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Rechtsbericht | Brasilien | Verfassungsrecht

Das Verfahren der Präsidentschaftswahl im brasilianischen Recht

Vor dem Hintergrund des derzeitigen Präsidentschaftsrennens werden die wichtigsten Aspekte des Wahlverfahrens in Brasilien im Lichte der Gesetze und der Verfassung erläutert.


Von Dr. Julio Pereira | Bonn

Am 25. Oktober 2022 hat der Bundesgerichtshof (STF) den Beschluss 23.714/2022 des Obersten Wahlgerichts (TSE) für verfassungsmäßig erklärt, der die Verbreitung von Fake News im Internet verbietet, welche die Integrität des brasilianischen Wahlprozesses beeinträchtigen. Die Entscheidung ermächtigt das TSE, digitale Plattformen zu verpflichten, Fake News unverzüglich zu entfernen. Eine der am weitesten verbreiteten Fake News im aktuellen Wahlprozess betrifft die mangelnde Glaubwürdigkeit der elektronischen Wahlurnen.

Exkurs: In Brasilien gibt es immer noch kein Gesetz, das sich direkt mit der Problematik der Fake News befasst. Sowohl die STF-Rechtsprechung als auch die TSE-Resolutionen bezeichnen Fake News als „Desinformation“, „bewusste Verwendung von Lügen“, „unvollständige und falsche Informationen“ mit der Absicht, die öffentliche Meinung zu „manipulieren“. Im Zusammenhang mit Wahlen, so die jüngste Entscheidung des STF, stellen Fake News eine „Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat“ dar.

Dieser Bericht soll den Wahlprozess im Lichte der Gesetze und der brasilianischen Verfassung erläutern.

Die Präsidentschaftswahlen in Brasilien und der Außenhandel 

Im Zuge des heftigen Präsidentschaftsstreits in Brasilien haben sich ausländische Investoren und Unternehmen nach den möglichen rechtlichen Konsequenzen im Falle einer Nichtanerkennung des Wahlergebnisses durch den Chef der Exekutive erkundigt. Die Frage ist für den Außenhandel von Interesse, da im brasilianischen Präsidialsystem der Präsident der Republik die Funktionen des Regierungschefs und des Staatsoberhauptes wahrnimmt. Als Regierungschef leitet der Präsident die Exekutive und legt die gesamte öffentliche, wirtschaftliche und soziale Politik fest. Als Staatsoberhaupt vertritt der Präsident das Land und hat die ausschließliche Befugnis, internationale Übereinkommen und Verträge abzuschließen.

Die Rechtsgrundlagen der Wahl

Die wichtigste Rechtsquelle zum Schutz des Wahlverfahrens in Brasilien ist die Bundesverfassung von 1988 (Constituição Federal de 1988 - CF/88). Weitere relevante Rechtsinstrumente sind das Wahlgesetzbuch (Gesetz Nr. 4.737/1965) und das Wahlgesetz (Gesetz Nr. 9.504/1997). Außerdem wird das Wahlverfahren in Brasilien durch Beschlüsse des Obersten Wahlgerichts (TSE) geregelt.

Die Wahljustiz und der Schutz der  Wahlrechtsausübung

Das TSE (Tribunal Superior Eleitoral) ist das höchste Organ der Wahljustiz in Brasilien. Es wurde vor 90 Jahren durch das Dekret Nr. 21.076/32 gegründet und ist damit eines der ältesten Gerichte des Landes. Das Wahlgericht setzt sich aus sieben Richtern zusammen, von denen drei vom Bundesgerichtshof (STF) kommen. Der STF (Supremo Tribunal Federal) ist das oberste Organ der Judikative, das für die Wahrung und Auslegung der Bundesverfassung zuständig ist. Der Schutz der Ausübung des Wahlrechts ist die Hauptaufgabe des Wahlgerichtes. Gemäß der CF/88 und dem Wahlgesetzbuch ist das TSE für die Organisation, Überwachung und Durchführung von Wahlen zuständig. Eine weitere wichtige Aufgabe des TSE ist die Auszählung der Wahlergebnisse. Darüber hinaus kontrolliert das TSE die Einhaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften und beurteilt Fälle im Zusammenhang mit Wahlen.

