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Eine neue Bahnstrecke soll ab 2026 die baltischen Staaten mit einem neuen Nord-Süd-Korridor verbinden. Nun werden weitere Aufträge ausgeschrieben.
29.04.2021
Von Sebastian Holz | Bonn
Mit dem Projekt Rail Baltica sollen Estland, Lettland und Litauen bis 2026 an das westeuropäische Schienennetz angebunden werden. Gebaut werden 870 Kilometer Neustrecke, zweigleisig und elektrifiziert. Passagierzüge sollen mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde, Güterzüge mit 120 Kilometern pro Stunde verkehren. Die Fahrt von Tallinn nach Warschau würde nur noch 6 Stunden dauern. Laut einer Machbarkeitsstudie von EY aus dem Jahr 2017 sollen bis zu 4,7 Millionen Passagiere und 15 Millionen Tonnen Fracht die Strecke in Zukunft jährlich passieren. Umgesetzt wird das Projekt vom Konsortium RB Rail AS mit Sitz in Riga, an dem die drei baltischen Staatsbahnen beteiligt sind.
Bild vergrößernDas Bauprojekt ist bereits ein bis zwei Jahre hinter dem Zeitplan – und deutlich über Budget. Der Europäische Rechnungshof schätzt, dass die ursprünglich veranschlagten Gesamtkosten von 4,8 Milliarden Euro mittlerweile auf 7 Milliarden Euro angestiegen sind. Verzögerungen gibt es bei den notwendigen Gebietsankäufen in Estland und Lettland. Von den 609 nötigen Teilankäufen sind in Estland erst 163 vollzogen. Der Bau der Passagierterminals in Pärnu und Ülemiste könnte sich um bis zu fünf Jahre verzögern. Auch die Planung des Knotenpunktes Kaunas in Litauen liegt hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück. Trotzdem hält das ausführende Konsortium bisher an dem Fertigstellungsdatum 2026 fest.
Bereits im Mai 2021 sollen die Bauarbeiten am neuen Bahnhof nahe des Rigaer Flughafens beginnen, der ebenfalls an Rail Baltica angebunden wird. Die Arbeiten werden von einem österreich-lettischen Konsortium durchgeführt.
Gut voran kommen die Arbeiten auf polnischem Gebiet, die den Anschluss der neuen Strecke an die Netze bis Warschau und Westeuropa sicherstellen sollen. Zwei Abschnitte sind bereits fertig, zwei weitere sollen bis 2023 beziehungsweise 2024 finalisiert werden. Lediglich auf der Strecke Ełk–Suwałki–Trakiszki, die direkt an die litauische Grenze führt, wird wohl bis 2027 gebaut werden. Die polnische Staatsbahn PKP unterhält ein eigenes Rail-Baltica-Portal auf dem sie über Fortschritte informiert.
Als Teil des North Sea-Baltic Corridor stellt die Strecke einen integralen Teil der transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V) dar, die die Europäische Kommission bis 2050 fertigzustellen plant. Finanziert wurde das Projekt bisher zu 85 Prozent aus Mitteln der Connecting Europe Facility (CEF) der Europäischen Kommission. Den Rest tragen die Regierungen der drei baltischen Staaten. Diese Finanzierung lief Ende 2020 mit dem letzten EU-Budget (Mehrjähriger Finanzrahmen, MFR) zunächst aus. Im März 2021 gab es eine politische Einigung der Institutionen der Europäischen Union zur Neuauflage der CEF. Ein CEF-Entwurf von Juni 2020 hatte dem Projekt EU-Mittel in Höhe von 1,6 Milliarden Euro zugedacht. Somit wäre die Finanzierung auch mit dem neuen MFR für die Jahre 2021 bis 2027 gesichert.
Am 30. März 2021 lud RB Rail AS zu einem virtuellen Jahrestreffen, das 1.300 Teilnehmer aus 34 Ländern anzog. Dabei wurde der Procurement Plan 2021 vorgestellt, in dem die Ausschreibungen zum Bau diverser Schienenabschnitte, Beratungsdienstleistungen, Datenzentren, und Pipeline-Überführungen angekündigt werden. Darüber hinaus läuft noch bis zum 31. März 2021 ein Architekturwettbewerb zur Gestaltung des neuen Bahnhofs der litauischen Hauptstadt Vilnius.
