Rechtsbericht | Ukraine | Arbeitsrecht
Arbeitsrecht
Das ukrainische Arbeitsrecht ist traditionell arbeitnehmerfreundlich. Eine umfassende Reform steht weiter aus.
03.08.2021
Von Igor Dykunskyy, Kanzlei DLF Rechtsanwälte Ukraine, Olga Ianushevych, Kanzlei DLF Rechtsanwälte Ukraine | Kiew
Gesetzliche Regelungen auf einen Blick
Vergütung |
Wird durch Kollektivverträge/Betriebsvereinbarungen geregelt oder im Arbeitsvertrag vereinbart |
Mindestlohn |
6.000 Hrywnja (UAH); geplante Anhebung auf 6.500 UAH zum 1. Dezember 2021 |
Arbeitsstunden pro Woche |
Maximal 40 Stunden; für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern gilt eine geringere wöchentliche Höchststundenzahl; möglich ist die Vereinbarung einer Fünf- oder Sechs-Tage-Woche, wobei die tägliche Arbeitszeit im letzteren Fall sieben Stunden und am Samstag fünf Stunden nicht überschreiten darf. |
Regelarbeitstage pro Woche |
5 oder 6 |
Zulässige Überstunden |
Nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig; nicht mehr als 4 Stunden innerhalb von zwei aufeinanderfolgenden Tagen und maximal 120 Stunden pro Jahr; mit doppeltem Stundensatz vergütet |
Bezahlte Feiertage |
11 Feiertage, die auf einen arbeitsfreien Tag fallen, werden in der Regel am nachfolgenden Werktag nachgeholt; dies gilt auch für Oster- und Pfingstsonntag. |
Bezahlte Urlaubstage |
24 Kalendertage jährlicher Regelgrundurlaub; mehr Tage jährlicher Grundurlaub für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern; zusätzliche Urlaubstage in einigen Branchen mit körperlich schwerer Arbeit und/oder Arbeit mit Gesundheitsrisiken, für besondere Arten von Arbeit sowie für Beschäftigte mit Kindern |
Sonderzahlungen pro Jahr in Monatslöhnen (13. und/oder 14. Gehalt) |
13. Gehalt (Jahresendprämie), 14. Gehalt (materielle Hilfe für die Rehabilitation, wird vor den Ferien ausgezahlt) in staatlichen Bereichen zumeist obligatorisch; Sonderzahlungen werden in der Regel in Kollektivverträgen geregelt. |
Tage mit bezahltem Arbeitsausfall (zusätzlicher und sozialer Urlaub) |
Zusätzlicher Urlaub zur Fort- und Weiterbildung, Sonderurlaub für das Verfassen von Dissertationen oder Lehrbüchern, zur Vorbereitung und Teilnahme an Wettkämpfen sowie zusätzlicher Urlaub für bestimmte Personenkategorien; sozialer Urlaub bei Geburt und Adoption, Schwangerschaft, Kinderbetreuung bis zum dritten vollendeten Lebensjahr; der Sozialversicherungsfonds übernimmt die Bezahlung nur in den beiden zuletzt genannten Fällen; in den anderen Fällen ist der Arbeitgeber zuständig; siehe Regelungen im Gesetz "Über die Urlaube" |
Tage mit Lohnfortzahlung bei Krankheit |
Arbeitgeber während der ersten 5 Krankheitstage, anschließend Sozialversicherungsfonds |
Probezeit |
1 Monat bei Arbeitern (der Begriff ist im Gesetz nicht näher definiert); bis zu 3 Monate bei allen anderen Arbeitnehmern; im Ausnahmefall mit gewerkschaftlicher Genehmigung Verlängerung auf 6 Monate möglich; Artikel 26 des Arbeitsgesetzbuches (ArbGB) listet eine Reihe von Fällen auf, in denen die Probezeit nicht zulässig ist. Hierzu zählen:
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Quelle: DLF Rechtsanwälte Ukraine
Rechtsgrundlagen
Das ukrainische Arbeitsgesetzbuch (ArbGB) beruht auf dem aus der Sowjetzeit stammenden Kodex der Arbeitsgesetze von 1971. Die Ukraine ist unter den Nachfolgestaaten der Sowjetunion somit das einzige Land, das dieses Regelwerk noch anwendet. In der Zwischenzeit wurde es durch eine Reihe von Gesetzen ergänzt. Hierzu zählen die Gesetze "Über den Arbeitslohn", "Über kollektive Verträge und Vereinbarungen", "Über den Arbeitsschutz" und "Über den Urlaub".
Das Arbeitsrecht gilt als ausgesprochen arbeitnehmerfreundlich und trotz etwa 150 Novellierungen als stark reformbedürftig.
Im Zuge der Coronapandemie führte die Regierung im Frühjahr 2020 gesetzliche Regelungen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung, Telearbeit und Heimarbeit ein. Zuletzt wurden auch Bestimmungen zur Sicherung der Chancengleichheit von Mutter und Vater in der Kinderbetreuung sowie Rechtsgarantien für mobil Arbeitende gesetzlich geregelt. Das Arbeitsbuch ("Trudowa knyshka") wird im Laufe von fünf Jahren durch eine elektronische Version ersetzt.
Vertragsabschluss sowie Rechte und Pflichten der Vertragsparteien
Ein Arbeitsvertrag wird in der Regel schriftlich abgeschlossen (Art. 24 ArbGB). In den gesetzlich vorgesehenen Fällen ist die schriftliche Form verpflichtend.
