Die Wachstumsaussichten sind eingetrübt und könnten sich in der zweiten Jahreshälfte 2023 erholen. Die Chemiebranche ist stark exportorientiert.
Im Inland trübt die hohe Inflation die Nachfrage nach vielen chemischen Erzeugnissen. Zu den Risiken für 2023 zählen die Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise, hohe Inflation, Zinsen, der Ukrainekrieg und eine Verschlechterung der Konjunktur in wichtigen Absatzmärkten wie der EU und den USA.
Einen starken Einfluss auf das Wachstum wird die Entwicklung des Wechselkurses der Türkischen Lira (TL) haben. Eine schwache Lira begünstigt die Exporte. Im Jahr 2021 konnten die türkischen Exporteure von den starken Kursverlusten der Lira profitieren, die ihnen Preisvorteile gegenüber der internationalen Konkurrenz verschafften. Eine schwache Lira verteuert jedoch die Importe. Rund 70 Prozent der in der Chemieproduktion in der Türkei eingesetzten Rohstoffe werden importiert und die Abhängigkeit von Erdöl- und Gasimporten ist hoch. Die Unternehmen beobachten zudem die Euro-US$-Parität genau. Viele erwirtschaften das Gros ihrer Einnahmen auf Eurobasis, während die eingesetzten Vorprodukte, Rohstoffe und Energie meist in US-Dollar (US$) gehandelt werden. Letztes Jahr hatte die Stärke des US$ gegenüber dem Euro negative Effekte.
Chemieexporte legen angetrieben von Preiseffekten kräftig zu
Die Exporte von chemischen Erzeugnissen stiegen 2022 gegenüber dem Vorjahr um 32 Prozent auf 33,6 Milliarden US$. Allerdings haben zu dem Plus Preiseffekte infolge steigender Kosten für Vorprodukte und Energie erheblich beigetragen. Mengenmäßig legten die Ausfuhren nur um 4,2 Prozent zu. Dies gab der Istanbuler Fachverband der Exporteure von Chemie und chemischen Erzeugnissen (İKMİB) im Januar bekannt. İKMİB erwartet für 2023 eine Steigerung der Exporte auf 35 Milliarden US$ und bis 2030 auf 50 Milliarden US$. Die Pharmaindustrie steigerte ihre Ausfuhren im Jahr 2022 um 4,7 Prozent auf 1,9 Milliarden US$.
Türkische Ausfuhr ausgewählter Chemieerzeugnisse (in Millionen US-Dollar; Veränderung in Prozent)
SITC | Produktgruppe | 2021 | 2022 | Veränderung 2022/2021 |
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51 | Organische chemische Erzeugnisse | 687 | 746 | 8,6 |
52 | Anorganische chemische Erzeugnisse | 1.416 | 2.179 | 53,9 |
53 | Farbmittel, Gerbstoffe, Farben (und Lacke) | 1.061 | 1.219 | 14,9 |
54 | Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse | 1.678 | 1.555 | -7,3 |
55 | Ätherische Öle, Körperpflege-, Putz- und Reinigungsmittel etc. | 1.930 | 2.107 | 9,2 |
56 | Düngemittel (ausgenommen solche der Gruppe 272) | 390 | 605 | 55,1 |
57 | Kunststoffe in Primärformen | 2.407 | 2.770 | 15,1 |
58 | Kunststoffe in anderen Formen als Primärformen | 3.549 | 3.572 | 0,6 |
59 | Andere chemische Erzeugnisse und Waren | 1.434 | 1.642 | 14,5 |
Summe | | 14.552 | 16.395 | 12,7 |
Quelle: Türkisches Statistikamt TÜIK 2023
Nachfrage der Kfz-Hersteller bleibt untertourig
Die Kfz-Industrie ist ein wichtiger Abnehmer der türkischen Chemiebranche. Lieferengpässe, insbesondere bei Halbleitern begrenzen weiter die Fertigung. Zudem sind die Wirtschaftsaussichten in wichtigen Auslandsmärkten wie der EU eingetrübt. Die Kapazitätsauslastung der Kfz-Hersteller lag dem Verband der Automobilindustrie OSD zufolge 2022 bei nur 70 Prozent. Viele Produzenten erwarten, dass sich die Chipkrise fortsetzt. OSD prognostiziert für das Jahr 2023 ein Plus der Fertigung um 10 Prozent auf 1,5 Millionen Fahrzeuge (2022: +6,6 Prozent). Dementsprechend dürfte sich der Bedarf an Lacken, Beschichtungen, Kunststoffen und Kunstfasern entwickeln.