Bisher gingen laut dem Projektkonsortium 15 Prozent der Verträge an baltische Unternehmen und 84 Prozent an Firmen aus dem restlichen Europa. Die Ausschreibungen laufen nach lettischem Recht ab. Alle relevanten Dokumente sind auf Englisch verfügbar. Bereits abgeschlossene Verträge sind online einsehbar. Deutsche Unternehmen waren bereits in früheren Ausschreibungsrunden erfolgreich und konnten sich Aufträge im Wert von fast 24 Millionen Euro sichern, die teils gemeinsam mit europäischen Partnern umgesetzt werden. Für 2021 haben bereits das deutsche Planungsbüro Obermayer und die spanischen Prointec S.A. eine erneute gemeinsame Bewerbung angekündigt.
Jahr | Unternehmen | Auftragsgegenstand | Auftragswert (in Euro) |
---|---|---|---|
2019 | DB Engineering & Consulting GmbH (mit Egis Rail, Olimps) | Planung eines 123 km-Streckenabschnittes in Litauen | 12.024.529 |
2019 | Rambøll Deutschland GmbH (mit Rambøll Danmark A/S) | Studie zur Optimierung des Betriebs des Bahnknotens Riga | 153.596 |
2018 | Obermeyer Planen + Beraten GmbH (mit Prointec S.A.) | Konstruktion und Aufsicht einer neuen Strecke von Pärnu bis zur estnisch-lettischen Grenze (93,5 km) | 10.779.467 |
2018 | TÜV SÜD Rail GmbH | Lieferantenmarktstudie für Bahninfrastrukturkomponenten | 243.210 |
2017 | Railistics GmbH (mit Civitta Eesti AS) | Machbarkeitsstudie des Güterterminals Pärnu im Rahmen des Rail Baltica Global Project | 139.876 |
2017 | Rail Management Consultants GmbH | Softwarelieferung für Zugverkehrsmodellierung | 29.150 |
2017 | DB Engineering & Consulting GmbH | Erstellung eines Businessplans | 413.638 |
Über Rail Baltica hinaus wird außerdem seit einigen Jahren der Bau eines Unterseetunnels zwischen den Hauptstädten Tallinn und Helsinki diskutiert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 wäre das Projekt aufgrund der zu erwartenden Passagierzahlen und Frachtvolumen wirtschaftlich realisierbar. Jedes Jahr reisen 9 Millionen Menschen zwischen den Hauptstädten. Die nördliche Verlängerung der Rail Baltica könnte die bisherige Fährfahrt zwischen den beiden Hauptstädten von etwas über 2 Stunden auf knapp 30 Minuten mit dem Zug verkürzen. Finnland bekäme erstmals eine Schienenanbindung an den Rest Europas. Fürsprecher erhoffen sich außerdem wirtschaftliche Synergieeffekte aus dem Zusammenrücken der beiden Metropolregionen.
Zwei prominente Projektvorschläge hierzu gibt es bereits. FinEst Bay wird vom finnischen Softwareunternehmer Peter Vesterbacka vorangetrieben, der 2019 mit der Präsentation eines chinesischen Investors für Schlagzeilen sorgte. Die Firma Touchstone Capital Partners sollte 15 Milliarden Euro für den Tunnel bereitstellen, der bereits 2024 befahrbar sein sollte. Später wurden allerdings Zweifel an dem eher unbekannten Financier laut, der zudem in Estland als Instrument chinesischer Einflussnahme gesehen wurde.
Das öffentliche Konkurrenzprojekt, FinEst Link, lag wegen mangelnden Interesses der vorigen estnischen Regierung einige Jahre lang auf Eis. Nachdem die neue Regierung unter Premierministerin Kaja Kallas die bilateralen Gespräche wiederaufgenommen hatte, wurde am 26. April 2021 eine Vereinbarung veröffentlicht. Darin bekennen sich Estland und Finnland zu einer weitreichenden Kooperation bei der Umsetzung von Transportprojekten inklusive des Tunnels. Als Teil des europäischen TEN-V-Netzwerkes solle der Tunnel Helsinki zur Endstation der Rail Baltica machen.
Projekthomepage des ausführenden Konsortiums mit Ausschreibungsübersicht | |
Rail-Baltica-Informationsportal der polnischen Bahngesellschaft PKP | |
Anlaufstelle für deutsche Unternehmen | |
Homepage des privaten Tunnelprojekts FinEst Bay Area Development OY | |
Homepage des öffentlichen Tunnelprojekts FinEst Link | |
Transeuropäischer Verkehrskorridor Nordsee-Baltikum auf den Seiten der Europäischen Kommission |