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Wirtschaftsumfeld | Slowakei | Coronavirus
Mit dem Experiment, die Bevölkerung durchzutesten, versucht die Regierung, einen harten Lockdown zu vermeiden. Auch die Unternehmen sind gefordert.
05.11.2020
Von Miriam Neubert | Bratislava
Am Allerheiligen-Wochenende sind in der Slowakei 3,6 Millionen Menschen mit Antigentests auf SARS-CoV-2 getestet worden. Über 38.300 erwiesen sich als positiv. Die Betroffenen müssen für zehn Tage Quarantäne halten und fallen dadurch als Ansteckungsquelle aus. Ihr Anteil war mit 1,06 Prozent geringer als erwartet. Wer über ein negatives Testergebnis verfügt, darf sich wieder freier bewegen. Ausgenommen von der Ausgangssperre sind auch Personen, die einen aktuellen negativen PCR-Test auf Covid-19 nachweisen können oder die Covid-19 in den vergangenen drei Monaten überwunden haben und das ärztlich nachweisen können.
Nach einer Entscheidung des Zentralen Krisenstabs vom 2. November 2020 werden in den Kreisen, in denen der Prozentsatz der Infizierten an den Getesteten 0,7 Prozent überstieg, die Einwohner, bei denen der Befund negativ war, eine Woche später nachgetestet. Das hat mit der Inkubationszeit des Virus zu tun, das sich innerhalb einer Woche noch äußern kann.
Nicht von einem zweiten Durchgang betroffen sind 25 Kreise und die Städte Bratislava und Košice. Vier besonders stark infizierte Regionen im Norden des Landes, deren Bevölkerung in einer Pilotphase bereits im Vorfeld getestet worden war, erlebten am 31. Oktober/1. November bereits den zweiten Durchlauf. Mit über 4,85 Prozent war beispielsweise in Tvrdošíne na Orave die Rate der Infizierten unter den Getesteten anfangs sehr hoch ausgefallen. Die Wiederholung erbrachte nur noch 2 Prozent.
Ministerpräsident Igor Matovič, der seit März 2020 im Amt ist, hatte das sehr kurzfristig angesetzte Experiment als Alternative zu einem strikten Lockdown durchgesetzt. Er sieht es zugleich als Chance, der Welt zu zeigen, dass es auch anders gehe - ohne Schließung der Wirtschaft und Millionen Arbeitslose. Erstmals hat ein Land von der Größe der Slowakei mit 5,5 Millionen Einwohnern seine Bevölkerung flächendeckend auf Corona getestet. Dazu aufgerufen waren alle Einwohner zwischen 10 und 65 Jahren. Die organisatorische Abwicklung unterstand der Armee. Neben den 8.000 dafür abgeordneten Soldaten mussten binnen weniger Tage abertausende freiwillige Gesundheitsmitarbeiter gefunden werden, um die Aktion durchführen und die fast 5.000 Entnahmestellen besetzen zu können.
Die Regierung baut auf die freiwillige Teilnahme der Bevölkerung. Nicht zufällig läuft die Aktion unter dem Titel "Ich bin verantwortlich" (Som Zodpovedný). Wer aber keinen negativen Bescheid über einen Test nachweisen kann, unterliegt seit dem 2. November weiterhin strikten Ausgangsbeschränkungen (nachts Ausgangssperre, tagsüber nur dringliche Wege wie Lebensmitteleinkauf, Arzneimittel, Arztbesuche). Und was entscheidend ist: Er darf vorübergehend nicht zur Arbeit fahren. Wer an der Wiederholung in der zweiten Runde nicht teilnimmt, für den gilt das bis zum 15. November 2020.
Die Unternehmen wurden vom Staatlichen Hygieneamt angewiesen, die Beschäftigten nur nach Vorzeigen des offiziellen Negativ-Bescheids in den Betrieb zu lassen. Wer sich einem Test verweigert hat und dadurch nicht an seinen Arbeitsplatz in die Firma gelassen werden kann, hat keinen Anspruch auf Lohn oder wie im Fall einer Quarantäne, auf Krankengeld.
Eines der bedeutendsten Unternehmen des Landes, Volkswagen Slovakia, hat laut der Nachrichtenagentur TASR im Zuge von vier Schichten mehr als 10.000 Mitarbeiter getestet und unter ihnen circa 1,3 Prozent positive Fälle verzeichnet. Viele Unternehmen haben in der Folge der Testaktion einen gewissen Ausfall an Mitarbeitern, die entweder direkt positiv auf das Virus anschlugen oder als Familienangehörige eines Erkrankten Quarantäne halten müssen.
Antigen-Schnelltests will die Slowakei weiterhin auch präventiv einsetzen, um die Ansteckungssituation unter Kontrolle zu behalten. Mobile Entnahmestellen in den Kreisstädten sollen laut Ministerpräsident Matovič so ausgestattet sein, dass jeder, der es möchte, sich kostenlos testen lassen kann. Zweimal im Monat sollen auch alle Mitarbeiter von Krankenhäusern und Sozialdienstleistungseinrichtungen getestet werden, ebenso ihre Patienten und Kunden. Regelmäßig wird das ebenfalls bei Mitarbeitern der staatlichen kritischen Infrastrukturen der Fall sein.
Auch große Unternehmen will die Regierung mit Testsets versorgen. An den Landesgrenzen werden Kontrollen eingerichtet: Jeder Einreisende soll mit einem Schnelltest gecheckt werden können, sollte er keinen aktuellen negativen PCR-Test mitbringen. Der Ministerpräsident rechnet mit einem Bedarf von monatlich 4 Millionen bis 5 Millionen Tests, um die Ausbreitung positiver Fälle im Zaum zu halten.
Der Einsatz von Antigen-Schnelltests ist wegen ihrer geringeren Zuverlässigkeit nicht unumstritten. Im Vorfeld der ersten Testrunde stützte sich die Regierung auf eine Studie des Prager Krankenhauses Motol, nach der die positiven Diagnosen der Schnelltests im Vergleich mit PCR-Tests eine Trefferquote von 67 Prozent aufwiesen. Demzufolge könnten über Antigentests sieben von zehn Infizierten entdeckt werden. Durch die Ergebnisse der ersten Testrunde fühlt sich Ministerpräsident Matovič bestätigt. Mit Hilfe von PCR-Tests könnten aktuell an die 2.500 Virusträger täglich identifiziert werden, stellte er fest. Allein über das eine Wochenende aber sei es gelungen, bedeutend rascher und mehr Menschen mit hoher viraler Belastung ausfindig zu machen. Wären diese über 38.000 Infizierten nicht unter Quarantäne gestellt worden, hätten sie noch circa 50.000 weitere Menschen anstecken können.
Gegenwärtig schöpft die Verwaltung der staatlichen Materialreserve aus dem Vorrat, den sie vor dem Massentest einkaufte. Es handelt sich laut eines Artikels der Zeitung SME um insgesamt drei Lieferfirmen: Eurolab Lambda mit Tests des Herstellers SD Biosensor (Südkorea), Abbott Laboratories Slovakia mit Tests aus eigener Herstellung, Juhapharm mit Tests des Herstellers RapiGEN (Südkorea).