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Branchen | Ukraine | Krieg in der Ukraine

Bruch des Kachowka-Staudamms verursacht große Folgeschäden

Einen Monat nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms zeichnen sich die wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe ab. Neben dem Agrarsektor ist auch die Stahlindustrie betroffen.

Von Gerit Schulze | Berlin

Die gesprengte Staumauer am Unterlauf des Dnipro am 6. Juni 2023 führte zum Auslaufen des riesigen Kachowka-Stausees. Das ukrainische Umweltministerium schätzt die Umweltschäden auf umgerechnet 1,4 Milliarden Euro. Neben der fehlenden Wasserversorgung ist die Verschmutzung der überschwemmten Felder durch kontaminiertes Wasser ein Problem. Außerdem sollen 150 Tonnen Ölprodukte über die Dnipromündung ins Schwarze Meer gelangt sein. Als großes Problem erweisen sich Landminen, die durch die Flutwelle weggespült wurden und sich großflächig über die Region Cherson verteilten.

Landwirtschaft nun ohne Wasserreserven

Die Folgekosten für die Landwirtschaft in der Region könnten in den kommenden fünf Jahren bis zu 9 Milliarden Euro erreichen. Laut Berichten ukrainischer Medien wurden über den Kachowka-Stausee und den von dort wegführenden Kanälen mehr als 1,5 Millionen Hektar Agrarfläche bewässert. Vor allem die Landwirtschaft im Gebiet Cherson ist fast komplett von dem Stausee abhängig. Im Gebiet Saporischschja bekamen drei Viertel der Agrarbetriebe ihr Wasser aus dem zerstörten Reservoir, im Gebiet Dnipropetrowsk ein Drittel.

Geringere Ernte erhöht den Inflationsdruck

Die ukrainische Nationalbank NBU sieht erhebliche wirtschaftliche Schäden auf das Land zukommen. NBU-Präsident Andrij Pyschnyj warnte, dass die Wirtschaftsleistung der Ukraine um 0,2 Prozent schrumpfen könnte. Grund ist die geringere Produktion von Tomaten, Gurken, Auberginen, Melonen und Paprika in der Region. Außerdem seien Produktionsstandorte im Gebiet Cherson überschwemmt worden, Menschen haben ihr Eigentum verloren und seien auf der Flucht. Die Inflationsrate steigt wegen der erwarteten Ernteausfälle und aufgrund höherer Betriebskosten der regionalen Unternehmen um 0,3 Prozentpunkte, prognostiziert die Nationalbank.

Allerdings sind die größten Schäden auf der linken, tiefer liegenden Uferseite des Dnipro entstanden. Dort stehen russische Truppen, weshalb die Folgen auf die Wirtschaftskraft noch nicht bewertet werden können.

Das Newsportal NV.ua hat unter Berufung regierungsnaher Quellen eine Übersicht zu den Schäden veröffentlicht, die der Dammbruch am Kachowka-Stausee verursacht hat:

  • 48 Siedlungen unter Wasser
  • Wasserschäden in 3.600 Häusern auf der rechten Flussseite
  • 55.000 Hektar Wald überflutet
  • 10.000 Hektar Agrarland überflutet
  • 1,5 Millionen Hektar Agrarland in den kommenden 3 bis 5 Jahren ohne Bewässerung
  • 150 Tonnen Schmierstoffe sind in den Dnipro gelangt
  • Fischbestand für die Fangflotte um mehrere Tausend Tonnen gesunken

Künftige jährliche Ernteverluste durch fehlende Bewässerung:

  • 1,2 Millionen Tonnen Getreide
  • 500.000 Tonnen Gemüse
  • 250.000 Tonnen Beeren

Versorgung mit Lebensmitteln nicht gefährdet

Für die Lebensmittelversorgung des Landes und für die Exporte dürfte der zerstörte Stausee überschaubare Folgen haben. Bei bestimmten Agrargütern spielen die drei direkt betroffenen Regionen Cherson, Saporischschja und Dnipropetrowsk jedoch eine wichtige Rolle. Das betrifft vor allem Wassermelonen (55 Prozent der ukrainischen Gesamtanbaufläche), Weizen (25 Prozent) und Freilandgemüse (19 Prozent).

