Das Agrobusiness, der Bergbau und einzelne Industriebranchen kamen gut durch die Krise. Dienstleister stellen sich auf eine langsame Erholung ein. (Stand: 01. Dezember 2020)
Der aktuelle Branchencheck bietet einen Überblick zu Maschinenbau, Chemieindustrie, Energiewirtschaft, Bau, Gesundheitswirtschaft, Landwirtschaft, Bergbau, Nahrungsmittelindustrie, Kfz, IKT und Umwelttechnik.
Agrobusiness und Bergbau sind krisenresistent
Durch die Rekordernte erweist sich die Agrarwirtschaft ebenso wie in der Rezession von 2014 bis 2016 als Säule der Stabilität. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 ist der Sektor der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei, der etwa 5 Prozent des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht, in diesem Jahr um 1,6 Prozent gewachsen.
Die Konjunkturergebnisse der Rohstoffindustrie fielen mit einer Steigerung um 5,8 Prozent noch positiver aus. Dazu trägt insbesondere der Abbau von Eisenerz bei, dessen Weltmarktpreis im Laufe des Jahres um über 40 Prozent gestiegen ist. Aber auch Kupfer und Gold stehen hoch im Kurs. Der Erdölpreis legte im November um fast 30 Prozent zu. Trotz der ersten Erholung mindert die Preisentwicklung 2020 die Einnahmen des Öl- und Gas-Sektors, bremst Investitionen und dürfte auch den geplanten Verkauf von Aktiva des halbstaatlichen Konzerns Petrobras belasten.
Positive Stimmung in der Bauwirtschaft
Seit April verbessern sich die Indikatoren für die Bauwirtschaft nach und nach. Niedrige Zinsen sowie die hohe Nachfrage nach Logistikimmobilien und Anpassungen am Wohnungsmarkt stimulieren die Branchenkonjunktur. Büroraum in den Metropolregionen dürfte jedoch 2021 einen deutlich höheren Leerstand aufweisen. Laut Brasiliens Industrieverband CNI erreichte die Kapazitätsauslastung schon im August wieder das Vor-Krisen-Niveau. Besonders starkes Wachstum verzeichnen die Baumaterialhersteller. Viele Haushalte nutzten die Pandemie und die Hilfszahlungen für den Ausbau und Renovierungen. In den ersten neun Monaten 2020 wurde fast 10 Prozent mehr Zement verbraucht als im Vorjahreszeitraum.
Verarbeitende Industrie auf steilem Erholungskurs
In Brasilien wurde der Industriebetrieb kaum direkt durch staatliche Quarantänemaßnahmen eingeschränkt. Die Auflagen treffen in erster Linie die Gastronomie, Bildungseinrichtungen, den Personenverkehr und andere Dienstleistungen. Dennoch sank die Kapazitätsauslastung im April auf einen historischen Tiefstand. Als Hauptprobleme nannte der Industrieverband CNI die schwache Nachfrage sowie die Wechselkursvolatilität und die Abwertung der Währung.
Im September stieg die Industriefertigung zum fünften Monat infolge an. Die Produktion lag um 3,4 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Beschäftigung legte zum zweiten Monat in Folge wieder zu. Laut Angaben von CNI fiel der Gesamtumsatz höher aus als vor der Coronakrise. Die Kapazitätsauslastung für den gesamten Industriepark erreichte mit 79,4 Prozent den höchsten Wert seit fast sechs Jahren.
Herausforderungen in der Erholungsphase
Infolge der starken Abwertung der brasilianischen Währung muss die verarbeitende Industrie Kosten neu kalkulieren und Preise anpassen. Inländische Preise für Zellstoff, Eisenerz und Kunststoff-Vorprodukte sind an den Weltmarkt gekoppelt und stiegen somit durch die Währungsabwertung an. Dem Produzentenpreisindex zufolge verteuerten sich industrielle Vorprodukte innerhalb von 12 Monaten um 19 Prozent.
Eine weitere Herausforderung liegt in der zeitlich verzögerten Wiederaufnahme der Produktion. Die Stahlindustrie fährt nach und nach die 13 Hochöfen wieder hoch, deren Betrieb im April ausgesetzt wurde, und lastet die Produktionskapazität bereits wieder zu 68 Prozent aus. Seit Juli registrieren jedoch immer mehr Fabrikanten Engpässe in der Versorgung mit Stahl, aber auch mit PVC und Wellpappe. Bis Ende des Jahres sollen sich die inländischen Lieferketten normalisiert haben.
Auswirkungen auf einzelne Industriebranchen
Alltägliche Verbrauchsgüter wurden weniger stark getroffen beziehungsweise profitierten zumindest vorübergehend von der Veränderung im Konsumverhalten. Neben Nahrungsmitteln und Kraftstoffen wurden in den ersten acht Monaten auch mehr Hygieneartikel und Reinigungsmittel, Tabakwaren, Pharmazeutika sowie Zellstoff und Papier produziert als im Vorjahreszeitraum.
Kapitalintensive und langlebige Konsumgüter sowie Investitionsgüter erlebten dahingegen einen drastischen Einbruch. Ebenso wie in der Kfz-Industrie ging die Produktion von Druckerzeugnissen, Lederwaren und Schuhen sowie von Bekleidung dramatisch zurück, was Veränderungen in der Marktstruktur anstoßen kann. Die Herstellung von Getränken, Möbeln, Elektronik, Metall- und Kunststoffprodukten zieht dagegen wieder stark an.
Dienstleistungssektor erholt sich langsamer
Im ersten Halbjahr ging die Bruttowertschöpfung über Dienstleistungen insgesamt um fast 10 Prozent zurück. In keiner vorherigen Rezession erlebte der Sektor, der in Brasilien rund 70 Prozent zum BIP beiträgt, einen so starken Einbruch. Angesichts der gravierenden Gesundheitskrise im Land und der abnehmenden Kaufkraft erwarten Unternehmer nur eine allmähliche Erholung. Seit Oktober sinkt das Vertrauen der Dienstleister wieder.
Onlinehandel und Lieferdienste boomen und retten Logistikanbieter, Handel und Gastronomie vor noch höheren Verlusten. Dennoch mussten etwa 20 Prozent aller Restaurants schließen, schätzt der Restaurantverband ANR. Noch deutlicher als die Bauwirtschaft und die verarbeitende Industrie registriert der Handel seit Juli zunehmend Lieferengpässe und Preissteigerungen, die nicht vollständig an Kunden weitergegeben werden können.
Positive Impulse verzeichnen auch alle anderen Bereiche der Digitalwirtschaft wie die Telemedizin. Dennoch musste der private Gesundheitssektor im ersten Halbjahr hohe Einbußen verkraften, was den Trend zur Konsolidierung verstärkt. Dahingegen kamen private Bildungsanbieter bislang verhältnismäßig gut durch die Krise.
Brasiliens Fluggesellschaften Azul, Gol und Latam bieten im Oktober wieder die Hälfte aller üblichen Linien an und erwarten, dass das Vor-Krisen-Niveau bereits 2022 erreicht wird.
Von Gloria Rose
|
São Paulo