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So soll das Extremely Large Telescope (ELT) in der Atacama-Wüste einmal aussehen. So soll das Extremely Large Telescope (ELT) in der Atacama-Wüste einmal aussehen. | © picture alliance/L. Calçada/European Southern Observatory/dpa

Markets International 4/25 I Chile I Astronomie

Sternstunden in Chile

In der chilenischen Atacama-Wüste entsteht mit dem Extremely Large Telescope (ELT) ein astronomisches Instrument der Superlative. ­Deutsche Spitzentechnologie, Forschung und hochmoderne Bauteile liefern dafür entscheidende Grundlagen. 

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Tobias Müller schwärmt: „Diese Maschine ist der Kracher!“ Er zeigt auf die Beschichtungsanlage für die Spiegelsegmente des ELT, des größten Teleskops der Welt, das auf einem Berg in der chilenischen Atacama-Wüste entsteht. AGC Interpane aus Lauenförde hat die Anlage geliefert. Müller ist als Ingenieur und als Assembly, Integration and Verification Manager am Observatorium Paranal der Europäischen Südsternwarte ESO zuständig für den Aufbau von Maschinen und ihre Integration in die bestehenden Arbeitsprozesse für das ELT. Weltweit zum ersten Mal, sagt Müller, binden sie an der ESO industrielle Produktionsprozesse in einen astronomischen Betrieb ein. 

Markets International Ausgabe 4/25

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Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 4/2025 mit dem Schwerpunkt Klimaanpassung. Erfahren Sie, welche weiteren Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.

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Chile möchte hoch hinaus

Als Welthauptstadt der Astronomie bezeichnet sich Chile selbst. Anlässlich der Vorbereitungen zur Generalversammlung der International Astronomical Union 2030 in Santiago betonte Präsident Gabriel Boric, bis 2030 würden rund 55 Prozent der astronomischen Beobachtungen weltweit von chilenischem Boden aus durchgeführt. Astronomische Institutionen aus aller Welt sind hier aktiv. Zu den spektakulärsten Projekten zählt das US-kanadische Fred Young Submillimeter Telescope. Die deutsche Firma CPI Vertex Anlagentechnik hat es gebaut. Nun soll es auf dem Vulkan Cerro Chajnantor auf 5.612 Meter Höhe in Betrieb gehen und wird damit eines der am höchsten gelegenen Teleskope der Erde sein. An der Entwicklung waren auch die Universitäten Köln und Bonn beteiligt. Das Beispiel zeigt: Technik und Know-how aus Deutschland sind gefragt und bringen die Astronomie voran. 

Spiegeltechnik im ELT setzt Maßstäbe

Auch die ESO betreibt mehrere Observatorien in Chile. Analog zur Europäischen Nordsternwarte ENO auf den Kanaren ermöglicht sie Forschenden aus sechzehn Mitgliedsländern astronomische Beobachtungen in der südlichen Hemisphäre. Deutschland zählte 1962 zu den Gründern der Organisation. Der Hauptsitz der ESO befindet sich in Garching bei München. Die Organisation finanziert sich im Wesentlichen über die Beiträge ihrer Mitgliedsländer. Deren Höhe richtet sich nach der Wirtschaftskraft. Deutschland ist größter Beitragszahler. 

Das ELT, an dem Tobias Müller arbeitet, ist ein Flagship-Projekt der ESO und trägt seinen Namen Extremely Large Telescope zu Recht: Mit einem Hauptspiegel von 39,3 Meter Durchmesser und einer Spiegelfläche von 978 Quadratmetern stößt das Teleskop an die Grenzen des technisch Machbaren. Allein der Hauptspiegel besteht aus 798 einzelnen Segmenten. Hinzu kommen vier weitere Spiegel, deren größter einen Durchmesser von 4,25 Metern hat. Ein Großteil der Rohlinge für die Spiegel besteht aus Zerodur-Glaskeramik von Schott aus Mainz.

Die Spiegelsegmente müssen voraussichtlich zwei Jahre nach der Installation auf dem Teleskop neu beschichtet werden. Das soll im laufenden Betrieb geschehen – jeden Tag zwei Segmente. In der Abgelegenheit der Atacama-Wüste auf dem 3.060 Meter hohen Cerro Armazones geht das nur vor Ort. Die Beschichtung erfolgt in einem Vakuumbehälter. „Um dem gewaltigen Druck standzuhalten und nicht zu implodieren, hat das Vakuumgefäß des Deggendorfer Maschinenbauers Streicher für die Beschichtung der großen Spiegel einen sechs Zentimeter dicken Flansch und einen 2,5 Zentimeter dicken kaltgeschmiedeten Klöpperboden“, erklärt Müller. „Eine Firma, die das kann, müssen Sie erst einmal finden, denn die Beschichtungen bewegen sich im Nanometerbereich. Die dünnste der vier Schichten misst 0,5 Nanometer – das entspricht fünf Zehntelmillionstel Millimetern.“ 

Um den Alterungsprozess der Spiegel zu verlangsamen, arbeitet ein Team aus Ingenieuren aus Chile und der ESO-Zentrale in Garching bereits an der Entwicklung eines In-situ-Säuberungsverfahrens. Die Segmente sollen direkt im ELT gereinigt werden, was nicht nur aufgrund der hochempfindlichen Lagerung der Spiegelsegmente ein äußerst anspruchsvoller Prozess ist. Selbst mikroskopische, von der Reinigung hervorgerufene Oberflächenkratzer beeinträchtigen die Abbildungsqualität.

