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Special | Brasilien | Klimaschutzatlas

Klimaschutz-Atlas

Industrie: Bioenergie als Zwischenstufe zur Dekarbonisierung

Steigende Energiekosten setzen Investitionsanreize. Die energieintensive Industrie entwickelt eigene Initiativen zur Emissionsminderung.

Von Gloria Rose | São Paulo

Die Regulierung des CO2-Zertifikatehandels sowie des Handels mit Methanemissionsrechten im Sinne des Programms Metano Zero steht weiter aus. Dennoch führt die brasilianische Industrie ihre Treibhausgasemissionen zurück. Laut Brasiliens Industrieverband CNI konnte die Chemieindustrie die Emissionen in dem Zehnjahreszeitraum von 2006 bis 2016 um 44 Prozent senken. Der Stahlsektor mindert die Emissionen durch den Einsatz von Holzkohle. Bei Glas und Aluminium verbesserte sich die Recyclingquote.

Treibhausgasemissionen in der brasilianischen Industrie, 1990 und 2016 (Anteil der Sektoren in Prozent)

Sektor

1990

2016

Roheisen und Stahl

33

27

Zement

19

21

Chemie

16

10

Nichteisenmetallurgie und andere Metallurgie

7

8

Lebensmittel- und Getränkeindustrie

4

4

Papier und Zellstoff

3

3

Bergbau und Pelletierung

3

3

Keramik

2

3

Andere Industrie

13

21

Quelle: Sistema de Estimativas de Emissões e Remoções de Gases de Efeito Estufa (SEEG)/Observatório do Clima 2018

 

Der Industriesektor verursacht in Brasilien 4 Prozent der Treibhausgasemissionen. Die Hauptenergiequelle für die brasilianische Industrie ist Strom, der in Brasilien außergewöhnlich sauber erzeugt wird. CNI trägt über ein Förderprogramm für Energieeffizienz zur Emissionsminderung bei. Für zwölf Großkonzerne entwickelte das Team von CNI Aliança Lösungen, die den Stromverbrauch um insgesamt 176 Gigawattstunden drosselten. In der zweiten Phase des Förderprogramms Aliança 2.0 von 2022 bis 2025 soll die Förderung nun 25 Unternehmen zugutekommen und Emissionen von mehr als 40.000 Tonnen CO₂-Äquivalent einsparen.

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Höhere Kosten schärfen den Fokus auf Energieeffizienz

Seit 2014 stiegen die Stromtarife steil an. Im Jahr 2021 sorgte die Energiekrise für eine drastische Verteuerung. Im Januar 2021 wurden zeitvariable Tarife eingeführt. Die zusätzliche Kostenlast traf insbesondere die Metallurgie, die Textilindustrie und nichtmetallische Mineralrohstoffe, also Zement, Keramik, Glas und Kalk. Im Jahr 2022 verteuerten die hohen Tarife die Industrieproduktion um durchschnittlich 13 Prozent. Entsprechend positiv sind die Aussichten für energieeffiziente Ausrüstungen und Prozesse, zumal Brasiliens Industrie laut dem internationalen Energieeffizienzranking 2022 noch über viel Verbesserungspotenzial verfügt.

Großverbraucher aller Wirtschaftssektoren investieren in Energieeffizienz und in erneuerbare Energien – entweder über dezentrale Erzeugung für den Eigenbedarf oder über Abnahmeverträge am freien Strommarkt. Ab 2024 dürfen alle Unternehmen, die Strom mit einer Spannung von über 500 Kilovolt beziehen, Verträge am freien Markt schließen. Einer Erhebung von CNI zufolge wollen 2024 etwa 45.000 Industriebetriebe abwandern.

