Special | Slowakei | Lieferketten
Die Slowakei ist eng in Europas Kfz-Lieferketten eingebunden
Für die deutsche Automobilindustrie hat sich das mittelosteuropäische Land zu einem wichtigen Investitionsstandort und Beschaffungsmarkt entwickelt.
14.04.2021
Von Miriam Neubert | Bratislava
In der Slowakei steht und fällt die Konjunktur mit der Herstellung von Kfz und ihren Komponenten. Bei der Pkw-Produktion pro Kopf ist das Land seit Jahren Weltmeister. Laut slowakischem Verband der Automobilindustrie steht rund die Hälfte der Industrieerlöse und der Exporte in Verbindung mit dem Kfz-Sektor. Er rechnet die Lieferanten aus anderen Branchen mit ein.
Metamorphose zum Autoland
Die wirtschaftliche Transformation Anfang der neunziger Jahre ermöglichte den Aufstieg zum Autoland. Der Zusammenbruch von Rüstungs- und Schwerindustrie setzte viele Metallarbeiter frei. Die Privatisierung schuf Einstiegsgelegenheiten. Auf der Suche nach kostengünstigen Produktionsstandorten zog es viele internationale Kfz-Unternehmen nach Mittelosteuropa. Die Slowakei punktete durch Investitionsanreize, ein Flat-Tax-Regime, den Beitritt zur Europäischen Union 2004 sowie die frühe Übernahme des Euro 2009.
Als erster ausländischer Großinvestor stieg 1991 Volkswagen ein. Mit seinem Pkw-Werk in Bratislava, einem Werk für Getriebe und Fahrwerkkomponenten in Martin und dem Werkzeugbau in Stupava zählt Volkswagen Slovakia zu den bedeutendsten Unternehmen des Landes. Dann siedelten sich 2003 PSA Peugeot Citroën (Stellantis nach Fusion mit Fiat Ende 2020), 2004 Kia Motors und 2018 Jaguar Land Rover an.
Im Fahrwasser dieser Hersteller, auch mit Blick auf Kunden in Mittel- und Osteuropa, folgten die Fahrzeugzulieferer. Der Investitionsförderagentur SARIO zufolge sind es rund 350. Diese sind eng in die internationalen und speziell deutschen Wertschöpfungsketten eingebunden. Auf der Liste der 60 größten Unternehmen der Automobilindustrie des Wirtschaftsmagazins Trend war 2019 etwa ein Drittel Niederlassungen deutscher Gesellschaften.
Als Teilelieferant für Deutschland auf Rang acht
Laut Eurostat steht das Land mit 5,4 Millionen Einwohnern als ausländischer Beschaffungsmarkt für Kfz-Teile, -komponenten und -zubehör für Deutschland an achter Stelle. Im Jahr 2019 betrug der importierte Wert fast 2,9 Milliarden Euro. Die Slowakei kam damit als Lieferland nach Italien und vor Spanien, China und dem Vereinigten Königreich.
Im Vergleich zu 2010 hat sich der Importwert in der Kategorie andere Teile und Zubehör auf fast 700 Millionen Euro mehr als verdreifacht. Sie umfasst eine breite Palette von Teilen, darunter Stoßdämpfer oder Lenkelemente. Solche stellt etwa ContiTech Vibration Control in Dolné Vestenice her oder Boge Elastmetall in Trnava. Ebenfalls verdreifacht auf rund 530 Millionen Euro hat sich die Position andere Karosserieteile und -zubehör. Das slowakische Zulieferunternehmen Matador Púchov ist unter anderem Spezialist für kaltgeformte strukturelle Karosseriekomponenten. Röchling stellt in Kočovce Radhausschalen oder Unterbodenverkleidungen her. Türsysteme fertigt Brose in Prievidza.
Breites Angebot an Produkten
Vervierfacht auf 435 Millionen Euro haben sich die deutschen Importe von elektrischen Beleuchtungs- und Signalgeräten. Kaum verändert hat sich mit 327 Millionen Euro der Wert bei Getrieben und Teilen. Das Werk in Kechnec etwa, das Magna 2016 von Getrag übernahm, fertigt Getriebe für BMW.
