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Special Vereinigtes Königreich Digitale Wirtschaft

Digital Health im Vereinigten Königreich: Voraussetzungen und Ziele

In der Coronakrise wird die App des Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS) zum Dreh- und Angelpunkt der digitalen öffentlichen Gesundheitsversorgung.

Von Marc Lehnfeld | London

Digitales Königreich: Hohe Internetnutzung und gute Infrastruktur

Das Vereinigte Königreich zählt zu den digitalisiertesten Ländern Europas. Im Digital Economy & Society Index (DESI) 2020 der Europäischen Union (EU) belegen die Briten den achten Platz vor Belgien und hinter Estland, haben aber seit 2018 zwei Ränge eingebüßt.

Überdurchschnittlich hoch ist der Bevölkerungsanteil bei den Internetnutzern (95 Prozent) und bei den Onlineshoppern (91 Prozent). Deutlich öfter als im EU-Schnitt nutzen Briten Video on Demand (53 Prozent versus 31 Prozent) und Onlinebanking (81 Prozent versus 66 Prozent). In der Kategorie der digitalen öffentlichen Dienstleistungen liegt das Vereinigte Königreich zwar knapp unter dem EU-Schnitt. Dafür ist der Anteil der E-Government-Nutzer aber mit 89 Prozent (EU: 67 Prozent) vergleichsweise hoch. 

Rahmendaten zu Digital Health im Vereinigten Königreich

Indikator

2019 

Bevölkerungsgröße (2019; in Mio.)1)

67,5

Anzahl Ärzte pro 1.000 Einwohner (2018)2)

2,9

Anzahl Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner (2017)

2,5

Gesundheitsausgaben pro Kopf (2018; in Euro)3,4)

3.648

Anteil der Haushalte mit Internetzugang (in %)5)

93,0

Mobilfunknutzer/100 Einwohner (2018)

118

1) vorläufige Angabe, Schätzung bzw. Prognose; 2) vorläufig; 3) Deutsche Bundesbank-Wechselkurs 2018: 1 Euro = 0,88471 GBP; 4); reale Angabe; 5) GroßbritannienQuelle: OECD 2019; Office for National Statistics, Healthcare Expenditure - UK Health Accounts 2020, Internet Access - households and individuals 2019; ITU 2019

Ein mögliches Risiko liegt im laufenden 5G-Rollout. Die britische Regierung bewertet ihre Haltung zum chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei derzeit neu und könnte seinen Zugang erschweren.

Der Telekommunikationsriese Vodafone befürchtet, dass ein umfangreicher Ausschluss von Huawei die Verbreitung von 5G im Land behindert und die Insel im weltweiten Wettrennen abgehängt werden könnte. Nach Angaben der Financial Times nutzen Vodafone, BT und Three bislang schon Huawei-Technologie für ihre 5G-Netzwerke.

Insgesamt gehört das Vereinigte Königreich dank seines großen Marktvolumens zu den höchst attraktiven Absatzmärkten für E-Health-Lösungen. Auch die Bevölkerung steht digitalen Neuheiten im Gesundheitsbereich offen gegenüber. 

Für die Markterschließung hinderlich ist der fragmentierte Aufbau des NHS über die Landesteile England, Schottland, Wales und Nordirland sowie die dezentrale, teilweise kleinteilige Beschaffungsstruktur.

Digital Health Index in Großbritannien *)

Insgesamt

Policy-Aktivität

Digital Health Readiness

Tatsächliche Datennutzung

69,98

78,50

72,14

59,26

*) Daten beziehen sich auf England, also den National Health Service England (staatliches Gesundheitssystem)Quelle: Bertelsmann Stiftung 2019

Regierungsstrategie: Digitale Sprechstunde bis 2024

Richtungsweisend für die Digitalisierung des britischen Gesundheitssystems ist die im Oktober 2018 vom Gesundheitsministerium veröffentlichte Strategie The future of healthcare: our vision for digital, data and technology in health and care. Anstatt konkreter Projekte zeigt die Strategie vier Prioritäten auf, die verfolgt werden sollen:

