaus gibt es Verhandlungen mit Ländern, die geringere Infektionszahlen aufweisen (wie etwa Singapur, Thailand und Malaysia), über als "travel bubble" bezeichnete bilaterale Grenzöffnungen.
Ebenfalls überdurchschnittlich von der Krise betroffen ist die verarbeitende Industrie, die für knapp 20 Prozent der Wirtschaftsleistung steht. Sie schrumpfte im 1. Quartal um 6,2 Prozent und im 1. Halbjahr 2020 um 2,1 Prozent. Zwischenzeitlich durfte nur noch in strategisch wichtigen Bereichen wie der Nahrungsmittelverarbeitung oder der Pharmaherstellung produziert werden, andere Branchen benötigten Ausnahmegenehmigungen. In der Automobilindustrie gab es im Mai nahezu einen Produktionsstopp. Anfang August gelten noch immer Beschränkungen, aber die Genehmigungen werden nach Unternehmensangaben problemlos erteilt.
Die Baubranche, die für etwa 11 Prozent der Wirtschaftsleistung steht, schrumpfte im selben Maße wie die Gesamtwirtschaft. Hier dürfte der Staat in den kommenden Jahren zu geringeren Investitionen fähig sein, denn das Haushaltsdefizit wird 2020 voraussichtlich mehr als 6 Prozent des BIP. Ob der geplante Bau der neuen Hauptstadt in der Provinz Ostkalimantan tatsächlich realisiert wird, ist unklar. Der Bergbau schrumpfte trotz geringerer Nachfrage nur leicht. Die Landwirtschaft hingegen, die etwa 13 Prozent des BIP stellt, wuchs im 2. Quartal um 2,2 Prozent.
Die Wirtschaft lebt vom privaten Konsum. Er steht für 58 Prozent der BIP-Verwendung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wuchs der Konsum stets im Gleichschritt mit der Wirtschaft um etwa 5 Prozent. Sein Rückgang um 1,4 Prozent im 1. Halbjahr 2020 trifft die produzierenden Unternehmen und die Dienstleistungsbranche schwer. So wurden 41,8 Prozent weniger Pkw gekauft als im selben Vorjahreszeitraum. Die Stützung der privaten Ausgaben gehört zu den wichtigsten Vorhaben der Regierung im Kampf gegen die Krise.
In dem Corona-Rettungspaket in Höhe von fast 50 Milliarden US$ nimmt der Bereich der sozialen Fürsorge knapp 30 Prozent ein. Er dient der Verhinderung und Linderung von Armut und ist eine direkte Stütze des Konsums. Die Maßnahmen sind vielfältig und reichen von Nahrungsmittelhilfen für Familien über die Stundung von Kreditzinsen bis hin zum Erlassen von Stromrechnungen. Laut Regierungsangaben sind 3,7 Millionen Menschen durch die Coronapandemie arbeitslos geworden. Das gesamte Ausmaß der Folgen für den Arbeitsmarkt gibt diese Zahl aber nicht wider, weil für Millionen Beschäftigte das Arbeitsverhältis ruht oder der Vollzeitjob zu einer Teilzeitbeschäftigung mit Minimalbezahlung geworden ist. Und die aus der Krise resultierende Unterbeschäftigung im informellen Sektor, in dem 60 Prozent der Beschäftigten tätig sind, wird ebenfalls nicht erfasst.
Die Gefahr besteht, dass sich das Konsumklima dauerhaft eintrübt. Zwar dürfte es nach dem Ende der Pandemie zu Nachholeffekten im Konsum kommen. Mittelfristig könnte der Kauf eines Autos, eines neuen Motorrads oder einer Wohnung aber auf die lange Bank geschoben werden. Die Konsumausgaben des Staates, die für weniger als 10 Prozent der BIP-Verwendung stehen, könnten eine solche Zurückhaltung nicht kompensieren.