Mehr zu:
IndonesienMedizintechnik
Wirtschaftsumfeld
Branchen | Indonesien | Medizintechnik
Indonesiens Oberstes Gericht hat die geplanten Beitragserhöhungen der allgemeinen Krankenversicherung gekippt. Damit fehlen dem importabhängigen Gesundheitssystem Milliardensummen.
02.04.2020
Von Frank Malerius | Jakarta
Der Oberste Gerichtshof Indonesiens hat die im Oktober 2019 von der Regierung beschlossenen und zum 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Beitragserhöhungen der allgemeinen Krankenversicherung (JKN) für unrecht erklärt. Nach Ansicht der Richter verstoßen sie gegen die Verfassung und mehrere Gesetze. Geklagt hatte eine Gruppe von Dialysepatienten. Damit gehen der JKN Milliardensummen verloren, und das von Importen abhängige indonesische Gesundheitssystem steht vor einem langfristigen Finanzierungsproblem.
Die 2014 eingeführte allgemeine Krankenversicherung, die derzeit 223 Millionen Menschen ein Anrecht auf Gesundheitsleistungen verschafft und langfristig alle der heute 270 Millionen Indonesier versichern soll, fährt Defizite ein. Über deren Höhe gibt es verschiedene Angaben, ein Anwachsen sehen aber alle Quellen. Allein im Jahr 2019 soll der Fehlbetrag bei umgerechnet 2 Milliarden US-Dollar (US$) gelegen haben, 2021 könnte er auf über 3 Milliarden US$ anwachsen.
Dieses Szenario wollte die Regierung mit einer deutlichen Erhöhung der Beiträge vermeiden. In der niedrigsten Klasse sollten sie von monatlich 25.500 Rupiah (rund 1,80 US$; durchschnittlicher Wechselkurs 2019: 1 US$ = 14.167 Rupiah) auf 42.000 Rupiah (3,00 US$) steigen, in der höchsten Klasse von 110.000 Rupiah (7,80 US$) auf 160.000 Rupiah (11,30 US$).
Die seit 2014 konstanten Beiträge sind viel zu niedrig, um die Leistungen zu finanzieren, die durchaus eine Operation mit Nachsorge beinhalten können. Zudem bezahlt die Zentralregierung derzeit die Beiträge für 97 Millionen Indonesier, Provinzregierungen für weitere 37 Millionen Indonesier. Gleichzeitig hat die allgemeine Krankenversicherung zu einem Anspruchsdenken geführt. Sobald die Finanzierungslücken zu Streichungen im Leistungskatalog führen, regt sich so starker öffentlicher Protest, dass diese bisweilen zurückgenommen werden müssen.
Neben den zu geringen Beiträgen leidet die Krankenversicherung an mangelnder Zahlungsmoral. Laut der staatlichen Versicherungsgesellschaft BPJS Kesehatan zahlen die Versicherten ihre Beiträge nur zu durchschnittlich 58 Prozent. Viele Menschen melden sich im Krankheitsfall an und stellen nach der Genesung die Zahlungen wieder ein. Die Chancen, Beiträge einzutreiben, sind gering in einem Land, in dem nur zwischen 60 und 75 Prozent der Erwachsenen ein eigenes Bankkonto besitzen und die Mehrheit kein Anstellungsverhältnis hat.
Darüber hinaus sollen die 2.400 Krankenhäuser, die einen Vertrag mit der staatlichen Krankenversicherung haben, auf unbezahlten Rechnungen in Höhe von fast 1 Milliarde US$ sitzen. Im Jahr 2019 entfielen 84 Prozent aller Gesundheitsausgaben auf Krankenhäuser.
Die einzige Lösung, die für die Finanzierungsprobleme mittelbar in Sicht ist: Der Staatshaushalt wird weiterhin uneingeschränkt für die Fehlbeträge haften. Das dürfte nun allerdings schwerer fallen, da im Zuge der Corona-Pandemie die Regierung bereits teure Hilfspakete schnüren musste. Die für 2020 gesetzten Ziele für die Neuverschuldung sind schon jetzt Makulatur. Eine öffentliche Diskussion über die langfristige Finanzierbarkeit der allgemeinen Krankenversicherung steht noch aus.
Kurzfristig könnte es dennoch einen Nachfrageschub nach Medizintechnik geben, denn im Rahmen der Corona-Krise hat die indonesische Regierung einen Nachtragshaushalt beschlossen. Dieser sieht unter anderem für den Erwerb von medizintechnischer Ausrüstung wie Test- und Beatmungsgeräten ein Budget von umgerechnet 4,6 Milliarden US$ vor. Einfachere Produkte wie Masken und Schutzanzüge kann die heimische Textilindustrie weitgehend herstellen.
In welchem Umfang dieses Budget genutzt wird, ist schwer absehbar. Zum 1. April gab es offiziell 1.500 Covid-19-Infizierte sowie 136 Todesopfer. Die Dunkelziffer könnte angesichts geringer Testmöglichkeiten jedoch weitaus höher sein. Immerhin hat Indonesien zu diesem Zeitpunkt noch Zeit, sein für eine Epidemie insgesamt schlecht aufgestelltes Gesundheitssystem zumindest notdürftig auf größere Fallzahlen vorzubereiten.
Indonesiens Gesundheitswirtschaft ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Quasi jede Woche entsteht irgendwo im Archipel ein neues Krankenhaus oder eine Krankenstation. Pro Jahr steigt die Bevölkerungszahl um mehr als 3 Millionen Menschen und damit der Bedarf an medizinischer Versorgung. Zusätzlich nehmen mit steigendem Wohlstand Zivilisationsleiden wie Herz- und Kreislauferkrankungen oder Diabetes zu.
Die Technologie für deren Behandlung kommt fast ausschließlich aus dem Ausland, denn Indonesien stellt selbst nur einfache Gesundheitsprodukte wie Krankenhausmöbel oder Blutdruckmessgeräte her. Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen produzieren im Land auch Monitore, Inkubatoren und Dentalkameras. Größere und technisch aufwendigere Gerätschaften müssen aber eingeführt werden.
Der Archipel ist für ausländische Hersteller ein attraktiver Absatzmarkt. Innerhalb von fünf Jahren haben sich die indonesischen Einfuhren von Medizintechnik auf etwa 850 Millionen US$ (2018) mehr als verdoppelt. Deutschland gehörte auch 2019 mit Lieferungen im Wert von 110 Millionen US$ zu den wichtigsten Bezugsquellen. Als großer Treiber des Bedarfs gelten neben der staatlichen Krankenversicherung vor allem private Gesundheitsleistungen für die wachsende Mittelschicht.
Eine große Bedrohung für die Nachfragekurve der vergangenen Jahre könnte der Wertverlust der Rupiah im Zuge der Corona-Pandemie werden. Denn die indonesische Währung verlor zwischen Ende Februar und Ende März 2020 um 20 Prozent an Wert gegenüber US-Dollar und Euro. Sollten die aktuellen Kurse von Dauer sein, dürfte das massiv auf die Nachfrage nach ausländischer Medizintechnik drücken.