In der türkischen Agrarbranche hat sich die Nachfrage nach Düngemitteln seit dem 4. Quartal 2022 abgeschwächt. Dazu trugen vor allem die Dürre und aufgeschobene Käufe wegen Preisschwankungen bei Düngemitteln bei. Der Verbrauch könnte mit Beginn der Pflanzsaison wieder anziehen. Branchenriese Gübretas stoppte im August 2022 seine Düngemittel-Produktion und IGSAS, der einzige Urea Produzent in der Türkei, folgte im September. Beide nannten zu hohe Kosten als Grund.
Die Ausfuhr chemischer Düngemittel ist verboten. Der Verbrauch dieser in der Türkei ging 2022 auf 5,9 Millionen Tonnen zurück (2021: 6,5 Millionen Tonnen; 2020: 7,1 Millionen Tonnen). In der Türkei werden jährlich pro Hektar rund 100 Kilogramm verbraucht. Im internationalen Vergleich ist dies wenig.
Die umsatzstärksten Düngemittelunternehmen der Türkei 2021
Auslandsnachfrage nach Farben und Lacken steigt
Die Exportnachfrage nach Farben und Lacken zieht weiter an. Die für die Lackherstellung benötigten petrochemischen Grundstoffe sind teurer geworden und Lieferkettenengpässe beeinträchtigen die Fertigung. Laut İKMİB stiegen die Exporte 2022 um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1,4 Milliarden US$ (2021: +27 Prozent). Gemessen am Wert, waren Irak, Usbekistan, Iran und Ägypten die größten Abnehmerländer. Eine Studie zur Nachhaltigkeitsstrategie der Farbenindustrie in Hinblick auf den Green Deal der EU erschien im Januar 2023. Die Inlandsnachfrage der Bauindustrie dürfte durch Wiederaufbaumaßnahmen infolge der verheerenden Erdbeben im Osten der Türkei anziehen.
Kunststoffproduktion bleibt nahezu auf Vorjahresniveau
Die Produktion von Kunststoffen stieg 2022 um nur 2 Prozent auf 10,5 Millionen Tonnen. Logistikprobleme würden den Import von Rohstoffen behindern und die Produktion einschränken, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Plastic Industrialists' Association (PAGDER), Selçuk Gülsün. Zudem sei die Rentabilität der Produktionsanlagen gesunken, weil die Hersteller ihre steigenden Input-Kosten wegen der sinkenden Kaufkraft im Inlandsmarkt nur zum Teil an die Kunden weitergeben könnten.
