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Wirtschaftsumfeld | Schweden | Regierungsbildung

Schweden hat endlich seine erste Premierministerin

Nach einem misslungenen ersten Anlauf am Marathon-Mittwoch wurde Magdalena Andersson beim zweiten Versuch an die Regierungsspitze gewählt. Im Fokus soll der grüne Neustart mit Ökostrom-Netzen, mehr Offshore-Windkraft und Ökolandwirtschaft stehen.

Von Michał Woźniak | Stockholm

Durch den zwischenzeitlichen Verlust ihres grünen Koalitionspartners (Miljöpartiet de gröna) stimmten am  29. November 2021 nur 101 der 349 Riksdag-Abgeordneten für Magdalena Andersson, die Parteichefin der Sozialdemokraten (Socialdemokraterna) als neue Premierministerin. Neben 75 Enthaltungen sprachen sich 173 Abgeordnete gegen sie aus. In den politischen Systemen Skandinaviens braucht eine Regierung keine Stimmenmehrheit für sich zu gewinnen. Sie wird bestätigt, solange die Gegenstimmen weniger als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen ausmachen.

Für neue Gesetzesvorhaben gilt das nicht. Magdalena Andersson wird also für jede Initiative neue Allianzen schnüren müssen. Dabei verhärteten sich in den letzten Jahren auch in Schweden die politischen Fronten. Die Unterstützung der Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) - eine Art Alternative für Schweden - die nahezu jeden fünften Parlamentssitz innehaben, gilt zudem als politisches Tabu.

Dabei waren es unter anderem die Rechtspopulisten, die die erste Wahl Anderssons verhagelt haben. Sie unterstützten den oppositionellen Budgetentwurf, der nun für 2022 gelten wird. Weil sich die bis dahin mitregierenden Grünen weigerten ihn zu realisieren und aus der Koalition austraten, musste die designierte Premierministerin nur sieben Stunden nach ihrer Wahl und noch vor der offiziellen Kür durch den König das Amt aufgeben.

Start mit angezogener Handbremse

Der Haushaltsplan legt der neuen Regierung noch weitere Steine in den Weg, denn einige seiner Eckpunkte stehen im Gegensatz zu der angestrebten politischen Ausrichtung. Er sieht unter anderem die Streichung der von den Sozialdemokraten eingebrachten sogenannten Familienwoche vor - zusätzliche Urlaubstage für Eltern mit minderjährigen Kindern. Ferner wurde auf Bemühungen der Konservativen hin eine Senkung der Treibstoffsteuer beschlossen.

In ihrer Antrittsrede unterstrich Andersson derweil: "Die Politik der Regierung wird sich in den kommenden Jahren durch das energische Angehen dreier schwerwiegender gesellschaftlicher Probleme auszeichnen. Erstens: Alles tun, um die Segregation abzubauen und die rücksichtslose Kriminalität zu bekämpfen, die derzeit die gesamte Gesellschaft bedroht. Zweitens: Vorantreiben der grünen industriellen Revolution durch Investitionen im ganzen Land. [...] Drittens: Wiedererlangen der Kontrolle über den Sozialstaat, damit jeder [...] die für seine Arbeit erforderlichen angemessenen und fairen Bedingungen vorfindet. Auf diese Weise können wir eine hohe Qualität in den Schulen, im Gesundheitswesen und in der Sozialfürsorge im ganzen Land sicherstellen."

Neue nachhaltige Geschäftschancen

Damit setzt sie die Linie ihres Vorgängers Stefan Löfven fort. Auf konkrete neue Vorhaben oder Initiativen ging sie kaum ein, verwies stattdessen auf die Kontinuität zu den Anstrengungen der bisherigen Regierung. "Wenn Schweden jetzt nach der Pandemie in die Überwindung der Rezession investiert, so geschieht dies durch einen grünen Neustart [...]. Fossilfreie Stahlproduktion. Batteriefabriken. Elektrische Lastkraftwagen. Dadurch werden Emissionen reduziert und Zehntausende neuer Arbeitsplätze geschaffen", unterstrich Andersson. Sie kündigte an, den Fonds für Staatsgarantien für grüne Kredite aufzustocken und eine aus öffentlichen Mitteln gestützte "Kompetenzinitiative für den Klimawandel" auf den Weg zu bringen.

Sie griff die sich in Erarbeitung befindliche Elektrifizierungsstrategie auf, die unter anderem das Ausbaupotenzial der bestehenden Netze untersuchen und zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Stromquellen beitragen soll. "Anstrengungen zur Erweiterung der Offshore-Windkapazitäten sind ein wichtiger Bestandteil davon", so die Regierungschefin. Genannt wurden ferner das Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums, in dessen Rahmen "umfangreiche Investitionen in eine wettbewerbsfähige und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft getätigt" werden sollen, der für 2022 angekündigte neue Transportplan, der "neue Schritte in Richtung einer modernen, fossilfreien Verkehrsinfrastruktur" vorgeben soll sowie der fortlaufende Breitbandausbau und ein differenzierter Ansatz bei Uferschutzmaßnahmen.

Reicht die Kraft?

Bei der Umsetzung wird Andersson von einem stark umgekrempelten Ministerrat unterstützt. Er ist um einen Posten auf 22 geschrumpft. Der Aufstieg der Premierministerin führte zum Austausch der kompletten Führungsriege im Finanzministerium. Neu ist auch die nun zweiköpfige Spitze im umbenannten Ressort für Handel und Industrie. Die restlichen fünf Neubesetzungen sind überwiegend auf das Ausscheiden des Koalitionspartners zurückzuführen.

Inwieweit die neue Mannschaft unter der laut Wirtschaftsblatt Dagens Industri "am besten qualifizierten Premierministeramt-Kandidatin der Neuzeit" wirklich neue Initiativen angehen kann, bleibt abzuwarten. Aufgrund der Stimmverteilung im Riksdag und der bis zur nächsten Parlamentswahl bleibenden zehn Monate prophezeit Ewa Stenberg, politische Kommentatorin der führenden Tageszeitung Dagens Nyheter: "Jetzt wird es viel Gerede und wenig Taten in der Politik geben.“ Auch die Premierministerin könnte sich bessere Voraussetzungen vorstellen, aber: "Irgendjemand muss Ministerpräsidentin dieses Landes sein und es scheint keine Alternativen zu geben", resümierte sie die derzeitige Situation während einer Pressekonferenz.

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