Die EU stellt die Einfuhr von russischen Düngemitteln unter Strafe, erlaubt jedoch den Transport in Drittstaaten. Der Kreml findet neue Abnehmer in Asien und im Globalen Süden.
Russland und Belarus gehören zu den führenden Lieferanten von mineralischen Düngemitteln. Auf Russland entfallen rund 45 Prozent der weltweiten Lieferungen bei Ammoniumnitrat, rund 20 Prozent bei Kalidünger und 14 Prozent bei Phosphatdüngemitteln. Vor Kriegsbeginn führte Russland jährlich rund 37,6 Millionen Tonnen Dünger im Gesamtwert von 12,5 Milliarden US-Dollar (US$) aus.
Düngemittel für Drittstaaten nicht von EU-Sanktionen betroffen
Die Europäische Union (EU) sanktioniert in ihrem 5. Sanktionspaket seit 10. Juli 2022 die Einfuhr von Düngemitteln aus Russland und Belarus. Betroffen sind mineralische oder chemische Dünger, die Stickstoff, Phosphor und Kalium enthalten, sowie andere Düngemittel aus Kalium. Daneben stehen mit den Oligarchen Dmitri Masepin (Uralchim, Uralkali), Andrej Melnitschenko (Evrochim) und Andrej Gurjew (Phosagro) die Eigentümer der wichtigsten russischen Düngemittelhersteller auf der EU-Sanktionsliste.
Der weltweite Handel mit den für die globale Ernährungssicherheit wichtigen russischen Düngemitteln ist hingegen bewusst von den Sanktionen ausgenommen. Am 19. September 2022 erlaubte Brüssel Düngerlieferungen in Nicht-EU-Staaten und ergänzte am 7. Oktober, dass die Verschiffung auch über Häfen in der EU erfolgen dürfe. Die EU-Kommission konkretisierte in ihren Leitlinien, dass auch die Finanzierung und Versicherung von Düngemittellieferungen in Drittländer keinen EU-Sanktionen unterliegen. Zudem genehmigte die EU ihren Mitgliedstaaten im Dezember 2022 Exportgeschäfte von Düngemitteln mit Personen, die vor ihrer Aufnahme in die Sanktionsliste eine bedeutende Rolle im internationalen Handel mit Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen gespielt hatten.
Der Kreml beharrt jedoch darauf, dass die Finanzsanktionen des Staatenbundes den Export von Düngemitteln in Drittländer behindern würden. Die EU erwidert, dass ausreichend Zahlungskanäle offen stünden, um Zahlungen abzuwickeln. Doch zögern viele Händler, Reedereien und Versicherer von sich aus, mit Düngemitteln aus Russland zu handeln.
Zudem beklagt Moskau, dass die Ukraine sich weigere, den nach Kriegsbeginn eingestellten Transport von Ammoniakgas über eine Pipeline von Togliatti im Gebiet Samara an den Hafen von Odessa wieder aufzunehmen. Die Vereinten Nationen wollen im Rahmen des Getreideabkommens eine Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland vermitteln, damit russisches Ammoniak wieder durch die Pipeline gepumpt werden kann. Parallel dazu begann Uralchim mit dem Bau einer neuen Pipeline zum Hafen Taman, die Ende 2023 in Betrieb gehen soll.
Auch die US-Sanktionsbehörde Office of Foreign Assets Control (OFAC) erweiterte im Januar 2023 die Ausnahmen vom Sanktionsregime um Düngemittel. Das US-Finanzministerium ermuntert Banken, strategisch wichtigen russischen Herstellern von Düngemitteln wie Phosagro oder Uralkali auch weiterhin Dienstleistungen wie die Abwicklung von Zahlungen, Überweisungen oder Handelsfinanzierungen anzubieten, um eine weltweite Hungersnot zu verhindern.
Exporte von Düngemitteln aus Russland sinken
Obwohl Düngemittel für Drittländer bewusst von den Sanktionen ausgenommen sind, ging die Ausfuhrmenge aus Russland im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent zurück, meldet der Branchenverband RAPU. Vor allem die Nachfrage nach Kalidünger brach ein. Hauptgrund sind logistische Probleme, da sich nach Kriegsbeginn internationale Transportunternehmen aus dem russischen Markt zurückgezogen haben.
Aufgrund der hohen Weltmarktpreise für Erdgas, das als Ausgangsstoff für viele Düngemittel verwendet wird, stiegen die Ausfuhren im Jahr 2022 im Wert um rund 70 Prozent auf rund 17 Milliarden US$, berechnete die Welternährungsorganisation. Nach Kriegsbeginn kletterte der Preis für eine Tonne Ammoniumnitrat-Harnstoff (Urea Ammonium Nitrat) auf einen Höchststand von 865 US$. Ein Jahr später halbierte sich infolge sinkender Gaspreise der Preis auf rund 420 US$ pro Tonne – Tendenz weiter fallend. Entsprechend werden Russlands Exporterlöse mit Düngemitteln 2023 sinken.
Russland und Belarus reagierten auf die westlichen Sanktionen mit Gegenmaßnahmen. Beide Länder reduzierten ihrerseits die Ausfuhr von Düngemitteln nach Europa mittels Quoten und Zöllen. Seit 1. Januar 2023 werden beispielsweise auf Mineraldünger mindestens 450 US$ Zoll pro Tonne erhoben. Die russische Regierung hob die Exportquoten zuletzt wieder an. Bis 31. Mai 2023 dürfen monatlich 665.000 Tonnen Ammoniumnitrat und etwa 582.000 Tonnen Sulfoammophos ausgeführt werden.
Russland sucht neue Absatzmärkte für Düngemittel
Russland lenkt seine Düngemittelausfuhren in "befreundete" Staaten wie China, Indien oder Vietnam um. Russische Exporteure setzen dabei auf Preisdumping und bieten ihren Dünger rund 10 Prozent unter den globalen Marktpreisen an.
Brasilien steigerte seine Importe von russischem Dünger im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Drittel auf 6,2 Milliarden US$, meldet UN-Comtrade.
Für Indien ist Russland jetzt wichtigster Lieferant von Düngemitteln. Das größte Flächenland der Welt steigerte in der ersten Hälfte des Fiskaljahrs 2022/2023 (von April bis September 2022) seine Exporte von Dünger um 20 Prozent auf 2,2 Millionen Tonnen im Gesamtwert von 1,6 Milliarden US$. Damit deckte Russland ein Fünftel des indischen Bedarfs.
Auch die Philippinen, Nepal und eine Reihe afrikanischer Länder wie Malawi und Eswatini möchten künftig verstärkt Düngemittel aus Russland importieren, um die lokale landwirtschaftliche Produktion anzukurbeln.
Produktion von Düngemitteln sinkt
Trotz teilweiser Exporterfolge sinkt die Düngerproduktion in Russland. In den ersten beiden Monaten 2023 fiel die produzierte Menge an Mineraldünger um 10,2 Prozent auf 4 Millionen Tonnen, meldet der russische Statistikdienst. Marktführer Uralkali kündigte zwei Sonderinvestitionsverträge (SPIK 1.0) mit der Regierung der Region Perm im Wert von 1,8 Milliarden Euro. Der größte russische Hersteller von Mineraldüngemitteln befürchtet eine Überproduktion.
Von Hans-Jürgen Wittmann
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Berlin