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Elektromobilität, E-Auto an der Steckdose | © www.andrehavergo.com/stock.adobe.com

Special | V4-Länder | Ungarn

Ungarn: Auf dem Weg zum Hightechstandort

Niedrige Steuern locken Investoren

Ungarns Wirtschaft ist stark von internationalem Kapital geprägt. Ausländische Unternehmen haben beträchtliche Summen in Produktionsstandorte investiert. Deutschland und Ungarn sind wirtschaftlich eng verflochten und ergänzen sich in vielen Bereichen. Durch gezielte Förderung will die ungarische Regierung die Industrie auf eine neue technologische Stufe heben. Jedoch gibt es politische Risiken.

Von Waldemar Lichter | Budapest

Die ungarische Industrie ist stark ausfuhrorientiert. Niederlassungen deutscher Firmen haben daran einen wesentlichen Anteil. Heute sind in Ungarn rund 2.500 deutsche Unternehmen tätig mit rund 250.000 Beschäftigten. Im deutsch-ungarischen Handel sind Maschinen und Fahrzeuge die wichtigsten Warengruppen, gefolgt von chemischen Erzeugnissen sowie elektrischen Geräten und Ausrüstungen. Auch im Bereich der Nahrungsmittel- und Agrarprodukte ist der Austausch rege.

Neben der Hauptstadt Budapest ist besonders der Nordwesten ein wichtiges Wirtschaftszentrum. Bereits seit den 90er Jahren ist Audi mit einem Pkw- und Motorenwerk in Győr vertreten. Der Konzern rüstet es aktuell auf elektrische Modellreihen um. Elektroautos sollen künftig auch am Mercedes-Standort in Kecskemét von den Bändern rollen - das Werk wird um neue Montagelinien erweitert. Andere Landesteile ziehen in der wirtschaftlichen Entwicklung nach und Großinvestitionen an. BMW etwa will im ostungarischen Debrecen ein Werk für Elektroautos bauen.

Die Elektromobilität entwickelt eine Eigendynamik, denn parallel entstehen Batteriefabriken. Besonders fernöstliche Batteriehersteller wie Samsung SDI, SK Innovation oder CATL wollen von Ungarn aus den europäischen Markt bedienen. Daneben siedeln sich Zulieferer von Komponenten für die Batterieherstellung an. Auch bei anderen Zukunftsthemen will Ungarn mitmischen. Ein Leuchtturmprojekt ist die von der Regierung initiierte Teststrecke für autonomes Fahren in Zalaegerszeg. Der Zalazone-Technologiepark dient der Entwicklung und Erprobung autonomer Fahrzeuge, aber auch verbundener Technologien wie des Mobilfunknetzstandards 5G oder künstlicher Intelligenz für Fahrzeugsensorik. Unter anderem Bosch wird dort an der Mobilität der Zukunft arbeiten. Continental errichtet ein Entwicklungszentrum für künstliche Intelligenz in Budapest.

Schon gewusst?

9 Prozent beträgt der allgemeine Körperschaftsteuersatz in Ungarn und ist damit der geringste in der EU.

Auch für den Mittelstand attraktiv

Als Investitionsstandort ist Ungarn bei internationalen Firmen nach wie vor beliebt. Dem haben bislang auch Dissonanzen auf politischer Ebene zwischen Ungarn und der EU beim Thema Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung keinen Abbruch getan.

Neben großen Namen wie Audi, Mercedes, Bosch oder Siemens sind es immer mehr mittelständische Unternehmen, die Ungarn für sich entdecken. "Im regionalen Standortwettbewerb mit Nachbarländern wie der Slowakei weiß sich Ungarn durch vorteilhafte Konditionen zu behaupten", sagt Ilona Balogh, Leiterin Marktberatung bei der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, die regelmäßig Standortanalysen durchführt. "Ein Vorteil ist dabei die attraktive Unternehmensbesteuerung: Die Körperschaftsteuer beträgt 9 Prozent, einer der niedrigsten Steuersätze in der EU", erläutert Balogh. Weiterhin sind die Produktions- und Energiepreise vergleichsweise günstig. Unternehmen schätzen ferner die wettbewerbsfähigen Arbeitskosten und die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten.

