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Special Baltische Staaten Krieg in der Ukraine

Baltische Staaten setzen auf Flüssiggas

Estland, Lettland und Litauen kaufen kein Gas mehr aus Russland. Die Länder rücken Liquefied Natural Gas (LNG) in den Fokus. Neue Flüssiggasterminals sind geplant.

Von Niklas Becker | Helsinki

Bereits seit dem 1. April 2022 wird kein russisches Gas mehr in die baltischen Pipelines gepumpt. Das zeigen Daten der estnischen und lettischen Gasübertragungsnetzbetreiber. Litauen hatte als erstes Land der Europäischen Union (EU) Anfang April 2022 mitgeteilt, auf Gas aus Russland zu verzichten. Der Energiesektor des größten baltischen Landes durchläuft seit dem EU-Beitritt 2004 einen enormen Wandel.

Litauens Fernwärmenetz gehört zu den modernsten in Europa

Bereits vor dem Verzicht auf russisches Gas waren erneuerbare Energien und nicht mehr Gas der wichtigste Energieträger im litauischen Wärmesektor. Im Fernwärmenetz des Landes lag der Anteil der erneuerbaren Energien 2020 bei 75 Prozent. Gas machte weniger als 20 Prozent aus. Im Jahr 2004 waren es noch fast 84 Prozent. Die grüne Wärme gewinnt Litauen zurzeit fast ausschließlich aus Biomasse. Sie entsteht als Nebenprodukt in der Holzindustrie. Zukünftig will das Land aber Solartechnologien sowie Wärmepumpen und -speicher stärker in den Fokus nehmen. So soll beispielsweise in der litauischen Stadt Skuodas bis 2024 ein Solarpark mit einer Kapazität von bis zu 400 Megawatt entstehen. Es wäre die größte Anlage des Landes.

Eine zusätzliche Möglichkeit für den Import von Gas aus anderen Quellen eröffnet sich für Litauen ab dem 1. Mai 2022. Dann steht eine Teilkapazität der neuen Gasverbindungsleitung Polen-Litauen, der Gas Interconnection Poland–Lithuania (GIPL), zur Verfügung. Die 508 Kilometer lange Leitung schließt das baltische Gasnetz an das zentraleuropäische an. Bereits im Oktober 2022 soll die GIPL vollständig in Betrieb gehen.

Flüssiggasterminal bietet mehr Möglichkeiten

Eine weitere, entscheidende Komponente für Litauens Unabhängigkeit vom russischen Gas ist das Terminal für Flüssigerdgas in Klaipėda. Es wurde 2014 in Betrieb genommen. Bestandteil des Terminals ist die schwimmende Speicher- und Wiederverdampfungseinheit (Floating Storage and Regasification Unit; FSRU), oft auch als LNG-Terminalschiff bezeichnet, namens Independence.

Das Schiff nimmt das LNG von den ankommenden Tankern auf und wiederverdampft dieses. Anschließend wird das Gas in das Erdgasnetz von Amber Grid, dem litauischen Erdgasnetzbetreiber, eingespeist. Das Gas aus Klaipėda kann über die baltischen Pipelines auch in Lettland und Estland genutzt werden.

Lettischer Erdgasspeicher gut gefüllt

Seit dem 1. April 2022 wird auf diesem Weg auch Gas in den lettischen, unterirdischen Gasspeicher Inčukalns eingespeißt. Das zeigen Daten des lettischen Betreibers Conexus Baltic Grid. Der Speicher ist Ende April 2022 mit mehr als 7,6 Terawattstunden (TWh) Erdgas gefüllt. Conexus Balitc Grid zufolge ist das für die Endphase der Heizperiode untypisch viel. Die maximale Kapazität des Speichers liegt bei 24,1 TWh.

Als Reaktion auf die geopolitische Lage in Europa hatte Conexus Baltic Grid Ende Februar 2022 mit der Einspeisung von zusätzlichem russischen Erdgas begonnen. Wie die Daten des lettischen Betreibers sowie die seines estnischen Pendants zeigen, wurde im März 2022 mehr russisches Gas in das baltische Netz importiert als üblich. Das lettische Parlament hat in seiner Sitzung am 28. April 2022 eine Änderung des Energiegesetzes unterstützt. Diese sieht ein Verbot russischer Erdgaslieferungen nach Lettland ab dem 1. Januar 2023 vor.

Lettland will eigenes LNG-Terminal

Zukünftig könnte der lettische Gasspeicher nicht nur durch LNG aus dem litauischen Klaipėda gefüllt werden. Bereits seit vielen Jahren gibt es Pläne, im lettischen Skulte ein LNG-Terminal zu errichten. Die dafür 2016 gegründete Zweckgesellschaft Skulte LNG-Terminal hat den entsprechenden Prozess zur Umweltverträglichkeitsprüfung im Dezember 2018 angestoßen. Größter Vorteil des Standorts: Der Gasspeicher Inčukalns ist nur 34 Kilometer entfernt. Das in Skulte angelieferte LNG könnte durch Pipelines also direkt in den Speicher transportiert werden. Die Notwendigkeit, ein LNG-Kühllager zu bauen, würde entfallen. Laut der Zweckgesellschaft macht ein solches Lager in der Regel 70 bis 80 Prozent der Baukosten für ein LNG-Importterminal aus.

Nun könnte das Projekt auch höchste politische Unterstützung erhalten. Mitte April 2022 hat sich auch die lettische Regierungskoalition darauf geeinigt, ein LNG-Terminal im Land zu bauen. Neben Skulte kommt hierfür aber auch die Hauptstadt Riga als Standort infrage. Wie Lettlands Premierminister Krišjānis Kariņš erklärt, ist dies ein mittelfristiges Projekt. In Betrieb gehen könnte das lettische LNG-Terminal 2023 oder 2024.

Estland und Finnland chartern LNG-Terminalschiff

Auch Estland kauft kein Gas mehr aus Russland. Die Energieunternehmen des Landes haben die Importe zum 1. April 2022 zunächst ausgesetzt. AS Eesti Gaas beispielsweise sucht derzeit nach alternativen Möglichkeiten, um auch zukünftig auf Gas aus Russland verzichten zu können. Ein Grundsatzbeschluss der Regierung sieht vor, dass Estland die Einfuhr von russischem Gas Ende 2022 einstellen wird. Unterdessen deckt das Land seine Nachfrage über die baltischen Pipelines mit dem in Inčukalns eingelagerten Gas.

Alsbald soll ein neues LNG-Terminal in Betrieb genommen werden, und zwar in Gestalt eines LNG-Terminalschiffs, das Finnland und Estland gemeinsam leasen wollen. Im finnischen Inkoo und im estnischen Paldiski werden derzeit die nötigen Vorkehrungen getroffen. Bis Herbst 2022 soll das Terminalschiff in Betrieb genommen werden. Zunächst wird es dort eingesetzt werden, wo es am schnellsten in Betrieb genommen werden kann. Später, je nach Bedarf, abwechselnd an beiden Standorten.

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