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Special | Brasilien | Coronavirus
Überlastung des Gesundheitssystems im Norden alarmiert die Metropolregionen. Brasilien bereitet sich auf die Produktion von Impfstoffen vor. (Stand: 28. Januar 2021)
28.01.2021
Von Gloria Rose | São Paulo
Brasilien stellt allen Bürgern eine umfassende und beitragsfreie Krankenversorgung über das öffentliche Gesundheitssystem Sistema Único de Saúde (SUS) zur Verfügung. Zudem sind etwa 47 Millionen Brasilianer privat versichert, in der Regel über den Arbeitgeber. Zur Bewältigung der Pandemie stockte die Regierung das Budget des Gesundheitsministeriums auf. Es wurden 17.373 zusätzliche Intensivbetten eingerichtet. Außerdem stellt die Entwicklungsbank BNDES dem Gesundheitssektor günstige Kreditlinien zur Verfügung.
Indikator | 2020 |
---|---|
Bevölkerungsgröße in Mio. | 212,6 |
Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre | 9,6 |
Anzahl Ärzte pro 1.000 Einwohner, 2019 | 2,26 |
Anzahl Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner, 2019 | 2,06 |
Anzahl der Intensivbetten | 55.101 |
davon im öffentlichen Gesundheitssystem SUS | 27.445 |
Anzahl der Beatmungsgeräte im Gesundheitswesen | 65.411 |
davon im öffentlichen Gesundheitssystem SUS | 46.663 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (2016 in US$) | 1.282 |
Durch den drastischen Anstieg der Fallzahlen, wahrscheinlich in Zusammenhang mit einer neuen Coronavirus-Variante, sind die Intensivbetten in den nördlichen Bundesstaaten Rondônia, Tocantins, Roraima und Amazonas zurzeit vollständig ausgelastet. Teilweise werden Patienten in andere Bundesstaaten überführt. Der Sauerstoffmangel in Manaus (Amazonas) alarmiert Städte und Metropolregionen im ganzen Land. Bereits seit Mitte November schieben Kliniken in vielen Bundesstaaten die elektiven Operationen auf. Nun nehmen einige Staaten auch wieder den Betrieb von provisorischen Notkliniken auf.
Die Voraussetzungen im Gesundheitswesen unterscheiden sich regional stark. Während sich in São Paulo 2 der 100 besten Krankenhäuser der Welt befinden, verfügen 90 Prozent der insgesamt 5.570 Städte und Gemeinden Brasiliens über keine Intensivstation und müssen Schwerkranke verlegen.
Durch die Notgenehmigung der Impfdosen von Butantan und Fiocruz durch die Gesundheitsaufsicht Anvisa konnten die Impfungen in Brasilien am 17. Januar starten. Geimpft werden in vier Etappen nur bestimmte Personengruppen, als erste das Fachpersonal im Gesundheitswesen, die über 75-Jährigen und die indigene Bevölkerung. Fraglich ist jedoch, wie rasch die Wirkstoff-Zulieferungen aus Indien und China erfolgen. Der globalen Impfprognose der Economist Intelligence Unit zufolge dürfte Brasilien die Massenimpfung im ersten Halbjahr 2022 erreichen.
Laut Angaben des Gesundheitsministeriums sind für 2021 über 350 Millionen Impfdosen gesichert, der Großteil über die Kooperation von Oxford-AstraZeneca und dem Institut Fiocruz. Nach dem Technologietransfer soll Fiocruz frühestens ab dem zweiten Halbjahr 2021 den Oxford-AstraZeneca-Impfstoff selbst herstellen. Die Kooperation zwischen dem chinesischen Konzern Sinovac Biotech und dem Institut Butantan soll 100 Millionen Dosen bereit stellen. Butantan erweitert zurzeit seine Kapazität und soll ab Oktober 2021 auch die Wirkstoffe für CoronaVac produzieren. Über die weltweite COVAX-Initiative seien weitere 42 Millionen Dosen für Brasilien reserviert.
Der brasilianische Pharmakonzern União Química schloss mit der russischen Gesellschaft RDIF ein Abkommen über den Technologietransfer des Impfstoffs Sputnik V. Im ersten Halbjahr 2021 sollen bereits 10 Millionen Dosen hergestellt werden. Darüber hinaus forschen Fiocruz, Butantan und weitere Einrichtungen an eigenen Impfstoffen, unter anderem auch über den Einsatz von Nanotechnologie.
Ohne Impfstoff ist keine Kontrolle der Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Sicht. Aufgrund unzureichender Tests lassen sich keine akkuraten Aussagen treffen. Infektionsketten werden generell nicht zurückverfolgt. In einigen Bundesstaaten muss die Anzahl der Covid-Todesfälle nachträglich korrigiert werden, weil zu wenige Tests verfügbar waren. Die Schnelltests der Apotheken führen oftmals zu falschen Ergebnissen und verschaffen keine Abhilfe.
Am 15. April trat das Gesetz 13.989/2020 in Kraft, das bis Ende der Coronakrise jeglichen Einsatz von Telemedizin erlaubt. Auch digitale Rezepte und Atteste sind zulässig. Sobald der nationale Notstand überstanden ist, obliegt die Kompetenz der Regulierung wieder dem medizinischen Rat Conselho Federal de Medicina (CFM).
Die Erweiterung des Rechtsrahmens wurde bereits erwartet. Zahlreiche Telemedizinanbieter stiegen somit direkt in den Markt ein. Ähnlich intensiv gewinnen innovative Big-Data- und KI-Verfahren an Bedeutung. Das starke Wachstum von Digital Health dürfte sich über die Coronakrise hinaus fortsetzen.
Bereits Anfang Februar legte die Regierung Regelungen für den Ausnahmezustand während der Coronakrise in dem Gesetz 13.979/2020 fest. Demnach können auch Medikamente und Medizintechnik ohne Registrierung bei der Gesundheitsaufsichtsbehörde Anvisa vorübergehend für den brasilianischen Markt zugelassen werden, sofern diese bereits bei einer ausländischen Gesundheitsaufsicht registriert sind.
Zudem beschleunigte Anvisa die Zulassungs- und Einfuhrverfahren für strategisch wichtige Produkte. Darüber hinaus setzte das brasilianische Institut für Normung Inmetro die Zertifizierung für bestimmte Produkte vorläufig aus. Die Erfüllung technischer Anforderungen und die Überprüfbarkeit durch Labortests wird nach wie vor vorausgesetzt. Auf Importe von über 500 Warengruppen wird bis Mitte 2021 kein Importzoll erhoben.
Einen allgemeinen Überblick über den brasilianischen Gesundheitsmarkt bieten die Branche Kompakt Medizintechnik und die Branche Kompakt Pharmasektor.