Rechtsbericht Äthiopien Coronavirus
Äthiopien: Coronavirus und Verträge
Das Land hat sich zuletzt zu einem wichtigen Handelspartner in Ostafrika entwickelt. Was passiert nun, wenn Verträge aufgrund der Coronakrise nicht mehr erfüllt werden können?
09.12.2020
Von Katrin Grünewald | Bonn
Einleitung
Äthiopien hat, wie viele andere afrikanische Länder, frühzeitig harte Maßnahmen ergriffen. So wurden zeitweise die Schulen geschlossen und öffentliche Veranstaltungen verboten. Auch Reisen wurden eingeschränkt und die Grenzen für den Personenverkehr geschlossen. Diesbezügliche Einschränkungen bestehen weiterhin und können unter anderem einen verpflichtenden Covid19-Test oder eine zwingende Quarantäne umfassen. Die zum Reisezeitpunkt geltenden Maßnahmen sind abhängig vom jeweiligen Infektionsgeschehen und können sich kurzfristig ändern. Bei einer geplanten Reise ist es daher unerlässlich, sich regelmäßig über die aktuellen Bestimmungen zu informieren.
Die einschneidenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie können bei vielen Unternehmen dazu führen, dass sie ihre Verträge nicht mehr erfüllen können. Daher stellt sich vielen die Frage: Was ist zu tun, wenn Verträge nicht mehr eingehalten werden können?
Was sehen die vertraglichen Regelungen vor?
Sofern eine Prüfung des anwendbaren Rechts zum Ergebnis kommt, dass äthiopisches Recht anwendbar ist, gilt nach dem dortigen Vertragsrecht, wie in vielen Rechtssystemen, die Vertragsfreiheit. Demnach können die Parteien grundsätzlich frei bestimmen, was in ihrem Vertrag geregelt wird, solange sie sich an die gesetzlichen Grundlagen halten. Das bedeutet, dass auch in Äthiopien die Möglichkeit besteht, eine höhere Gewalt-Klausel, auch force majeure-Klausel genannt, im Vertrag zu vereinbaren. Daher sollte man zunächst einen Blick in den bestehenden Vertrag werfen.
Gegenstand derartiger Klauseln sind regelmäßig Definitionen von Ereignissen höherer Gewalt, häufig auch mit einer beispielhaften Liste. Vertragliche Regelungen sehen darüber hinaus überwiegend vor, dass zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung ein kausaler Zusammenhang gegeben sein muss.
Was sagt das äthiopische Recht zu höherer Gewalt?
Auch das äthiopische Recht enthält Regelungen zu höherer Gewalt. Diese sind auf alle Verträge anwendbar, für die äthiopisches Recht gilt. Auch auf Verträge, in denen eine höhere Gewalt-Klausel vereinbart wurde, können die gesetzlichen Regelungen insofern anwendbar sein, als im Vertrag nichts Genaueres geregelt wurde.
Was höhere Gewalt ist, wird in Art. 1792 des äthiopischen Zivilgesetzbuches (Ethiopian Civil Code) definiert. Danach ist höhere Gewalt ein Ereignis, das für eine durchschnittliche Person unvorhersehbar ist und die Leistungserbringung unmöglich macht. Die Leistungserbringung darf nicht allein für den Schuldner unmöglich sein, sondern niemand darf die Leistung erbringen können. Kein Ereignis höherer Gewalt liegt vor, wenn die Vertragserfüllung lediglich erschwert wird.
In Art. 1793 des äthiopischen Zivilgesetzbuches werden beispielhaft Ereignisse aufgezählt, die nach äthiopischem Recht höhere Gewalt sein können. Hierzu gehören Naturkatastrophen, Handlungen Dritter oder Bürgerkriege. Das Coronavirus dürfte sich noch am besten unter den Begriff offizielle Verbote, die die Erfüllung eines Vertrages unmöglich machen, subsumieren lassen. Zulässig wäre es jedoch auch, dass ein Gericht das Coronavirus als Ereignis höherer Gewalt anerkennt, obwohl es unter keinen der Begriffe in der Liste des Art. 1793 des äthiopischen Zivilgesetzbuches fällt.
Ereignisse, die nach äthiopischem Recht in jedem Fall nicht als höhere Gewalt gesehen werden, sind in Art. 1794 des äthiopischen Zivilgesetzbuches aufgezählt. Dazu gehören Streiks, gesunkene oder gestiegene Preise für Rohstoffe, die für die Erfüllung des Vertrages notwendig sind sowie die Verabschiedung neuer Gesetze, sofern die Vertragserfüllung hierdurch lediglich erschwert wird.
Kann der Leistungserbringer erfolgreich ein Ereignis höherer Gewalt geltend machen, so wird er von der Haftung für durch die Nichterfüllung entstandene Schäden befreit. Die andere Partei hat das Recht, den Vertrag gemäß Art. 1788 des äthiopischen Zivilgesetzbuches aufzulösen.
Vertragsauflösung bei Unmöglichkeit
Nach derzeitigem Stand kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das Coronavirus von äthiopischen Gerichten als ein Ereignis höherer Gewalt anerkannt wird. Sofern dies nicht der Fall ist, bleibt dennoch die Möglichkeit, einen Vertrag gemäß Art. 1787 oder 1788 des äthiopischen Zivilgesetzbuches aufzulösen. Voraussetzung dafür ist, dass die Vertragserfüllung entweder unmöglich geworden, der Leistungserbringer nach Fristsetzung in Verzug geraten ist oder sich durch die Nichterfüllung der Charakter des Vertrages grundlegend geändert hat.
Rechtsfolge einer derartigen Vertragsauflösung ist allerdings, dass derjenige, der den Vertrag nicht erfüllen kann, für die durch die Nichterfüllung entstandenen Schäden haftet.
UN-Kaufrecht
Äthiopien hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem äthiopischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.
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