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Wirtschaftsumfeld
Special | Polen | Coronavirus
Eine Reihe von Unternehmen in Polen berichtet von Problemen mit ihren Lieferungen aus China und Italien. Vor allem eine Branche ist betroffen. (Stand: 18. Dezember 2020)
Von Niklas Becker | Warschau
Einen Produktionsstopp für nicht lebenswichtige Industrien wie in Spanien oder Italien gab es in Polen nicht. Allerdings müssen in den Betrieben verschiedene Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise ein Sicherheitsabstand zwischen den Beschäftigten, eingehalten werden. Ein Teil der Industrieunternehmen hatte die Produktion im Frühjahr zeitweise unterbrochen.
Vor allem in der Autoindustrie standen in der zweiten Märzhälfte und im April 2020 viele Bänder still. Gründe dafür waren vielerorts neben der Sicherheit der Beschäftigten und der geringeren Fahrzeugnachfrage auch unterbrochene Lieferketten, so etwa beim deutschen Autobauer Volkswagen. Polens Verband der Kfz-Teile-Händler und -Hersteller SDCM sprach Mitte März von erheblichen Problemen bei Rohstofflieferungen (beispielsweise Stahl) durch fernöstliche Unternehmen.
Für einige Unternehmen in Polen brachte die Ausbreitung des Coronavirus in Italien deutlich höhere Herausforderungen mit sich. Bei MB Pneumatics beispielsweise verursachten die Umstände in China keine großen Beeinträchtigungen. Małgorzata Bieniaszewska, Inhaberin des Herstellers von Steckverbindungen für Druckluftbremssysteme in Nutzfahrzeugen, sagte im März 2020 gegenüber der Wirtschaftszeitung Puls Biznesu, die Situation in Italien stelle ein größeres Problem für die Firma dar. Laut Bieniaszewska ist Italien einer der Hauptproduzenten der für ihr Unternehmen wichtigen Messingelemente.
Ähnliches berichtet auch Wuzetem, ein Produzent von Einspritzsystemen für Dieselmotoren. Ein italienisches Unternehmen übernimmt normalerweise die Beschichtung der Vorerzeugnisse. Für Wuzetem ist der Kontakt mit seinem italienischen Partner in der Coronakrise schwierig. Die Firma hat deshalb den Transport der Waren vorerst gestoppt und sucht nach einer alternativen Lösung in Polen.
Wichtigster Importpartner Polens ist Deutschland. Laut Eurostat kamen 2019 mit über 60 Milliarden Euro mehr als ein Viertel der importierten Waren vom Nachbarn westlich der Oder. Dabei spielen Vorerzeugnisse eine wichtige Rolle, die im Wert von 10,7 Milliarden Euro eingeführt wurden. Vor allem Vorerzeugnisse aus Metall sind hier von Bedeutung.
Aus China importierte Polen 2019 Waren im Wert von rund 20,5 Milliarden Euro, gut 9 Prozent der gesamten Einfuhren. Das Reich der Mitte hat für den polnischen Import in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und liegt mittlerweile hinter Deutschland auf Rang 2 der wichtigsten Lieferländer. Vorerzeugnisse machen mit rund 3,2 Milliarden Euro einen Anteil von über 15 Prozent des Handels mit der Volksrepublik aus. Mehr als die Hälfte davon entfallen auf Vorerzeugnisse aus Metall. China ist für Polen zudem ein wichtiger Lieferant von Elektronik und Elektrotechnik.
Polens damalige Wirtschaftsministerin Jadwiga Emilewicz sagte im März, dass der weltweite Ausfall chinesischer Zulieferer auch eine Chance sein könne. Weltweit werde nach Lieferanten gesucht, welche die Aufgaben von chinesischen Firmen übernehmen können. Darin liege eine Chance für polnische Firmen, einen neuen Platz in den globalen Lieferketten zu finden. Polens Firmen könnten dabei zusätzlich von der Entwicklung des Wechselkurses zwischen Euro und Złoty (Zł) profitieren. Dieser stieg laut Bundesbank von durchschnittlich 4,2766 Zł für einen Euro im Februar 2020 auf 4,4949 Zł im November 2020.
Experten gehen von einer Umstrukturierung globaler Lieferketten nach der Krise aus. Polen könnte hierbei eine entscheidende Rolle spielen. Jan Barbasiewicz, Partner und Direktor der Abteilung für Logistik und Industrieräume bei Colliers International, spricht gegenüber der Wirtschaftszeitung Puls Biznesu beispielsweise von einer steigenden Zahl von Anfragen im Zusammenhang mit Nearshoring. Hauptsächlich gehe es dabei zwar um Lagerflächen, aber auch Flächen für Montage- oder Produktionsanlagen werden angefragt. Besonders die Elektroindustrie zeige gesteigertes Interesse.
Die Arbeitskosten in Polen sind im europäischen Vergleich weiterhin gering. Laut Eurostat waren diese 2019 mit 10,70 Euro pro Stunde die sechstniedrigsten innerhalb der Europäischen Union (EU). Der Abstand hat sich in den letzten Jahren allerdings verringert. Die polnischen Gehälter sind zuletzt deutlich gestiegen, im Jahr 2019 um 5,9 Prozent. Im EU-27-Durchschnitt waren es 3 Prozent.
Polens Betriebe haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie nicht nur für die Fertigung von einfachen Zulieferprodukten infrage kommen, sondern auch komplexe Produktionsprozesse beherrschen. Das Land ist zudem für seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte bekannt. Durch eine Umstrukturierung der Lieferketten könnte Polen nach Berechnungen des Polnischen Wirtschaftsinstituts PIE im optimistischsten Szenario jährlich 8,3 Milliarden US-Dollar dazugewinnen. Ausgedrückt in der Wirtschaftsleistung von vor der Krise wäre das eine zusätzliche Wertschöpfung von 1,87 Prozent im Jahr.
Seit Jahren ist Polen ein wichtiger Handelspartner Deutschlands sowohl bei den Ex- wie bei den Importen. So belegte der östliche Nachbar in der deutschen Importstatistik 2019 mit einem Anteil von über 5 Prozent vor Italien erstmals den fünften Platz. Laut Destatis lieferte Polen 2019 Waren im Wert von 57,7 Milliarden Euro nach Deutschland, 4,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die gesamten deutschen Importe stiegen lediglich um 1,5 Prozent.
Bei Vorerzeugnissen belief sich der Wert auf 10,5 Milliarden Euro. Hierunter fallen 7,5 Prozent aller nach Deutschland eingeführten Waren. Gemessen am Importwert dominieren auch hier Vorerzeugnisse aus Metall (2019: 5,6 Milliarden Euro). Das sind rund 6 Prozent der insgesamt nach Deutschland importierten Vorerzeugnisse aus Metall. Vor allem für die deutsche Automobilindustrie ist Polen ein wichtiger Handelspartner. Mehr als ein Zehntel aller nach Deutschland eingeführten Kfz-Teile stammt vom östlichen Nachbarn.
Informationen zum Wirtschaftsstandort und zu den allgemeinen Rahmenbedingungen in Polen bieten unter anderem die folgenden GTAI-Publikationen: |