Wirtschaftsumfeld | Lettland | Investitionsförderung
Praxischeck
Der lettische Fachkräftemangel gilt als größte Herausforderung für die Volkswirtschaft des Landes. Die gute logistische Anbindung der Hauptstadtregion ist ein großer Pluspunkt.
27.10.2022
Von Niklas Becker | Riga
Die Suche nach Arbeitskräften bleibt eine der größten Herausforderungen für Unternehmen in Lettland. So benennt der Foreign Investors’ Council in Latvia (FICIL) die Verfügbarkeit und Qualifikation von Fachkräften als einen der vier wichtigsten Herausforderungen des Landes. Die Nichtregierungsorganisation vertritt etwa 50 große ausländische Investoren in Lettland.
Linda Helmane, Geschäftsführerin von FICL, berichtet, dass es in der lettischen Hochschulbildung Missverhältnisse gebe. "Die Ausbildung läuft zum Teil an den Bedürfnissen der Unternehmen vorbei", erklärt die Expertin. Ein ähnliches Bild gebe es bei der Berufsausbildung. Hinzu komme die zu niedrige Qualität der Ausbildung.
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Arbeitskräftemangel betritt auch deutsche Investoren
Von den Engpässen auf dem lettischen Arbeitsmarkt sind auch deutsche Investoren betroffen. Das zeigt unter anderem die neuste Konjunkturumfrage der Deutsch-Baltischen Handelskammer (AHK Baltikum). Diese wurde im April 2022 unter deutschen Investoren in Lettland durchgeführt. Von den 21 zu bewerteten Standortfaktoren schnitt die "Verfügbarkeit von Fachkräften" am schlechtesten ab. Es ist zugleich der Faktor, der sich im Vergleich zu Vorjahresumfrage am deutlichsten verschlechterte.
"Der Fachkräftemangel in Lettland ist durchaus eine Herausforderung", berichtet Māris Balčūns, Büroleiter Lettland bei der AHK Baltikum. Der Experte berichtet von einer steigenden Anzahl deutscher IT-Unternehmen, sich in Lettland niederlassen. Aufgrund des Arbeitskräftemangels rät Balčūns ihnen, sich nicht zu ambitionierte Ziele bei der geplanten Entwicklung der Mitarbeiterzahlen zu stecken. "Oftmals läuft die Unternehmensentwicklung langsamer als zunächst geplant, weil Fachkräfte nicht so schnell gefunden werden", berichtet Balčūns.
Ausländische Fachkräfte werden benötigt
Abhilfe könnten Arbeitskräfte aus dem Ausland schaffen. Nach Meinung von FICIL muss Lettlands Regierung jedoch mehr unternehmen, um ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Tatsächlich hat die lettische Botschaft in Russland im August 2022 allerdings die Annahme von Visaanträgen russischer Staatsbürger auf unbestimmte Zeit eingestellt. Hiervon sind auch Arbeitsvisa betroffen. Landeskenner stellen diese Entscheidung in Zusammenhang mit den Parlamentswahlen, die Anfang Oktober 2022 stattgefunden haben.
Andere Regionen nicht außer Acht lassen
Besonders deutlich ist der Fachkräftemangel in Lettlands Hauptstadt. Balčūns rät potenzielle Investoren daher, sich nicht vorschnell auf Riga als Investitionsstandort festzulegen. Auch die anderen Regionen des Landes könnten laut dem Experten durchaus interessant sein für deutsche Unternehmen. Vorgemacht hat es beispielsweise die Zellner Group. Der deutsche Hersteller von passiven Komponenten für LAN-Netzwerke, Rechenzentren und Telekommunikation betreibt in Rēzekne - im Osten Lettlands - einen Produktionsstandort.
Kriterien | Lettland | Deutschland |
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1 Institutionen (Sicherheit, Transparenz, Recht) | 47 | 18 |
2 Infrastruktur | 43 | 8 |
3 Adaption von Informations- und Kommunikationstechnologien | 15 | 36 |
4 Makroökonomische Stabilität | 1 | 1 |
5 Gesundheit | 84 | 31 |
6 Bildung und Ausbildung | 22 | 5 |
7 Produktmärkte | 47 | 9 |
8 Arbeitsmarkt | 28 | 14 |
9 Finanzsystem | 85 | 25 |
10 Marktgröße | 95 | 5 |
11 Dynamik des Geschäftsumfeldes | 40 | 5 |
12 Innovationsfähigkeit | 54 | 1 |
Lettland verzichtet ab dem 1. Januar 2023 auf Erdgaslieferungen aus Russland. Im Jahr 2020 machte der Energieträger etwa 22 Prozent der lettischen Energieversorgung aus. Zukünftig will das Land Flüssiggas über das litauische Terminal Klaipėda sowie Erdgas per neuen polnisch-litauischen Gasleitung GIPL (Gas Interconnection Poland-Lithuania) importieren. Den im Land benötigten Strom produziert Lettland zum großen Teil selbst. 2021 konnte 75 Prozent der benötigten Elektrizität durch heimische Kraftwerke bereitgestellt werden. Durch den Ausbau erneuerbarer Energien soll der Anteil zukünftig erhöht werden.
Megaprojekt wird logistische Anbindung weiter verbessern
Ein großer Pluspunkt des lettischen Investitionsstandorts ist seine sehr gute logistische Anbindung. Lettlands Hauptstadt Riga ist die größte Metropole im Baltikum und zugleich auch Basis der staatlichen Fluggesellschaft Air Baltic, weshalb sich viele europäische Ziele schnell erreichen lassen. Dies gilt sowohl für Passagier- als auch für Frachtflüge. Der Hauptstadthafen bietet auch aufgrund neu fertiggestellter Industrieflächen verschiedene Möglichkeiten für deutsche Unternehmen. Neben Riga verfügt Lettland noch über zwei weitere gut ausgebaut Häfen: Ventspils und Liepaja.
Die logistische Erreichbarkeit des baltischen Landes wird sich in Zukunft weiter verbessern: Mit dem Eisenbahn-Infrastrukturprojekts Rail Baltica sollen Estland, Lettland und Litauen an das westeuropäische Schienennetz angebunden werden. "Rail Baltica wird das Potenzial der Region deutlich steigern", schätzt Valdis Zeps, Referatsleiter Investitionsförderung bei der lettischen Investitionsagentur (LIAA). Die ursprünglich für 2026 vorgesehene Fertigstellung des Megaprojekts dürfte sich jedoch um einige Jahre verschieben.
Als weiterer Pluspunkte für den lettischen Investitionsstandort spricht nach Meinung von FICIL auch der hohe Digitalisierungsgrad der öffentlichen Verwaltung. Zudem hebt Helmane hervor, dass der Fachkräftemangel im Land zwar eine Herausforderung sei, lobte aber zugleich die Qualität der vorhanden Erwerbsbevölkerung. "Lettische Arbeitskräfte zeichnen sich durch eine hohe Motivation aus", ergänzt die Expertin. Lettlands Arbeitnehmer zeichnen sich unter anderem auch durch ihre Fremdsprachenkenntnisse aus. Die Arbeitskosten im Land sind mit 11,10 Euro pro Arbeitsstunde (Gehalt plus Steuern minus Zuschüsse) die viertniedrigsten in der EU.