Anteil der vom Staudammbruch betroffenen Regionen an der ukrainischen Agraranbaufläche (Anteil in Prozent, 2021)

Agrargut

Region Cherson

Region Saporischschja

Region Dnipropetrowsk

Weizen

7,1

10,0

7,9

Kartoffeln

1,7

1,4

4,2

Wassermelonen

43,1

4,1

7,6

Freilandgemüse

9,0

2,3

8,1

Sonnenblumen

5,2

8,2

9,2

Quelle: Nationales Statistikamt Ukrstat 2022

Bei diesen Produkten könnte es lange Zeit zu Engpässen kommen. Denn die Wiederherstellung der Bewässerungsanlagen werde drei bis sieben Jahre dauern, sagte Minister Mykola Solskyi. Das Vorhaben habe Priorität, weil die Landwirtschaft in der Region ein wichtiger sozialer Faktor sei, meinte der Ressortchef. Deshalb muss der Staudamm schnell wieder aufgebaut werden. Die ukrainische Regierung lässt von Bauingenieuren bereits ein Konzept für einen Hilfsdamm erarbeiten, dessen Bau nach der Befreiung der Ortschaft Nowa Kachowka beginnen soll. 

Hilfsdamm könnte in einem Jahr fertig sein

Die für die Wasserkraftwerke zuständige Staatsholding Ukrhydroenergo rechnet dafür mit einer Bauzeit von einem Jahr, inklusive Demontage der alten Anlagen. Für die Finanzierung führt das Unternehmen nach eigenen Angaben bereits Verhandlungen mit der Weltbank. Der Bau eines neuen Staudamms und Kraftwerkes würde anschließend mindestens fünf Jahre dauern und inklusive der dazu gehörenden Infrastruktur etwa 2 Milliarden Euro kosten, schätzen Experten.

2 Mrd.

würde der Wiederaufbau des Staudamms und der zugehörigen Infrastruktur kosten.

Das Regional- und Wiederaufbauministerium hat bereits ein Verzeichnis der Städte und Gemeinden erstellen lassen, die von den Überflutungen betroffen sind. Die lokalen Verwaltungen wurden gebeten, ihren Bedarf an Hilfsleistungen, Ausrüstungen und notwendigen Baumaßnahmen mitzuteilen. Aktuell werden vor allem Trinkwasser, Medikamente und Lebensmittel benötigt. In einem nächsten Schritt müssen die Energie- und Wasserversorgung, Schulen, Krankenhäuser und Transportwege wiederhergestellt werden.

Als erste Notmaßnahme stellte die Regierung umgerechnet 25 Millionen Euro aus dem Fonds zur Beseitigung der Kriegsfolgen für die Region bereit. Das Geld soll an die Menschen gehen, die ihre Häuser durch die Flutwelle verloren haben.

Großstadt Krywyj Rih vor dem Notstand

Betroffen vom Dammbruch ist auch die Großstadt Krywyj Rih, die ihr Trinkwasser bislang aus dem Stausee bekam. Nach Angaben der örtlichen Verwaltung sollen die Vorräte in der Industriestadt nur noch anderthalb Monate reichen. Seit Mitte Juni 2023 wird deshalb ein 30 Kilometer langer Kanal vom Dnipro-Nebenfluss Inhulez zum Speicherbecken Piwdenne gebaut. Dieser Speicher hatte vor der Kachowka-Sprengung große Teile von Krywyj Rih mit Wasser versorgt und speiste sich aus dem nun ausgetrockneten Stausee. Zusammen mit den Kanalbauarbeiten ist vorgesehen, 100 Kilometer neue Trinkwasserleitungen in die Stadt zu verlegen und Pumpstationen zu bauen.

Stahlwerken fehlt das Kühlwasser

In Krywyj Rih befindet sich auch ein großes Stahlwerk von ArcelorMittal, das Kühlwasser aus dem Kachowka-Stausee nutzte. Dafür muss nun Ersatz gefunden und die Produktion bis dahin gedrosselt werden, berichtete Forbes Ukraine. Größere Metallurgiewerke mit Kühlwasserbedarf gibt es auch in Nikopol am rechten Dniproufer.

Internationale Hilfe läuft an

Aus Deutschland sind gleich nach Bekanntwerden des Dammbruchs mehrere Hilfskonvois in das Notgebiet gestartet. Das Vereinigte Königreich stellte 20 Millionen US-Dollar (US$) zur Verfügung, Japan sagte 5 Millionen US$ zu. 

Die EU hat im Rahmen ihres Katastrophenschutzverfahrens rescEU 500 Generatoren in die Region geschickt. Sie sollen dabei helfen, Wasserpumpen und Kläranlagen anzutreiben. Deutschland hat über das rescEU-Programm 5.000 Wasserfilter und 56 Generatoren in Aussicht gestellt. Österreich lieferte 20 Wassercontainer und 10 Spülpumpen.  

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat zusammen mit anderen Fachverbänden der Wasserwirtschaft einen Spendenaufruf für die Region Cherson gestartet. Großer Bedarf besteht an leistungsstarken Tauch- oder Mobilpumpen, Frequenzumrichtern und Industrietrocknern.

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