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„Firmen aus Deutschland gehören zu unseren Hauptlieferanten“
Dr. Thomas Klein, Direktor des Observatoriums Paranal der Europäischen Südsternwarte ESO in Nordchile, über den besten Himmel der Welt, europäische Zusammenarbeit und deutsche Technik.
03.12.2025
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Das European Southern Observatory (ESO) betreibt in Chile mehrere Observatorien. Zwei weitere Anlagen – das Extremely Large Telescope (ELT) und das Cherenkov Telescope Array Observatory (CTAO) – sind im Bau. Warum gerade dort?
Dr. Thomas Klein: Der Nachthimmel in der Atacama-Wüste ist besonders dunkel. Sein Himmelshintergrund ist weniger als ein Prozent heller als ein theoretisch völlig dunkler Nachthimmel. Es gibt kaum eine andere für Astronomen zugängliche Stelle auf der Erde, die so frei ist von zivilisatorischen Lichtquellen. Tatsächlich gilt das Paranal unter allen in Betrieb befindlichen Observatorien als Standort mit der niedrigsten Lichtverschmutzung weltweit.
Aber es ist hier in Chile nicht nur dunkel, es ist auch extrem trocken. In der Chajnantor Hochebene, auf 5.000 Metern über Normalnull enthält die Luft nur wenig Wasserdampf – dadurch öffnen sich Fenster in der Atmosphäre im Millimeter- und Submillimeter-Wellenlängenbereich, durch die wir mit ALMA, dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array auf der Chajnantor-Hochebene, ins Weltall schauen. Das macht unsere Standorte in Chile einzigartig für astronomische Beobachtungen.
Welche technologischen Herausforderungen stellen sich beim Bau von Teleskopen in extremen Höhenlagen wie in der Atacama-Wüste?
Das Paranal-Observatorium und das ELT liegen nicht so hoch. Hier ist unser Hauptproblem die aggressive, salzhaltige Luft, denn wir sind nur zwölf Kilometer vom Pazifik entfernt. Deshalb müssen wir regelmäßig die Beschichtungen von den Spiegelsegmenten entfernen und die Rohspiegel neu beschichten.
Anders sieht es beim Atacama Large Millimeter Array (ALMA) und beim Atacama Pathfinder Experiment (APEX) aus, die beide auf über 5.000 Metern Höhe liegen. Dort herrschen hohe UV-Strahlung und Trockenheit – beides lässt die Materialien extrem schnell altern. Hinzu kommt der niedrige Luftdruck, der die Kunststoffe ausgasen lässt. Jede Verkabelung, die nicht speziell für diese Bedingungen ausgelegt ist, geht kaputt. Und für die Elektronikkomponenten ist die aufgrund mangelnder Luftfeuchtigkeit hohe Elektrostatik ein Problem.
Sternstunden in Chile
In der chilenischen Atacama-Wüste entsteht mit dem Extremely Large Telescope (ELT) ein astronomisches Instrument der Superlative. Deutsche Spitzentechnologie, Forschung und hochmoderne Bauteile liefern dafür entscheidende Grundlagen.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der ESO und ihren sechzehn nationalen Partnern?
Hervorragend. Die ESO ist ein gutes Beispiel dafür, wozu Europa fähig ist, wenn die Mitgliedsstaaten an einem Strang ziehen. Wir arbeiten direkt mit den zuständigen wissenschaftlichen Instituten in den Mitgliedsländern zusammen. Das heißt: Wir definieren gemeinsam wissenschaftliche Instrumente und entwickeln sie entweder zusammen mit den beteiligten Instituten oder sie werden von unseren Partnern selbst entwickelt und gebaut. Anschließend installieren wir die Instrumente hier oder an einem der anderen ESO-Standorte in Chile und betreiben sie gemeinsam oder die Institute übernehmen das selbst. Über die Jahre ist so ein fantastisches Expertennetzwerk entstanden. Dieses Potenzial schöpfen wir aus – das sieht man am Erfolg der ESO-Forschung, etwa an der großen Zahl der Veröffentlichungen und auch am Erfolg unserer Partner.
Den europäischen Gedanken tragen wir auch in die Wirtschaft. Bei unseren Ausschreibungen schließen sich oft Bieterfirmen aus ganz Europa zu Konsortien zusammen. Denn für unsere hochspezialisierten Bedarfe gibt es nur sehr wenig Firmen, die als Lieferanten in Frage kommen.
Wie stark ist die Nachfrage nach hochspezialisierter Technik aus Deutschland?
Firmen aus Deutschland gehören zu unseren Hauptlieferanten. Mit anderen Worten: Nach Deutschland fließt über die Ausschreibungen mehr Geld zurück, als der deutsche Staat an Mitgliedsbeiträgen entrichtet. Grund ist, dass Deutschland über eine breite Palette an Firmen im Hochtechnologiesegment verfügt. Darunter sind Konzerne wie Schott, die für uns die Spiegel liefern, und Siemens, von denen wir zum Beispiel Steuerungen beziehen. Vom Mittelständler wie AGC Interpane kommt eine Spiegelbeschichtungsanlage und das Unternehmen Heidenhain aus dem bayrischen Traunreut versorgt uns mit Winkelmessgeräten. Hinzu kommen Spezialisten, die sich im ESO-Umfeld entwickeln konnten, wie Toptica Photonics für Lasertechnik in München.
Wer darf an den ESO-Observatorien forschen?
Forschen dürfen Astronomen aus den Mitgliedsländern. Voraussetzung ist ein aufwendiges Bewerbungsverfahren um die knappe Beobachtungszeit. Meist bewerben sich Gruppen und stellen ihre Forschungsprojekte vor. Tatsächlich sind unsere Teleskope bis zu fünfmal überbucht. Dieses hohe Interesse zeigt die Leistungsfähigkeit unserer Instrumente – und gibt uns die Möglichkeit, aus einer hohen Zahl von Anträgen eine gute Auswahl zu treffen.
Jedes Jahr ergeben sich aus den Forschungen mehr als 1.000 wissenschaftlich begutachtete Publikationen. Unser derzeitiges Zugpferd ist das Very Large Telescope (VLT/I) am Paranal. Auf dessen Beobachtungszeit gingen zuletzt annähernd 60 Prozent der Publikationen zurück. Bemerkenswert ist außerdem, dass nach einer Frist von einem Jahr die gesamte Wissenschaftsgemeinschaft auf die bei der ESO erhobenen Daten zurückgreifen darf. Mit den so verwendeten Daten werden mittlerweile gut ein Drittel der Publikationen erzeugt.
Wie unterstützt die chilenische Regierung die zahlreichen astronomischen Großprojekte der ESO?
Chile ist kein Mitgliedsland der ESO, es ist unser Gastgeberland. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen der ESO finden seit 1963 in Chile statt. Wenn uns Chile diese Standorte nicht zur Verfügung stellen würde, wäre unsere gesamte Forschung nicht möglich.
Im Gegenzug erhält Chile zehn Prozent der Beobachtungszeit an unseren ESO-Observatorien, ohne hierfür bei uns Anträge stellen zu müssen. So erhält Chile Zugang zur Spitzenforschung in der Astronomie und hat über die Jahre Wissen aufgebaut, das es zuvor hier nicht gab. Darüber hinaus bilden wir vor Ort technisches und wissenschaftliches Personal aus und geben Studierenden die Möglichkeit, bei uns ihre Masterarbeit zu schreiben.