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Viele Firmen rechnen dennoch nach der Krise mit einer raschen Wiederbelebung des Geschäfts. Mittel aus dem Ende März beschlossenen US-Hilfspaket sind bereits zum Teil aufgebraucht.
20.04.2020
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Fast jede zweite deutsche Tochtergesellschaft in den USA steht vor einem Verlust von Arbeitsplätzen: Laut dem Mitte April veröffentlichten AHK World Business Outlook rechnen 43 Prozent im nächsten Jahr mit einem Personalabbau. Viele haben aber auch, in Erwartung einer schnellen und starken Erholung, Arbeitsplätze auf Home Office umgerüstet oder neue Schichtmodelle eingeführt.
Einige Firmen erwarten erst im 4. Quartal 2020 oder sogar noch später eine Wiederbelebung ihres Geschäfts, andere rechnen damit schon gegen Ende des 3. Quartals. Dies war der Tenor während einer „Listening Session“ des Delegierten der Deutschen Wirtschaft (RGIT), der als Verbindungsbüro des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) in Washington, D.C., fungiert. „Deshalb führen wir zum Beispiel unser Ausbildungsprogramm ICATT für Industrieberufe gemeinsam mit der AHK USA weiter“, sagt Hans Peter Riehle, Geschäftsführer von Wittenstein, einem Hersteller mechatronischer Antriebstechnik. „Dies ist eine notwendige Investition in die Zukunft.“
Ein besonderes Hindernis in dieser Situation sind die Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte. „Wir haben mehr als 600 Ausnahmen beantragt“, sagt Alan Zwickel, Vice President Sales and Marketing bei der Bestar Steel Group, die auf die Versorgung von Herstellern der Werkzeug-, Sägen- und Messerindustrie spezialisiert ist. Zwar werde davon nur rund ein Zehntel nicht bewilligt, in der Regel weil ein Hersteller in den USA Einspruch erhebt. Doch liege der Arbeitsaufwand pro Antrag bei 30 bis 60 Minuten und koste das Unternehmen daher Hunderte von Stunden Verwaltungsarbeit. „Sowohl diese als auch die höheren Inputkosten durch die Zölle selbst belasten unser Geschäft sowie das unserer Kunden, die jetzt mehr Geld ausgeben – besonders in einer Zeit, in der die Finanzen knapp sind“, so Zwickel weiter.
Da es für Zollbefreiungen Mengen- und Wertgrenzen gibt und sie maximal 12 Monate lang gelten, müssen sie laufend neu beantragt werden. Und eine zumindest temporäre Aussetzung ist bisher nicht in Sicht. „Dazu kommt, dass wegen des eingeschränkten Luftfrachtverkehrs die Frachtkapazitäten deutlich geringer sind und die Preise sich seit der Coronakrise vervierfacht haben“, meint Riehle.
Firmen kritisieren die oft mangelnde Abstimmung zwischen den Behörden auf Bundes- und bundesstaatlicher Ebene. „Wir arbeiten normalerweise rund um die Uhr, sieben Tage die Woche“, meint Joe Peilert, Chief Executive Officer (CEO) der US-Niederlassung von Veka, einem Produzenten von Kunststoff-Profilsystemen. „In Pennsylvania haben wir erst kurz vor dem Wochenende erfahren, dass wir zu den systemrelevanten Branchen gehören. Wir können daher zwar unseren Betrieb während der Coronakrise weiterführen, mussten uns dafür aber wegen der neuen Vorschriften extrem kurzfristig mit den Mitarbeitern abstimmen, wer am Wochenende und wer zur Nachtschicht kommt.“
Unterschiedliche Vorgehensweisen einzelner US-Bundesstaaten könnten bei fehlender landesweiter Koordinierung auch den Normalisierungsprozess erschweren: Mitte April haben mehrere US-Bundesstaaten, jeweils im Nordosten und im Westen des Landes, beschlossen, ihre Maßnahmen zur Lockerung von Ausgangsbeschränkungen und schrittweisen Wiedereröffnung ihrer Wirtschaft zu koordinieren. Gleichzeitig hat das Weiße Haus dazu einen eigenen Drei-Phasen-Plan vorgestellt. Dabei handelt es sich indes nur um eine Empfehlung, keine Verordnung.
Viele US-Niederlassungen deutscher Firmen haben Regierungshilfen aus dem Paycheck Protection Program (PPP) und Economic Injury Disaster Loan (EIDL) Program beantragt. Solche stehen für alle Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern zur Verfügung, die ihren Lohn aus den USA erhalten. Die Überbrückungskredite kommen von der Small Business Administration (SBA), einer Bundesbehörde, und werden über das Bankensystem abgewickelt. Beantragt werden können sie nur über Hausbanken, wobei in fast allen Fällen mit diesen schon einmal ein Darlehensverhältnis bestanden haben muss. Das soll belegen, dass der Kunde schon einmal gründlich auf seine Kreditwürdigkeit geprüft wurde.
Klagen seitens der Antragsteller halten sich bislang in Grenzen, was beachtlich ist: Denn während die SBA im Jahr 2019 nur um die 58.000 Kreditanträge bewilligte, waren es in den zwei Wochen ab Launch des PPP am 3. April 2020 über 1,6 Millionen. Damit sind die Hilfsmittel für diese Gruppe von Unternehmen, die eigentlich bis Ende Juni reichen sollten, aufgebraucht. Der Kongress arbeite bereits an einer Lösung, sagen Juristen.
Größere Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern können zwar nicht vom PPP und EIDL Program profitieren, aber von der Verschiebung der Abgabefrist für die US-Steuererklärung: Abgabetermin ist grundsätzlich der 15. April eines Jahres. An diesem Tag sind die Nachzahlungen für die Federal Tax und State Tax fällig. Letztere erheben US-Bundesstaaten zusätzlich zur Federal Tax. Gleichzeitig sind an diesem Tag die ersten Raten der Vorauszahlungen für das laufende Jahr fällig. „All diese Termine sind auf den 15. Juli 2020 verschoben worden“, sagt Jörg Kemkes, Partner in San Francisco bei der Münchner Kanzlei für Steuer- und Wirtschaftsberatung Rüter und Partner. „Mitte April wurde dann auch der Termin für die zweite Rate der Vorauszahlungen auf den 15. Juli verschoben – diese wäre sonst am 15. Juni fällig gewesen“, ergänzt Kemkes mit dem Hinweis, dass es sonst vermutlich zu erheblichen Finanzierungsengpässen gekommen wäre.
Um die Folgen der Coronakrise abzufedern, wird bereits über ein viertes Hilfsprogramm diskutiert. Es dürfte mindestens 1 Billion US-Dollar umfassen. Allerdings sind sich Demokraten und Republikaner bisher weder über die Höhe noch den Fokus weiterer Hilfen einig.