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Interview | Pharma | Lieferketten

BAH: "Der Standort Europa muss attraktiver werden"

Die Komplexität der Lieferketten in der Pharmaindustrie nimmt weiter zu. Vor allem Asien rückt in den Fokus. Europa muss mit attraktiven Rahmenbedingungen für die Industrie gegenhalten. Ein Interview mit Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH).

Von Martin Gaber | Belgrad

Deutschland gilt als wichtiger Pharmastandort. Seit Beginn der Coronapandemie gibt es aber Störungen in vielen Lieferketten. Wie groß sind die Abhängigkeiten von Lieferungen aus dem Ausland?

Deutschland ist ein bedeutender Pharmastandort, der eng in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist. Allerdings hat der enorme Wettbewerbs- und Preisdruck in den vergangenen Jahren vor allem im generischen Bereich zu einer Verlagerung der Produktion aus Europa nach Asien geführt. Insbesondere Hersteller patentfreier Arzneimittel beziehen die benötigten Vorprodukte daher in großem Umfang aus Indien und China. Für die Zulassung in Deutschland verkehrsfähiger Arzneimittel mit versorgungsrelevanten Wirkstoffen sind nach Angaben der Bundesregierung weltweit 1.344 Wirkstoffhersteller, europaweit 526 Hersteller und 96 Hersteller in Deutschland verzeichnet. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Komplexität der Lieferketten in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Durch weitere gesetzliche Anforderungen, wie das derzeit im parlamentarischen Verfahren zu beratende Sorgfaltspflichtengesetz, wird die Komplexität in den kommenden Jahren zunehmen.

Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) | © Johanna Unternährer

Apotheker beklagen schon seit einigen Jahren zunehmende Lieferengpässe. Wie kommen diese zustande?

Es ist das Ziel aller Arzneimittelhersteller, jederzeit bedarfsgerecht bei Einhaltung hoher Qualitätsstandards lieferfähig zu sein. Und glücklicherweise führen Lieferengpässe selten zu Versorgungsengpässen, da häufig genügend Alternativen vorhanden sind. Allerdings sorgt das dann notwendige Lieferengpassmanagement für einen Mehraufwand bei allen Beteiligten – Apothekern, Ärzten und pharmazeutischen Unternehmen.

Die Gründe für Lieferengpässe sind vielfältig. Grundsätzlich lässt sich jedoch festhalten, dass die Wahrscheinlichkeit von Lieferengpässen erhöht ist, wenn nur wenige Anbieter ein bestimmtes Arzneimittel vertreiben oder eine Konzentration auf wenige Herstellungsstätten vorliegt. Der Preisdruck vor allem bei Generika sowie Rabattverträge mit nur einem Hersteller erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Lieferengpässen. Wir plädieren daher für ein Mehrpartnermodell bei Rabattvertragsausschreibungen sowie die Berücksichtigung von Versorgungsaspekten bei Abschlägen und Festbeträgen.

Es wird über den Aufbau von Kapazitäten in Europa diskutiert. Wie könnte eine Verlagerung von Produktionskapazitäten nach Europa aussehen - wäre so etwas überhaupt denkbar und sinnvoll? Falls ja, welche Standorte in Europa kämen infrage?

Gerade die aktuelle pandemische Situation hat die Bedeutung einer heimischen industriellen Gesundheitswirtschaft deutlich vor Augen geführt. Die neue Bundesregierung sollte daher im Dialog mit der Industrie Lösungen finden, wie international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden können. Es muss für Unternehmen attraktiv werden, in Deutschland und Europa zu produzieren. Europa konkurriert mit anderen Regionen in der Welt, deren Wirtschaftssysteme die Produktion im eigenen Land unterstützen oder zusätzliche Anforderungen an ausländische Produzenten stellen. Zum Beispiel bei der Arzneimittelzulassung. Hierdurch entsteht ein Ungleichgewicht.

Gleichzeitig ist Europa einer der wichtigsten Märkte für Arzneimittel. Daher ist es sinnvoll in Europa Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Standort attraktiver machen. Dazu gehören auch die notwendige Infrastruktur, passende sozialrechtliche Steuerungsinstrumente und schnelle, unbürokratische Entscheidungen, beispielsweise bei der Genehmigung neuer Betriebsstätten.

Welche weiteren Beschaffungsmärkte könnten künftig eine zentralere Rolle spielen? Gibt es hier erste Tendenzen?

Der Arzneimittelmarkt ist und bleibt ein dynamischer Markt, der einem ständigen Wandel unterworfen ist. Wer hätte Anfang des Jahres 2020 gedacht, dass ein Jahr später ein Impfstoff Made in Germany die Welt "retten" kann? Insofern bitte ich um Verständnis, dass ich hierzu keine Prognose abgeben kann. Wichtig ist vielmehr, dass wir uns in Deutschland und ganz Europa auf unsere Stärken konzentrieren und den Standort bestmöglich stützen.

Der Bundesfachverband BAH ist Mitglied des Arbeitskreises Arzneimittel der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Ziel des Arbeitskreises ist es, im Dialog mit der Industrie geeignete Förderangebote für die Internationalisierung der deutschen Arzneimittelwirtschaft zu entwickeln und umzusetzen.

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