Kunststofferzeugnisse in der Türkei
Messgröße | 2021 (in Mio. t) | 2022 (in Mio. t) | 2021 (in Mrd. US$) | 2022 (in Mrd. US$) |
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Produktion | 10,3 | 10,5 | 40,3 | 44,2 |
Import | 6,6 | 7,1 | 3,4 | 3,9 |
Export | 2,6 | 2,7 | 7,1 | 7,8 |
Inlandsnachfrage | 8,3 | 8,5 | 36,6 | 40,2 |
Quelle: Kunststoffverband Pagev 2023
Türkische Exporte von Kunststofferzeugnissen
| 2021 (in Mio. US$) | 2022 (in Mio. US$) | Veränderung 2022/2021 (in %) |
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Kunststoffverpackungen | 3.460 | 3.886 | 12,3 |
Kunststoffrohstoffe | 2.618 | 3.198 | 22,1 |
Haushalts- und Küchenartikel aus Kunststoff | 612 | 659 | 7,6 |
Quelle: Verband der Exporteure von Chemikalien und Produkten in Istanbul (İKMİB) 2023
Absatz von Erdölprodukten in der Türkei
Warengruppe | 2021 | 2022 | Veränderung 2022/2021 (in %) |
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Dieselkraftstoff (m³) | 30.827.832 | 30.865.627 | 0,12 |
Benzin (m³) | 3.887.588 | 4.318.488 | 11,1 |
Autogas LPG (t) | 3.011.592 | 3.211.568 | 6,6 |
Heizöl insgesamt (t) | 186.359 | 248.547 | 33,4 |
Gasöl (m³) | 1.958 | 1.879 | -4,0 |
Quelle: Verband der Erdölindustrie PETDER 2023
Kosmetik bleibt Exportschlager
Die türkische Kosmetikindustrie erwartet ihre Exporte 2023 auf 1,6 Milliarden US$ steigern zu können, sagte der Präsident des Kongresses der Vereinigung der Kosmetikhersteller und –forscher (KÜAD), Fuat Arslan Ende 2022. Die Ausfuhren 2021 betrugen laut Arslan 1,4 Milliarden US$, die Daten für 2022 liegen nicht vor. Die Türkei hat bei Kosmetik einen Außenhandelsüberschuss. Wichtige Ausfuhrgüter sind Deodorants, Farbkosmetik und Feuchttücher. Die größten Abnehmerländer in den ersten acht Monaten 2022 waren KÜAD zufolge der Irak (150 Millionen US$), die USA (105 Millionen US$), Russland (82 Millionen US$) und Iran. Durch die Coronapandemie ist die Nachfrage nach Hygieneartikeln gestiegen. Die türkische Kosmetikbranche profitiert davon; sie konnte ihre Exporte und Umsätze deutlich steigern.
Erschwerte Bedingungen für Investitionen
Im Vorfeld der für den 14. Mai 2023 angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei nehmen die Unsicherheiten zu. Derzeit erschweren eine hohe Wechselkursvolatilität die Preis- und Kostenkalkulation sowie eine langfristige Planung. Dazu kommen eine hohe Inflation und instabile Rahmenbedingungen. Hohe Kosten dämpfen die Rentabilität von Vorhaben. Es sind nur wenige Projekte in der Planung.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in der Türkei
Akteur | Projekt | Investitionssumme (in Mio. US$) | Anmerkungen |
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SOCAR | Mercury Petrochemie Komplex in İzmir, Kapazität: 1,25 Mio. tpa PTA, 840.000 tpa PX,340.000 tpa Benzol | 2.000 | Frühes Planungsstadium; nach Rückzug von BP sucht Sovar neuen Investor |
Bayegan Group; Sonatrach; Ronesans | Polypropylen Komplex in der Ceyhan Industriezone in Adana; 450.000 tpa | 1.400 | Im Bau; EPC-Vertrag; Hauptauftragnehmer: GS Engineering & Construction; Technologie: Honeywell, LyondellBasell |
Ceyport Tekirdag
| Chemieterminal in İskenderun, Lagerkapazität 300.000 m3 | 150 | Studie; geplante Auftragsvergabe: Ende 2023 |
Tüpras Kirikkale | Schwefelrückgewinnungsanlage | 53 | Im Bau; EPC-Vertrag; Hauptauftragnehmer: Tekfen Construction und Hallesche Mitteldeutsche Bau AG; geplante Fertigstellung: Oktober 2024 |
Quelle: Meed Projects, Pressemeldungen 2023
Stand: Februar 2023
Von Katrin Pasvantis
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Istanbul