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Rechtsbericht | Chile | Verfassungsrecht

Referendum: Chile lehnt neue Verfassung ab

Rund 62 Prozent der chilenischen Bevölkerung lehnten den neuen Verfassungstext ab ("Rechazo"), während rund 38 Prozent für ihn stimmten ("Apruebo").

Von Dr. Julio Pereira | Bonn

In einer Volksabstimmung (Plebiscito Constitucional 2022) am 4. September 2022 lehnte die Mehrheit der chilenischen Wähler den Text einer neuen Verfassung ab. Die derzeitige Verfassung aus dem Jahr 1980, die während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet verabschiedet wurde, war mehrfach reformiert worden, vor allem unter der Regierung von Ricardo Lagos im Jahr 2005.

Der Prozess zum Erreichen des Referendums begann 2019, als Chile eine Welle von Demonstrationen erlebte. Als Reaktion auf die Proteste schlug die Regierung eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung vor.

Im Jahr 2020 stimmten fast 80 Prozent der Wähler für eine neue Verfassung in Chile. Anschließend wurden die Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung gewählt, die den neuen Verfassungstext ausarbeiten sollten. Der neue Text war mit 388 Artikeln und 54 Übergangsbestimmungen, die insgesamt 178 Seiten umfassten, einer der längsten unter den aktuellen Verfassungen in Lateinamerika. Dies war der Text, der in der letzten Volksabstimmung abgelehnt wurde.

Zu den rechtlichen Aspekten, die von den Chilenen als umstritten angesehen werden und die zur Ablehnung des neuen Verfassungstextes führten, gehören die folgenden:

  • Ende des Senats: Nach der derzeitigen Verfassung ist der Kongress in das Abgeordnetenhaus und den Senat unterteilt. Die funktionelle Zuständigkeit des Senats erstreckt sich auf die Ausarbeitung der von den Abgeordneten verabschiedeten Gesetze. Mit der vorgeschlagenen Verfassung sollte der Senat abgeschafft und zwei Kammern mit asymmetrischen Befugnissen geschaffen werden: neben dem Abgeordnetenhaus (das für die Ausarbeitung von Gesetzen zuständig ist) eine so genannte Regionskammer (die für Gesetze im Zusammenhang mit regionalen Vereinbarungen zuständig ist), deren Zuständigkeiten daher weniger umfassend sind als die des derzeitigen Senats;
  • Anerkennung indigener Rechtssysteme: Die derzeitige Verfassung enthält keinen Hinweis auf indigene Völker. Der Text der neuen Verfassung erkennt nicht nur 11 indigene Völker an, sondern sieht auch deren Autonomie vor. Der einheitliche und unteilbare Charakter des chilenischen Staates war weiterhin in der neuen Verfassung verankert. Zu den umstrittensten Punkten gehörte die Anerkennung indigener Rechtssysteme. Es gab jedoch den Vorbehalt, dass die indigenen Völker die Verfassung des Landes und internationale Verträge respektieren sollten und dass der Oberste Gerichtshof im Falle einer Kontroverse das letzte Wort haben würde.
  • Geschlechterparität: Der neue Verfassungstext definierte Chile als "paritätische Demokratie", in der Frauen mindestens 50 Prozent der Positionen in der Staatsgewalt und den Staatsorganen besetzen sollten. Es gibt keine vergleichbare Rechtsnorm in der derzeitigen Verfassung.
  • Renten: Seit der Verabschiedung der Verfassung von 1980 hängen die Renten ausschließlich von den Beiträgen der Arbeitnehmer zu privaten Rentenfonds ab. Diese Fonds zahlen Renten unterhalb des Mindestlohns. Der neue Verfassungstext schlug ein öffentliches Sozialversicherungssystem vor, das von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden sollte.

Nach dem Ergebnis des Referendums bleibt die chilenische Verfassung von 1980 in Kraft.

In einer Rede an die Nation betonte Präsident Gabriel Boric, dass das Ergebnis des Referendums zeige, dass die Chilenen mit dem von der Verfassungsversammlung vorgeschlagenen Text unzufrieden seien. Er machte deutlich, dass demnächst ein weiterer Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung in Gang gesetzt werden soll.

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