Ein Arbeitnehmer darf erst zur Arbeit zugelassen werden, nachdem er einen Arbeitsvertrag geschlossen hat, der durch innerbetriebliche Anordnung oder Verordnung des Arbeitgebers genehmigt wurde. Darüber hinaus ist vorab das Steueramt der Ukraine zu informieren.
Verpflichtende Bestandteile des Arbeitsvertrags regeln:
- die Arbeitsstelle (Aufgaben, Zuständigkeiten);
- die Höhe der Vergütung;
- die Probezeit (sofern vereinbart);
- den Arbeitsort und die Arbeitszeit.
Die Höhe der Entlohnung kann leistungsorientiert festgelegt werden. Möglich sind auch die Aufnahme von Regelungen zur Urlaubsgewährung, zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses sowie zu arbeitsrechtlichen Haftungen. Dabei ist zu beachten, dass die arbeitsvertraglichen Bestimmungen den Arbeitnehmer im Vergleich zu den gesetzlichen Vorschriften nicht schlechter stellen dürfen. Im diesem Fall sind die Bedingungen ungültig.
Eine besondere Form des Arbeitsvertrags ist der Arbeitskontrakt (Art. 21 Abs. 3 ArbGB). Dieser bietet den Parteien einen größeren Gestaltungsspielraum und wird daher insbesondere bei Arbeitsverhältnissen mit Geschäftsführern genutzt. Dabei können Vereinbarungen getroffen werden, die von den gesetzlichen Vorschriften abweichen, beispielsweise zur Vertragsdauer oder zu Bedingungen einer vorzeitigen Vertragsauflösung.
Die Beschäftigung von Arbeitnehmern wird gemäß den Gesetzesänderungen vom 5. Februar 2021 in elektronischer Form geführt. Das Gesetz "Über die Erhebung und Abrechnung eines einheitlichen Beitrags zur staatlichen Sozialversicherung" sieht vor, versicherte Personen in ein Sozialversicherungsregister aufzunehmen. Dieses soll die Zahlungen an die staatliche Sozialversicherung erfassen und abrechnen.
Auf Verlangen eines Erstbeschäftigten muss der Arbeitgeber das Arbeitsbuch spätestens 5 Tage nach der Einstellung ausfertigen. Der Arbeitnehmer bewahrt das Arbeitsbuch auf und kann vom Arbeitgeber gesetzlich verlangen, Informationen über die Einstellung, Versetzung und Entlassung, Anreize und Belohnungen für den Arbeitserfolg in das Arbeitsbuch einzutragen.
Vertragsbeendigung
Allgemeine Kündigungsgründe sind in Art. 36 ArbGB festgelegt. Der Arbeitnehmer kann einen unbefristeten Vertrag gemäß Art. 38 ArbGB ohne Angabe von Gründen schriftlich unter Einhaltung einer Frist von 2 Wochen kündigen. Vom Arbeitgeber kann ein befristeter Arbeitsvertrag nur dann vorzeitig gekündigt werden, soweit dies nach Art. 39 ArbGB zulässig ist.
Die Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber werden ab Art. 40 ArbGB geregelt. Die Kündigung durch den Arbeitgeber ist nach Art. 43 ArbGB in bestimmten Fällen nur mit vorheriger Zustimmung der Gewerkschaften zulässig. Der Arbeitgeber hat in der Regel keine Möglichkeit, einen ablehnenden Beschluss der betrieblichen Gewerkschaftsvertreter anzufechten.
Für die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Vorschriften in der Praxis ist das staatliche Amt der Ukraine für Arbeit (Arbeitsamt) zuständig. Ausländische Investoren sollten die geltenden Rechtsgrundsätze in jedem Fall beachten und für eine gründliche Dokumentation der Einstellung und Beschäftigung von Arbeitskräften sorgen, um Konflikten vorzubeugen.
Bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber aufgrund von Änderungen in der Produktions- und Arbeitsorganisation genießen bestimmte Gruppen von Beschäftigten Vorzugsrechte auf den Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Dazu zählt als Kriterium zum Beispiel eine höhere Leistungsfähigkeit und Qualifikation. Bei gleichen Voraussetzungen kommt eine Sozialauswahl zum Tragen.
Arbeitnehmer wie Schwangere oder Frauen mit Kindern im Alter von bis zu 3 Jahren, alleinerziehende Mütter mit einem Kind unter 14 Jahren oder einem Kind mit einer Behinderung genießen in einem regulären Beschäftigungsverhältnis einen besonderen Schutz und können nur vom Arbeitnehmer gekündigt werden, wenn das Unternehmen insgesamt geschlossen wird. Die gleiche Garantie gilt auch für Väter, die Kinder ohne Mutter erziehen (auch bei einem längeren Aufenthalt der Mutter in einer medizinischen Einrichtung), sowie für Erziehungsberechtigte (Treuhänder), einen Adoptiveltern- oder Pflegeelternteil.
Bei Kündigung durch den Arbeitgeber sind in bestimmten Fällen Abfindungszahlungen an den Arbeitnehmer zu leisten. Diese bewegen sich zumeist im Umfang von einem bis sechs durchschnittlichen Monatslöhnen.
Bei beiderseitigem Einvernehmen bieten Aufhebungsverträge eine Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis zu beenden. Eine Zustimmung der Arbeitnehmervertretung ist damit nicht erforderlich. Sie ermöglichen zudem auch die Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit besonders geschützten Arbeitnehmern.