Branchen | Brasilien | Chemische Industrie
Branchenstruktur
Präsident Lula schützt die petrochemische Industrie und bremst Privatisierungen im Öl- und Gassektor. Zudem will Brasilien die Düngerproduktion stimulieren.
05.05.2023
Von Gloria Rose | São Paulo
Laut dem deutschen Verband der Chemischen Industrie (VCI) lag Brasilien 2021 auf dem achten Rang unter den Nationen mit dem höchsten Anteil am Weltumsatz mit Chemiewaren. China, die USA, Japan, Deutschland, Südkorea, Indien und Frankreich schnitten besser ab. Beim Verbrauch erreichte Brasilien den fünften Platz.
Die Chemieindustrie mit ihren rund 1.650 Herstellern von Industriechemikalien und chemischen Endprodukten trägt etwa 12 Prozent zur Bruttowertschöpfung der brasilianischen Industrie bei.
Hoher Verbrauch von Industriechemikalien im Land spricht für Investitionen
Der große Inlandsverbrauch und der hohe Importanteil bei Industriechemikalien spricht für Investitionen. Voraussetzungen für die langfristig angelegten Projekte der Branche sind jedoch Vorhersehbarkeit und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dank des vorbildlich grünen Strommixes und hervorragender Bedingungen für erneuerbare Energien bietet die Elektrifizierung chemischer Prozesse Chancen für die brasilianische Chemieindustrie im internationalen Wettbewerb. Die vier größten Petrochemiehersteller Braskem, Dow, Unipar und Unigel verstärken bereits ihre Investitionen in erneuerbare Energien.
Ein neuer Rechtsrahmen verpflichtet die Städte und Gemeinden, die Trink- und Abwasseraufbereitung flächendeckend zu gewährleisten. Der inländische Bedarf an Chlor wird stark steigen. Dementsprechend verzeichnet die Chlor-Alkali-Industrie bereits eine Reihe an Investitionsprojekten. Beispielsweise erweitert die Unipar-Gruppe die Produktion an verschiedenen Standorten. Chlorum Solutions profiliert sich als bedeutender Player für kleinere Anlagen. Sowohl Unipar als auch Chlorum Solutions setzen dabei auf die Elektrolyse-Technologie von thyssenkrupp nucera.
Der Krieg in der Ukraine führte zu einer Verknappung des Angebots an Nährstoffen für Düngemittel. Russland und Belarus lieferten mehr als ein Viertel der Nährstoffe, die in der brasilianischen Agrarwirtschaft eingesetzt werden. Um die Lieferketten für Düngemittel langfristig zu sichern, veröffentlichte die Regierung im März 2022 ein Strategiepapier. Der Plano Nacional de Fertilizantes (PNF) strebt an, die Importabhängigkeit in den kommenden 30 Jahren von derzeit 85 auf 50 Prozent zu reduzieren. Darüber hinaus debattiert die Abgeordnetenkammer über ein neues Förderprogramm für den Sektor. PROFERT soll steuerliche Anreize zur inländischen Produktion setzen.
Petrochemie begrüßt die Industrieförderung unter Präsident Lula
Unter Präsident Lula da Silva erwartet die Petrochemie die Fortsetzung hoher Antidumpingtarife. Die Zolltarifsenkungen des vergangenen Jahres wurden bereits rückgängig gemacht. Außerdem sollte das Programm Regime Especial da Indústria Química (REIQ), über das etwa 25 Petrochemieunternehmen Steuererleichterungen erhalten, nun doch nicht vorzeitig auslaufen.
Brasiliens Chemieindustrie hatte die abrupte Marktöffnung unter Präsident Bolsonaro scharf kritisiert. Mit dem Argument der Inflationsbekämpfung setzte das Wirtschaftsministerium den Zolltarif wiederholt herab, darunter ab August 2022 die Zollsätze für wichtige Basischemikalien wie Polyethylen, Polypropylen und Polyvinylchlorid. Laut dem Chemieverband Abiquim trugen die Maßnahmen zu dem starken Anstieg der Chemieimporte bei und führten sogar zur vorübergehenden Stilllegung eines Betriebs. Die Produktion petrochemischer Basischemikalien rentiere sich aufgrund der hohen Preise für wichtige Vorprodukte wie Naphtha und Erdgas, der relativ hohen Besteuerung und hoher Kosten für Logistik und Energie ohnehin viel zu wenig, gibt Abiquim an.