Ins Gewicht fallen des weiteren Bremsen und -Teile (155 Millionen Euro), Triebachsen (148 Millionen Euro), Luftreifen für Busse und Lkw (189 Millionen Euro) sowie Pkw (99 Millionen Euro). Die Reifenwerke von Continental Matador Rubber in Púchov und Continental Matador Truck Tires gehören in der Slowakei zu den zehn umsatzstärksten Unternehmen der Kfz-Industrie. Stark entwickelt haben sich von niedrigem Niveau seit 2010 die Importe von elektrischen Anlassern, anderen Beschlägen für Kfz, anderen Klimageräten und Stoßstangen.
Mehrere Faktoren belasten die Lieferbeziehungen
Wie komplex und fragil das Zusammenspiel in der europäischen Autoindustrie ist, zeigte der mehrwöchige Stillstand im Frühjahr 2020, als infolge der Anticorona-Maßnahmen Markt-, Zuliefer- und Logistikschocks auftraten. Das betraf auch die Slowakei. Ein Jahr später sorgte die Pandemie in den Lieferbeziehungen erneut kurz für Aufregung - durch die vorübergehend sehr strikten Einreiseregeln auf deutscher Seite und durch die letztlich nicht umgesetzte Überlegung der slowakischen Regierung, auch die Industrie zu schließen. Ein Abschalten in der Slowakei hätte Ausfälle im gesamteuropäischen Maßstab haben können, da viele Unternehmen essentielle Zulieferer in ihren Branchen seien, heißt es in einer Analyse der Slowakischen Nationalbank.
Zu erheblicher Anspannung hat die globale Knappheit bei elektronischen Bauteilen und Kunststoffgranulaten geführt. Doch konnte die Kfz-Industrie in der Slowakei ihre Lieferketten bislang so managen, dass die Produktion läuft. Da keiner als erster einen Ausfall verursachen will, ist das Organisations- und Improvisationsgeschick der Beschaffungsabteilungen auf das höchste gefordert. Durch den Mangel sind die Preise für einige Vorprodukte stark gestiegen, was gerade kleinere Firmen mit wenig Verhandlungsmacht unter Druck setzen kann.
Investitionen machen Hoffnung
Der Standort profitiert von einer Großinvestition des Volkswagenkonzerns, der in den kommenden Jahren in das Werk in Bratislava bis zu 1 Milliarde Euro anlegen könnte. Investitionen planen auch Zulieferfirmen, darunter Porsche, Manz, Punch Precision, ZKW Group, Praga Cars, Ehlebracht. Elektromobilität spielt eine wachsende Rolle. InoBat will 2021 den Aufbau einer Pilotanlage für Lithium-Ionen-Batteriezellen starten. Volkswagen investiert in Martin in die Entwicklung eines neuen Differentials für Elektroautos. Magna hat mit dem Bau eines Werks für Antriebsstränge in Kechnec begonnen. Schaeffler startete in Kysucké Nové Mesto mit der Produktion von Achsen für elektrische Fahrzeuge und investiert in Forschung zu diesem Feld.
Deutsche Einfuhr ausgewählter Kfz-Teile aus der Slowakei (in Millionen Euro, Veränderung in Prozent)
2010 | 2019 | Veränderung 2019/2010 | |
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SITC 778.3 Kfz-Elektrik | 112,8 | 471,5 | 318,0 |
SITC 784 Fahrgestelle, Karosserien, Stoßstangen etc. | 1.366,3 | 1.901,7 | 39,2 |
SITC 773.13 Zündkabelsätze | 324,5 | 127,5 | -60,7 |
SITC 713.2 Verbrennungsmotoren | k.A. | 0,1 | k.A. |
Summe | 1.803,6 | 2.500,8 | 38,7 |
Investieren in der Slowakei - Informationen zu Standortfaktoren
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