Wie fast überall in Europa ist der Fachkräftemangel ein Problem. Zwar gelten ungarische Arbeitskräfte als gut ausgebildet. Sie sind kreativ, flexibel und "gut im Improvisieren", so Landeskenner. Doch ist Personal nicht überall ausreichend verfügbar. Das kann beim Aufbau oder der Erweiterung von Produktionskapazitäten zum Engpass werden, treibt aber auch die Automatisierung voran.

Strategische Industriezweige werden entwickelt

Die Regierung betreibt aktive Investitionsförderpolitik. Vorhaben, die beitragen, die Ungarns Industrie technologisch modernisieren, werden mit hohen staatlichen Zuschüssen bedacht. Diese können je nach Region und Branche bis zu 50 Prozent der Investitionskosten erreichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Hungarian Investment Promotion Agency (HIPA) - proaktiver Partner ausländischer Investoren beim Einstieg in Ungarn. Die Ansiedlungsdynamik in der Kfz-Industrie dürfte Nachfrageimpulse in die Chemie- und Kunststoffindustrie senden. Das bietet Chancen im Anlagenbau. Allen voran will der staatliche Mineralölkonzern MOL, eines der größten Unternehmen Ungarns, bis 2030 umfangreich investieren, die Wertschöpfung in der Petrochemie erweitern und seine Bedeutung für die Kfz-Zulieferbranche erhöhen.

Erfahrungen in der Coronakrise mit unterbrochenen Lieferketten und Versorgungsengpässen wirken sich aus: Ungarns Regierung stärkt in strategisch wichtigen Branchen den Ausbau eigener Produktionskapazitäten. Dazu gehören auch der Agrarsektor, die Nahrungsmittelproduktion sowie Medizintechnik und die Pharmaindustrie. Die Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten hat eine lange Tradition. Das ungarische Unternehmen Gedeon Richter ist eine der größten Pharmafirmen Mittel- und Osteuropas. Auch internationale Pharmakonzerne wie GlaxoSmithKline oder Sanofi produzieren und forschen in Ungarn.

In der Nahrungsmittelindustrie sollen Zuschüsse ungarischen Unternehmen ermöglichen, effiziente und moderne Ausrüstungen zu beschaffen, etwa automatisierte Produktionslinien oder sparsame Bewässerungssysteme. Erhebliche Investitionen stehen im Energiesektor an. Für erneuerbare Energien verfügt Ungarn über günstige Voraussetzungen. Die Regierung fördert Solaranlagen. Die Fotovoltaikkapazitäten steigen. Auch für Windkraft soll es perspektivisch Förderung geben. Das Stromnetz muss modernisiert werden, um den Anschluss neuer regenerativer Quellen zu ermöglichen.

Politische Risiken bleiben

Viele Modernisierungsprojekte hängen an EU-Fördermitteln. Allerdings drohen Verzögerungen bei deren Auszahlung. Hintergrund sind Spannungen zwischen der Europäischen Kommission und der Regierung Viktor Orbáns. Die EU hat wiederholt Bedenken an Ungarns Rechtsstaatlichkeit geäußert. Im Raum steht auch der Vorwurf, Ungarn verwende EU-Gelder wenig transparent und gehe nicht ausreichend gegen Korruption vor. Brüssel knüpft die Zahlung der Mittel deshalb an Reformen. Bleiben diese aus, könnte es das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial des Landes beeinträchtigen.

Unternehmen beklagen zuweilen Intransparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und selektiv belastende Maßnahmen. Im Einzelhandel etwa gab es Sondersteuern oder Höchstpreisreglementierungen. Zudem scheint Budapest ausgewählte Branchen bevorzugt in ungarischer Hand sehen zu wollen und betreibt den Aufbau nationaler Champions. Das beeinträchtigt nach Einschätzung ausländischer Unternehmen das Investitionsklima. Im verarbeitenden Gewerbe wie der Kfz-Industrie hingegen können Investoren auf eine Unterstützung der Regierung zählen.

Noch überwiegen in Ungarn die Chancen. Für die angestrebte wirtschaftliche Erneuerung vieler Zweige benötigt das Land Investitionen, Know-how und technologische Kooperationen. Der deutschen Wirtschaft kommen dabei die traditionell guten und engen Verbindungen mit Ungarn zugute. Deutsche Ingenieurskunst wird in Ungarn sehr geschätzt.

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