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Nach dem Erdbeben muss Marokkos Baubranche neu planen

Wiederaufbau wird voraussichtlich über 10 Milliarden Euro kosten. Deutsche Firmen könnten als Kooperationspartner gefragt sein.

Von Ullrich Umann | Casablanca

Das Erdbeben vom 8. September 2023 im marokkanischen Atlasgebirge hat über 2.900 Menschen das Leben gekostet. Darüber hinaus zerstörte es viele Dörfer komplett, hinterließ massive Schäden an der Infrastruktur der Region und beschädigte auch viele Gebäude in der Touristenhochburg Marrakesch.

Die größten Schäden an Bauwerken und der Infrastruktur sind in den Provinzen und Präfekturen Marrakesch, Al Haouz, Taroudant, Chichaoua, Azilal und Ouarzazate zu verzeichnen, in denen zusammen 4,2 Millionen Menschen leben. Insgesamt 50.000 teilweise oder vollständig zerstörte Gebäude gilt es wieder aufzubauen, neben der verkehrstechnischen und sozialen Infrastruktur.

Kosten für den Wiederaufbau werden auf 10,9 Milliarden Euro geschätzt

Für den Wiederaufbau hat die Regierung des Landes einen Finanzierungsbedarf von 120 Milliarden marokkanische Dirham (10,9 Milliarden Euro; 1 Euro = 10,99 MDH) errechnet. Das Geld soll in einem Zeitraum von fünf Jahren fließen. Getragen werden die Kosten zum einen durch die Haushalte des Staates und der Gebietskörperschaften, dem Fonds Hassan II für wirtschaftliche und soziale Entwicklung und zum anderen durch den Solidaritätsfonds, der nur zwei Tage nach dem Erdbeben als Sammelstelle für in- und ausländische Spenden eingerichtet wurde. Unter anderem hat die EU 1 Million Euro Soforthilfe zugesagt.

Der für die Folgenbeseitigung und den Wiederaufbau notwendige Finanzierungsbedarf steht somit in seinen Grundzügen fest. In einem nächsten Schritt werden Gutachten zur Bodenbeschaffenheit, zur Umweltsituation sowie zu den seismischen Verwerfungen, weiterhin zu den zu erwartenden künftigen Erdbewegungen in den betroffenen Gebieten erstellt. Erst anschließend soll die Infrastruktur geplant und mit dem Neubau der Häuser begonnen werden.

Für den Wiederaufbau äußern Fachleute, darunter Architekten, Stadtplaner und Bauunternehmer, sowie Vertreter der Politik auf allen Verwaltungsebenen erste Vorstellungen. Dabei zieht es sich wie ein roter Faden durch die Diskussion: Für den Wiederaufbau in den vorrangig ländlichen Gebieten sollen traditionelle Baustile und -stoffe zum Tragen kommen.

Marokko setzt auf lokales Wissen und eigene Technologie

Der Architekt und Stadtplaner Hakim Belkadi warnte in einem Interview gegenüber der marokkanischen Tageszeitung L’Economiste sogar ausdrücklich davor, „den Fehler zu begehen und ausländische Konzepte zu importieren oder zu kopieren, die nicht in die örtliche Realität passen.“ Dass der Wiederaufbau konzeptionell mit eigenen Kräften geht, begründete er mit der in Marokko entwickelten Bauexpertise und mit den reichlich vorhandenen nachhaltigen Baumaterialien. „Heute besteht das Hauptanliegen darin, die Identität und Soziologie der betroffenen Orte zu wahren.”

Deutschland sieht Hakim Belkadi ausdrücklich als ein Vorbild, was die dezentrale Verwaltungsstruktur und lokale Planung von Lösungen angeht. Sollte diese territoriale Struktur auch in Marokko zum Tragen kommen, würde in seinem Land die Einbeziehung der Betroffenen, der am Wiederaufbau beteiligten Institutionen und der Planungsstäbe besser verlaufen.

Modellhäuser vorgeschlagen

Der Bauexperte Belkadi führte fort, dass der ländliche Raum künftig genauso priorisiert werden müsse wie die Städte. Auch sollte ein zertifizierter Modellwohnraum in ländlichen Gegenden geschaffen werden. „Die dahinter stehende Idee ist, für jedes Gebiet ein Dutzend Modellwohnungen zu schaffen. So hätte der Bürger die Wahl zwischen zehn Typen und Modellen von Häusern, je nach Fläche, Lage des Grundstücks und Budget".

Ein Modelldorf, inklusive einer autonomen Energieversorgung aus Photovoltaik und Windkraft, wurde bereits 2019 entworfen. Für den Gebäudebau wurden nur lokal verfügbare Materialien vorgeschlagen, etwa Lehm oder Stein. Abtrennungen und Doppelwände würden wiederum aus Ziegeln bestehen. Die Durchmesser der durchweg weißen und damit Licht absorbierenden Außenwände müssen anhand der Lage des Gebäudes auf dem Wärmesimulator individuell berechnet werden. Die Dächer bestehen aus Rippenblech mit einer 10 Zentimeter dicken Wärmedämmung.

Deutsche Unternehmen als Kooperationspartner gefragt

Deutsche Unternehmen der Bauwirtschaft, die sich in privater Initiative und langfristig an den Wiederaufbauarbeiten beteiligen wollen, sollten so schnell wie möglich Kooperationspartner vor Ort identifizieren. Offizielle Ansprechpartner sind unter anderem das Ministerium für nationale Raum- und Stadtplanung, Wohnungsbau und Stadtpolitik sowie das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen. Für den Kontakt zu Unternehmen ist der Nationale Verband der Bauträger und Immobilienentwickler die erste Wahl. Gebraucht werden Planungsleistungen, Bautechnik, Baumaterial und Bauleistungen. Die Baustoffe hingegen sollen vor Ort gewonnen werden.

Die Beteiligung deutscher Unternehmen am Wiederaufbau wird voraussichtlich nur in Form einer Kooperation möglich sein. Denn wie aus allen Fachgesprächen, öffentlichen Verlautbarungen und Medienberichten hervorgeht, sollten die Angebote zum Wiederaufbau einen partizipativen Ansatz verfolgen. Im Klartext heißt das, ohne die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung, der Zivilgesellschaft, von ausgewiesenen und mit den örtlichen Traditionen vertrauten Architekten und Stadtplanern, aber auch der regionalen Immobilien- und Baustoffbranche läuft nichts. Bei bestimmten Themen könnten marokkanische Unternehmen jedoch auf ausländisches Know-how angewiesen sein. Dazu gehören etwa die Energieeffizienz und der Einsatz von Erneuerbaren Energien.

Interessierten deutschen Firmen ist grundsätzlich anzuraten, ihre Angebote mit marokkanischen Fachleuten und Branchenkennern abzustimmen sowie lokale Unternehmen als Kooperationspartner zu gewinnen. Bei der Geschäftspartnersuche kann zum Beispiel die Deutsche Industrie- und Handelskammer in Marokko behilflich sein.

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