Dekarbonisierung über Bioenergie

Brasiliens Zucker-Ethanol-Industrie sowie der stark konzentrierte Papier- und Zellstoffsektor und Großkonzerne des Agribusiness investieren in immer effizientere Verfahren zur Verwertung von Reststoffen und zur Gewinnung von Bioenergie. Diese wird entweder über Kraft-Wärme-Kopplung oder Biomasse- oder Biogaskraftwerke in elektrische Energie umgewandelt oder in Form von flüssigen Kraftstoffen wie Bioethanol und Biodiesel oder gasförmigen Brennstoffen wie Biogas oder Biomethan verwertet.

Über langfristige Lieferverträge mit den Bioenergieerzeugern können andere Industriezweige ihre CO2-Emissionen reduzieren. Raízen Geo Biogás, ein Joint Venture des Zucker-Ethanol-Giganten Raízen (JV Shell/Cosan) und dem Betreiberunternehmen Geo Biogás&Tech, errichtet eine Biomethananlage und finanziert diese über langfristige Abnahmeverträge mit Volkswagen und dem norwegischen Düngemittelfabrikanten Yara. 

Auch die Keramikindustrie in Santa Gertrudes will das Potenzial für sich nutzen und schloss ein Abkommen mit Geo Biogás&Tech sowie dem lokalen Zucker-Ethanol-Verband APLA. Zwei Drittel der exportstarken Keramikfliesenproduktion Brasiliens konzentriert sich auf den Produktionsstandort im Staat São Paulo. Bis 2030 wollen die 20 dort ansässigen Fliesenhersteller die Hälfte ihres Erdgasverbrauchs durch Biomethan decken.

Brasiliens Stahlindustrie wiederum nutzt zunehmend Holzkohle aus schnell wachsenden Eukalyptusbäumen. Aço Verde do Brasil (AVB) und Aperam mit eigener Aufforstung wurden von der Schweizer SGS-Gruppe als CO2-neutral zertifiziert. Auch der französische Stahlrohrkonzern Vallourec setzt auf Holzkohle aus eigenen Forstwäldern und ein innovatives, emissionsarmes Verfahren namens Carboval. Zudem investieren die Großkonzerne in die Stromerzeugung über erneuerbare Energien und gehen Partnerschaften zum Bau eigener Wind- und Solarparks ein.

Brasiliens Zementwerke legten im Jahr 2019 eine Roadmap auf, der zufolge sie ihre Emissionen bis 2050 um 35 Prozent mindern wollten. Neben Eukalyptusholz stehen regional unterschiedliche Agrarreststoffe zur Verfügung. Zusätzlich zu den Bioenergieträgern setzen erste Werke auch auf die Verbrennung von Hausmüll. Müllverbrennung wird in Brasilien bislang kaum genutzt. Das allererste Müllheizkraftwerk ging erst im August 2021 ans Netz. Brasiliens Zementindustrie produziert heute bereits relativ emissionsarm. Inzwischen strebt der Sektor die Klimaneutralität bis 2050 an.

Erste Investitionen in grünen Wasserstoff/Ammoniak

Aufgrund großer Standortvorteile bei erneuerbaren Energien gehört Brasilien zu den ersten Ländern weltweit, in denen grüner Wasserstoff kostengünstiger als konventioneller Wasserstoff hergestellt werden kann. Obwohl die Regierung noch keine nationale Wasserstoffstrategie festgelegt hat, wird schon das erste Projekt in Industriemaßstab umgesetzt:

Bereits 2023 will der Düngemittelhersteller Unigel am Standort Camaçari im Staat Bahia grünen Ammoniak produzieren. Auch die Erweiterung der Produktionskapazität von 60.000 Tonnen auf 180.000 Tonnen grünen Ammoniak pro Jahr bis 2025 wurde bereits beschlossen. In einer dritten Phase erfolgt dann bis 2027 der Ausbau auf 600.000 Tonnen grüner Ammoniak pro Jahr. Insgesamt sind Investitionen von 1,5 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Die Elektrolysetechnologie stammt von thyssenkrupp nucera. Auch andere deutsche Zulieferer sind in Brasilien aktiv. 


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