Wie funktionieren die Präsidentschaftswahlen in Brasilien?

Brasilien ist eine repräsentative Demokratie, in der das Volk den Präsidenten in einer direkten Abstimmung wählt. Die Präsidentschaftswahlen finden alle vier Jahre in zwei Runden statt. Wie in den meisten Präsidentschaftssystemen der Welt wird auch der brasilianische Präsident nach dem Mehrheitsprinzip gewählt. Der Präsidentschaftskandidat muss die absolute Mehrheit, d. h. mehr als 50 Prozent der gültigen Stimmen erhalten. Erreicht der Kandidat oder die Kandidatin diese Anzahl an Stimmen im ersten Wahlgang (was in Brasilien ungewöhnlich ist), gewinnt er oder sie. Kommt es zu einem zweiten Wahlgang, treten die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen gegeneinander an. Gewählt ist schließlich der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen. In Brasilien werden die Wahlen durch ein computergestütztes System mit elektronischen Wahlurnen durchgeführt.

Kann die Amtseinführung des gewählten Präsidenten verhindert oder verzögert werden?

Nein. Im brasilianischen Rechtssystem gibt es keine verfassungsrechtliche oder gesetzliche Regelung, die es einer der drei Gewalten ermöglicht, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen ohne förmliches Verfahren anzufechten. Selbst wenn es zu einer Anfechtung käme, würde das Verfahren nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten von dem TSE beurteilt werden. Nach dem Gesetz ist der Wahlvorgang abgeschlossen, sobald die Stimmen ausgezählt sind. Das Ergebnis wird auditiert und bekannt gemacht. Der gewählte Präsident leistet den Verfassungseid, wird auf dem Nationalkongress vereidigt und tritt sein Amt im Januar des folgenden Jahres an.

Die Verwendung elektronischer Wahlurnen in Brasilien

Neben den oben genannten Gesetzen werden in den Beschlüssen des TSE verschiedene Themen wie die Entwicklung von Systemen, die Versiegelung von Wahlurnen, Tests und die Überwachung ausführlich normativ behandelt. Ebenso ist die Auditierung und Überwachung der Verfahren zur Übermittlung sowie Auszählung der Wahlergebnisse gesetzlich vorgeschrieben. Die Überwachung ist öffentlich und wird allen nationalen und internationalen Kontrollinstanzen, politischen Parteien, der Presse, den Bürgern usw. garantiert. Solche Bestimmungen sind unter anderem in den Beschlüssen 23.673/21 und 23.669/21 enthalten.

Technisch gesehen basiert der Betrieb der Wahlurnen auf modernster Kryptographie und digitaler Signatur. Die elektronischen Wahlurnen wurden von TSE-Technikern selbst entwickelt und können nicht gehackt werden. Sie haben keine Verbindung zum Internet, Bluetooth oder einem anderen Netzwerk. Es gibt mehr als 30 Schutzmechanismen, darunter die biometrische Erfassung der Wähler, die Ausstellung von Wahlbulletin (Boletim de Urna - BU) und die Durchführung von öffentlichen Sicherheitstests (Testes Públicos de Seguranca - TPS). Die Audits werden vor, während und nach der Abstimmung durchgeführt.

Seit der Einführung des elektronischen Wahlsystems in Brasilien im Jahr 1996 wurde kein einziger Fall von Wahlbetrug dokumentiert oder nachgewiesen. Ein vollständiger TSE-Leitfaden über die Funktionsweise des elektronischen Systems kann unter diesem Link abgerufen werden (auf Portugiesisch).

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