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Die Coronakrise belastet insbesondere die Start-ups in der Frühphase. Es fließt jedoch weiterhin Risikokapital in innovative Jungunternehmen.
06.07.2020
Von Oliver Idem | Madrid
Die Coronakrise sorgt bei Spaniens Start-ups für Liquiditätsprobleme. Besondere Schwierigkeiten haben frisch gegründete Unternehmen. Viele können die Kriterien von Banken für Kredite und Bürgschaften nicht erfüllen. Die Internetzeitung El Referente veröffentlichte im April 2020 einen Überblick über Hilfsmaßnahmen inklusive Initiativen der Autonomen Regionen.
Einige geplante Finanzierungsrunden wurden zwar auf den Herbst 2020 verschoben, die Aktivitäten erlahmten jedoch nicht. Zwischen Mitte März und Mitte Juni gelang es der Wirtschaftszeitung Cinco Días zufolge 67 spanischen Start-ups, insgesamt 126 Millionen Euro Risikokapital zu mobilisieren. Die Gesellschaft Ysios Capital legte im Juni 2020 einen neuen 200-Millionen-Euro-Fonds auf. Damit will Ysios in bis zu 15 europäische Start-ups investieren, die Medikamente entwickeln.
Neben der Gesundheitswirtschaft genießt die Digitalisierung momentan besondere Aufmerksamkeit. Anwendungen, die ohne physischen Kontakt auskommen, haben durch die Coronakrise Rückenwind erhalten. Das gilt auch weit über das Gesundheitswesen hinaus.
Spanien belegt im Global Innovation Index 2019 mit Platz 29 einen Rang im oberen Viertel der untersuchten Länder. Im Digital Economy and Society Index 2020 reichte es zum elften Platz unter 28 EU-Staaten. Besondere Stärken Spaniens bildeten E-Government und die Konnektivität.
Die Entwicklung der spanischen Start-up-Szene begann Ende der 1990er Jahre in Barcelona. Etwa ab 2011/2012 beschleunigte sich die Entwicklung. Laut einer Studie des Risikokapitalfonds Atomico flossen zwischen 2012 und 2016 circa 1,8 Milliarden Euro Investitionen in junge spanische Unternehmen. Im Vergleich dazu illustrieren die 1,3 Milliarden Euro Kapital des Jahres 2019, dass sich die Szene weiterhin dynamisch entwickelt hat.
Mobile World Capital schätzte die Anzahl der Start-ups in Spanien 2018 auf rund 4.100. Von diesen hatten jeweils circa 30 Prozent ihren Sitz in den größten Städten Madrid und Barcelona sowie 6 Prozent in Valencia. Hinsichtlich des Investitionswerts lag Barcelona eindeutig an der Spitze.
Als Tätigkeitsfelder dominieren Haushalt (34 Prozent) sowie Gesundheit und Wellness (29 Prozent). Dahinter folgten Verkehr und Mobilität (23 Prozent) sowie Reisen (21 Prozent). Überlappungen und Mehrfachnennungen waren laut Mobile World Capital möglich, ebenso wie bei den Angaben zum Geschäftsmodell. Die häufigsten Modelle waren Marktplätze (62 Prozent), E-Commerce (43 Prozent) und Apps (42 Prozent).
Spanien hat bislang drei Unicorns hervorgebracht, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden: LetGo (Second-Hand-Portal), Cabify (Autovermietung mit Fahrer) und Glovo (Lieferdienst).
Um erfolgreich um Risikokapital zu werben, ist die Internationalisierung für spanische Start-ups sehr wichtig. Gleiches gilt für die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells. Andererseits gehen nicht alle spanischen Jungunternehmen den Schritt ins Ausland. Die großen bekannten Namen wie Busuu, Cabify, Glovo, Job and Talent, Lingokids oder Wallapop sind jedoch international vertreten.
Die Bedeutung von Frauen im Start-up-Ökosystem nimmt zu. Die erfahrene Unternehmerin María Benjumea gründete 2012 die spätere Betreibergesellschaft des wichtigen Events South Summit. María Fanjul sammelte Führungserfahrung in zwei Start-ups und verantwortete danach mit 34 Jahren den gesamten Onlinehandel des Bekleidungsunternehmens Inditex.
In der Wirtschaftszeitung Actualidad Económica berichteten zehn Unternehmerinnen von ihren Erfahrungen. Frauen gründen zunehmend Start-ups und das wird auch vermehrt wahrgenommen und wertgeschätzt. In 39 Prozent der Gründungsteams von spanischen Start-ups waren 2019 Frauen vertreten. Dennoch stoßen sie häufiger auf Klischees, etwa wenn sie als Gründerinnen automatisch in die "soziale Schublade" einsortiert werden oder davon ausgegangen wird, dass sich ihre Aufgaben eher um Marketing als um Technik drehen.
In Spanien hat sich eine Infrastruktur von rund 170 Inkubatoren und Akzeleratoren gebildet. Manche sind mit Finanzinstitutionen oder Business Schools verbunden, die Aufbaustudiengänge mit dem Inhalt Digitalisierung oder Digitalwirtschaft anbieten. Zu den bekanntesten gehören Google Campus, Lanzadera (gehört Juan Roig, dem Eigentümer der Supermarktkette Mercadona) und Wayra (gehört zum Telekommunikationskonzern Telefónica).
Spanische Start-ups haben 2019 Wagniskapital von 737 Millionen Euro erhalten. Die Anzahl der Unternehmen war mit 517 so hoch wie noch nie. Dabei stammten die meisten Finanzierungen von nationalen privaten Fonds. Spanische Risikokapitalgesellschaften sind überwiegend kleiner als die internationalen mit weltweiter Präsenz. Im Durchschnitt verfügen die lokalen Geldgeber über etwa 50 Millionen Euro und der größte über Finanzmittel im Wert von 150 Millionen Euro.
Für Start-ups existieren vor allem zwei landesweite Förderinitiativen. Das staatliche Zentrum Centro de Desarrollo Tecnológico Industrial fördert über sein Programm Neotec technische Entwicklungen. Das öffentliche Unternehmen Empresa Nacional de Innovación bietet Förderprogramme und Finanzierungen für kleine und mittlere Unternehmen an. Die staatliche Investitionsförderungsgesellschaft ICEX verfolgt mit dem Programm "Rising up" das Ziel, ausländische Start-ups nach Spanien zu locken.
Wesentliche Veranstaltungen für Start-ups sind der Mobile World Congress mit der Plattform Four Years From Now in Barcelona. Als nächster Termin ist der 1. bis 4. März 2021 vorgesehen. In der Hauptstadt Madrid soll vom 15. bis 17. September 2020 das Mischkonzept Digital Enterprise Show stattfinden. Für das bekannte Start-up-Event South Summit lautet das nächste Datum 6. bis 8. Oktober 2020.