  1. Infrastruktur: Die notwendige IT-Ausstattung soll unter anderem Krankenhäuser, Ärzte und Apotheken untereinander und mit Patienten verbinden. Wichtige Punkte sind dabei Interoperabilität, Datensicherheit und offene Standards. Außerdem soll die Beschaffungspraxis verbessert werden.
  2. Digitale Dienstleistungen: Die Nutzerfreundlichkeit digitaler Dienstleistung soll stärker forciert, neue Dienstleistungen stärker nachfrageorientiert entwickelt werden. Teil der Strategie ist die bereits veröffentlichte NHS App.
  3. Innovation: Ein Innovations-Ökosystem soll den NHS bei Innovation und Forschung unterstützen. Als beispielhaft gilt die Kooperation von Hampshire County Council und PA Consulting/Argenti zur Nutzung von Amazon Echo und der Alexa-Sprachsteuerung in der Altenpflege. 
  4. Fähigkeiten und Kultur: Die Belegschaft soll im Programm Building a Digital Ready Workforce geschult werden, um digitale Lösungen besser nutzbar zu machen. Das schließt auch die Entscheidungsträgerebene ein. Die NHS Digital Academy bildet dazu auch über 300 CIOs im Gesundheitswesen zur Effizienzsteigerung durch Digitalisierung aus. Der NHS zählt bereits rund 60.000 Informatiker und Digitalisierungsexperten. Es dreht sich aber nicht alles nur um Digitalisierung: Auch eine offene Arbeitskultur soll Kooperationen effektiver machen.

Die Regierungsstrategie findet sich auch im zehnjährigen NHS Long Term Plan wieder, der die mittel- bis langfristige Ausrichtung des NHS festhält. Eine ausführliche Erklärung hält der Think Tank The King's Fund bereit. Laut Plan soll die Sekundärversorgung bis 2024 vollständig digitalisiert werden. Außerdem strebt die Strategie bis zum Geschäftsjahr 2023/2024 an, dass alle Patienten das Recht auf ärztliche Sprechstunde per Telefon oder via Internet haben. Zum Ende der zehnjährigen Periode 2028/2029 sollen die gesundheitliche Unterstützung durch Wearables und zusätzliche Software ergänzt sein.

Videosprechstunde über die NHS App möglich

Eine zentrale Rolle übernimmt dabei die NHS App, die sich seit Januar 2019 im Umlauf befindet. Über die App können Patienten zum Beispiel digitale Rezepte abwickeln, Hausarzttermine ausmachen und private Gesundheitsdaten einsehen. Allein für März 2020 hat NHS Digital mehr als 119.000 Neuanmeldungen erzielt. Bis zum 5. April 2020 verzeichnete die App insgesamt rund 520.000 Nutzer.

Das Ausbaupotenzial der NHS App bleibt dennoch groß. Laut NHS England waren im Juni 2020 noch über 60,4 Millionen Patienten nicht in der App registriert. Davon verweigern 2,6 Prozent die Verwendung ihrer Daten für Forschungs- und Planungszwecke (Stand: Juni 2020). 

Das NHS-System Spine verbindet 20.500 Gesundheitsakteure im britischen E-Health-Netzwerk. Zu seinen Bestandteilen gehören unter anderem die digitalen Patientenakten (Summary Care Record, SCR), der Informationsaustausch von Patientendaten zwischen den Akteuren des Systems über GP Connect und das digitale Rezept (Electronic Prescription Service, EPS). 

Die Coronakrise beschleunigt dabei die Digitalisierung des Gesundheitssystems. So wurde kurzerhand der Zugang der Ärzte auf die digitalen Krankenakten deutlich erweitert. Auch digitale Sprechstunden sind seit Anfang Juni 2020 in größerem Stil möglich.

Institutioneller Dreh- und Angelpunkt für die Digitalisierung des englischen Gesundheitssystems ist die im Juli 2019 geschaffene Einheit NHSX, die die Kooperation zwischen dem Gesundheitsministerium, den fusionierten Einrichtungen NHS England und NHS Improvement, sowie der Einheit NHS Digital verbessern soll. 

Weitere Informationen zu den digitalen Dienstleistungen des NHS

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