Umsatz ausgewählter chemischer Erzeugnisse in Brasilien (in Milliarden US-Dollar; Veränderung und Marktanteil in Prozent)
Sparte | 2022 1) | Veränderung 2022/2021 2) | Marktanteil |
---|---|---|---|
Industriechemikalien | 88,3 | 24,6 | 47,2 |
Düngemittel | 35,0 | 50,9 | 18,7 |
Pflanzenschutzmittel | 20,0 | 34,2 | 10,7 |
Pharmazeutika | 19,7 | 19,4 | 10,5 |
Kosmetika | 9,5 | 14,5 | 5,1 |
Reinigungsmittel | 6,1 | 1,7 | 3,3 |
Farben und Lacke | 3,9 | 9,5 | 2,1 |
Künstliche und synthetische Fasern | 1,1 | 21,7 | 0,6 |
Andere | 3,3 | 27,3 | 1,8 |
Insgesamt | 187,0 | 27,3 | 100,0 |
Gasmarktöffnung und Privatisierungen stocken
Die Liberalisierung des brasilianischen Gasmarktes ab April 2021 sollte Investitionen im Umfang von etwa 18 Milliarden US$ anstoßen. Ohne das Monopol der bundesstaatlichen Versorgungskonzerne und des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras könne sich die Erdgasversorgung in Brasilien um bis zu 40 Prozent vergünstigen, prognostizierte Bolsonaros Wirtschaftsminister Paulo Guedes. Derzeit zahlen die Abnehmer in Brasilien mehr als dreimal so viel wie Verbraucher in den USA.
Durch den Krieg in der Ukraine zog die LNG-Nachfrage auf dem Weltmarkt stark an. Hohe Preissteigerungen für Flüssiggas erschwerten die Öffnung des brasilianischen Gasmarktes. Bis zur Entstehung eines Marktes, an dem Großverbraucher ihren Anbieter frei wählen können, ist es ohnehin noch ein weiter Weg. Denn die Rahmenbedingungen für den Vertrieb obliegen den Bundesstaaten, die oftmals dem Widerstand der Versorgungskonzerne nachgeben. Petrobras verzögerte bislang den Ausstieg aus dem Transport und Vertrieb von Erdgas. Und nach dem Regierungswechsel ist nun unklar, inwiefern die Liberalisierung weiter fortschreiten wird.
Petrobras, Brasiliens Monopolhersteller von Erdölderivaten, verkaufte bis Ende 2022 nur drei seiner dreizehn Raffinerien. Mit dem Regierungswechsel kamen die Privatisierung des Ölkonzerns, die Veräußerung weiterer Raffinerien sowie der Verkauf des brasilianischen Petrochemiekonzern Braskem vorerst zu einem Stopp.
Wettbewerb am Pflanzenschutzmarkt nimmt weiter zu
Biochemische und biologische Pflanzenschutzmittel gewinnen Marktanteile. Brasiliens Gesundheitsaufsicht Anvisa ließ 2022 fast 160 biologische Produkte zu, 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Aufgrund schnellerer Zulassungsverfahren und der Harmonisierung im Außenhandel steigt der Wettbewerb. Zwischen 2019 und 2022 wurden pro Jahr rund 500 neue Wirkstoffe und Produkte für den brasilianischen Markt zugelassen, mehr als dreimal so viele wie in den Jahren vor 2016. Dabei handelt es sich zum Großteil um Generika.
In der Vermischung und dem Vertrieb von Düngemitteln herrscht eine relativ hohe Marktkonzentration. Die vier größten Unternehmen Mosaic, Yara, Fertipar und Heringer bedienen 70 Prozent des Marktes. Nach Fertilizantes Tocantins (FTO) übernahm die russische Gruppe EuroChem mit Sitz in der Schweiz auch den Traditionskonzern Heringer.
Wichtige Branchenunternehmen in Brasilien (Umsatz in Milliarden US-Dollar; Veränderung in Prozent)
Unternehmen | Sparte | Umsatz 2021 1) | Veränderung 2021/2020 2) |
---|---|---|---|
Petrochemie | 19,6 | 80,4 | |
Düngemittel | 5,1 | 52,9 | |
Düngemittel | 4,4 | 49,0 | |
Chemie | 3,9 | 32,2 | |
Düngemittel | 3,8 | 71,0 | |
Pflanzenschutz | 1,5 | 23,0 | |
Chemie | 1,4 | 136,6 | |
Chemie | 1,2 | 18,3 | |
Pflanzenschutz | 1,2 | -35,2 | |
Chemie | 1,2 | 62,6 |