Wer liefert was?

Von der Spiegelscheibe bis zur wissenschaftlichen Auswertung – deutsche Unternehmen und Institute stellen Komponenten und Services für moderne Teleskope weltweit bereit. Von der Spiegelscheibe bis zur wissenschaftlichen Auswertung – deutsche Unternehmen und Institute stellen Komponenten und Services für moderne Teleskope weltweit bereit. | © GTAI/KammannRossi

Nanoskopisch und gigantisch zugleich

 „In der Astronomie gibt es nichts, was dem ELT gleichkommt“, sagt Thomas Klein, Direktor des Observatoriums Paranal.  Von dort steuern sie den Aufbau des rund 20 Kilometer entfernt liegenden ELT. Dieses Alleinstellungsmerkmal wird das ELT auf absehbare Zeit behalten. Zum Vergleich: Das Giant Magellan Telescope, das derzeit im Süden Chiles unter US-Federführung entsteht, erreicht lediglich einen Spiegeldurchmesser von 24,5 Metern bei einer Spiegelfläche von 368 Quadratmetern.

Ein Grund sind die hohen Kosten solcher Spitzenforschung: Allein bis zur Inbetriebnahme des ELT – geplant für Ende des Jahrzehnts – sind 1,5 Milliarden Euro veranschlagt. Eigenleistungen beteiligter Institute sind dabei noch nicht eingerechnet. Das ELT bringt die gewaltigen Dimensionen des Stahlbaus mit den mikroskopisch feinen Anforderungen der Optik zusammen, welche nur Toleranzen im Nanometerbereich zulassen. „Der Hauptspiegel weicht im Mittel nur 20 bis 40 Nanometer ab, während die gesamte Teleskopkonstruktion einschließlich Spiegelsegmenten und Instrumenten einmal 4.600 Tonnen wiegen soll“, fasst ESO-Direktor Klein zusammen. 
Auch der Dom, in dem das Teleskop entsteht, ist mit 80 Meter Höhe imposant. Die Schutzhülle steht auf einem elf Meter tiefen Unterbau, in dem mächtige hydraulische Stoßdämpfer das Teleskop selbst bei Erdbeben bis zu einer Stärke von 9,0 auf der Richterskala vor Schäden bewahren sollen. 

Die Platte, auf der das Teleskop steht, schwimmt auf einem hauchdünnen Ölfilm, um sie möglichst reibungsfrei um die eigene Achse drehen zu können. Im Betrieb lässt sich das ELT außerdem vorwärts- und rückwärtskippen. So lassen sich alle Objekte am Himmel ansteuern. Die Forscher können den Dom nach oben hin öffnen und ihn bei Bedarf um das Teleskop rotieren lassen, um den Öffnungsschlitz möglichst klein zu halten. 

Um die Spiegel exakt zu positionieren, ruht jedes Segment auf Aktuatoren. Insgesamt sind es allein für den Hauptspiegel 2.394. Darüber hinaus besitzt das ELT mit dem M4-Spiegel den größten verformbaren Spiegel der Welt. Er hat einen Durchmesser von 4,5 Metern, ist aber extrem dünn. 5.000 Magnete stellen ihn bis zu 1.000-mal pro Sekunde neu ein, um das durch atmosphärische Störungen gestörte Bild zu korrigieren. Sensoren messen die Störungen nahezu in Echtzeit mithilfe von Lasern. Die Laser erzeugen in 40 Kilometer Höhe einen leuchtenden Punkt. Bei Abweichungen davon wird die notwendige Verformung des Spiegels errechnet. Damit die Systeme perfekt zusammenspielen, bedarf es komplexer, innovativer Softwarelösungen – eine herausfordernde Aufgabe für die ESO-Entwickler in Garching. 

Schatten und Licht

Was der ESO derzeit große Sorge bereitet, ist ein weiteres in Chile angesiedeltes Zukunftsprojekt: ein gewaltiger Solarpark zur Herstellung von grünem Wasserstoff und Ammoniak einschließlich Hafenanlagen und Logistik auf mehr als 3.000 Hektar und nur wenige Kilometer vom Paranal-Observatorium und vom ELT entfernt. Noch ist nichts entschieden. Doch wenn Chile den Antrag des US-Konzerns AES genehmigt, wäre es mit der einzigartigen Dunkelheit am Rande der Atacama-Wüste vorbei – mit irreversiblen Schäden für die weltweite astronomische Forschung.

Ansporn für viele Beteiligte ungeachtet der standortpolitischen und technologischen Herausforderungen ist die Frage: Gibt es auf anderen Planeten Leben? Angesichts dieser existenziellen Frage ließe man sich von irdischen Hindernissen nicht abschrecken, meint Klein: „An den bisherigen Fortschritten zeigt sich das gewaltige Potenzial der europäischen Idee, die hinter der ESO steht.“ Sie bündelt Ressourcen, stellt den Mitgliedern eine gemeinsame Infrastruktur zur Verfügung und macht Europas Astronomie global einzigartig.

ESO-Projekte in Chile

ESO Projekte in Chile ESO Projekte in Chile | © GTAI/KammannRossi


 

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