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Special | EU-China | Konnektivität

Chinas Standards erfordern von Europäern mehr Engagement

Kenntnisse über und Mitarbeit an chinesischen Standards werden für europäische Unternehmen immer bedeutender. Doch es gibt viele Hindernisse.

Von Marcus Hernig | Bonn

Technische Standards sind von großer Bedeutung für europäische Firmen auf dem chinesischen Markt. Das ergab eine Studie der European Chamber of Commerce und des Swedish Institutes of International Affairs, die im Jahr 2021 durchgeführt wurde. 86 Prozent aller befragten Unternehmen hielten es für richtig, dass sie bei der Entwicklung chinesischer Standards einen aktiven Part spielen müssen, wenn sie weiterhin wettbewerbsfähig bleiben möchten. Damit ist die Beteiligung an Chinas Normung für europäische Unternehmen fast genauso wichtig, wie entsprechendes Engagement in europäischen (92 Prozent Zustimmung) und internationalen Normungsaktivitäten (88 Prozent Zustimmung).

Zu viele Standards erschweren die Kooperation

Für europäische Unternehmen, die in China registriert sind, ist es grundsätzlich möglich, an Normungsprozessen mitzuwirken. Einfach ist das allerdings oft nicht: "China hat geschätzt um die 90.000 Standards in fünf Kategorien von der nationalen bis zur Ebene der Unternehmen. Dazwischen existieren Industriestandards, lokale Standards und Standards von Verbänden.

Würden alle 30.000 Standards der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und der Internationalen Elektrotechnische Kommission (IEC) komplett übernommen, blieben immer noch 60.000 eigene", sagt Betty Xu. Sie ist seit 2018 abgeordnete Expertin für Normung in China (SESEC) der drei großen europäischen Standardisierungsgremien CEN, CENELEC und ETSI sowie der Europäischen Kommission und der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA.

Betty Xu kennt die aktuelle Situation am besten: „Zwar sind 80 bis 90 Prozent der elektrotechnischen Standards in China identisch mit den internationalen. Trotzdem sind sie im Detail oft nicht harmonisiert. Seit 2017 kommen noch die Standards der Wirtschaftsverbände dazu. Selbst wenn die Regierung die verpflichtenden nationalen Standards reduziert hat, steigt die Anzahl chinesischer Standards durch die Eigenentwicklungen aus der Wirtschaft und den Regionen weiter.“

China normiert neue Technologien

Die Schwerpunkte chinesischer Normierungsinitiativen sind neue Technologien wie die Entwicklung von Drohnen, Batterielösungen für die Elektromobilität, 5G, Datensicherheit und künstliche Intelligenz (KI). Hier zeigte sich zuletzt ein deutlicher Zuwachs. Betrug Chinas Beitrag zu den 4G-Mobilfunkstandards noch 22 Prozent, so liegt er nach Informationen der Europäischen Handelskammer in Peking beim Nachfolgestandard 5G schon bei 32 Prozent.

Bei Drohnen, Lithiumbatterien und auch auf dem Feld künstlicher Intelligenz sind viele Felder noch nicht standardisiert. Häufig füllen chinesische Normierungsvorschläge genau diese weißen Felder aus: "Allein im Bereich KI sind 80 Prozent spezifischer chinesischer Standards noch nicht kompatibel mit ISO/IEC-Normen", weiß Betty Xu.

Europäische Normen und Standards haben Chancen in China

Gerade hier setzen die Aktivitäten der Europäer an. Die eigenen Standards für digitale und grüne Technologien sollen China als Lösungen gerade dort angeboten werden, wo das Land seine Schwerpunkte setzt: KI, Cyber-Sicherheit, intelligente Produktion, Industrie 4.0. Die Standardisierungsstrategie 2030 von CEN/CENELEC zielt darauf, europäische Standards mit den Normen für den Markteintritt in China zu harmonisieren.

Dabei setzen die Europäer unterschiedliche Schwerpunkte: "Deutschland", sagt Betty Xu, "ist besonders an industriebasierten Anwendungen von KI in China interessiert. Großbritannien hingegen möchte den Fokus stärker auf politische Implikationen von Cyber-Sicherheit legen." Für die Deutschen ist es daher deutlich einfacher, eigene Standards in China durchzusetzen, denn deutsche Standards zur intelligenten Fertigung und Industrie 4.0 sind oft zusammen mit chinesischen Partnern erarbeitet worden und liegen IEC-Standards zugrunde. Das macht die Harmonisierung leichter. Zukunftschancen für europäische Standards in China sieht Betty Xu vor allem bei Umweltstandards: "Wir haben bereits 100 grüne Standards in China identifiziert, zum Teil mit sehr vielen technischen Details. Das ist sehr interessant für unsere fünf europäischen Partner und die künftige Normierungszusammenarbeit."

Europäer sollen nationale Normierung in China fördern

Viele Normierungsaktivitäten in China sind nationaler Natur und nach innen gerichtet. Es gilt, die vielen lokalen Normen und Unternehmensstandards zu harmonisieren. Allein 17 neue technische Komitees (TC), die ISO-Standards in China widerspiegeln, sind entstanden. Hier können europäische Erfahrungen sehr hilfreich sein und sich weitere Chancen für ein verstärktes Engagement europäische Unternehmen auftun.

Im Gespräch sind auch sogenannte Beijing- und Shanghai-Abkommen, die analog zu dem Wiener und Frankfurter Abkommen der europäischen Standardisierungsorganisationen CEN und CENELEC mit der ISO und dem IEC dafür sorgen sollen, dass internationale Normen auch für die regionale Ebene gültig sind.

China kann Vorbild sein, Normung attraktiv zu machen

Expertise ist ein entscheidender Faktor. Dazu gehört vor allem auch lokale Forschung und Entwicklung in China selbst. So gewonnene Expertise eines Unternehmens kann ein unmittelbarer Beitrag zur aktiven Entwicklung von Standards in China sein. Hinzu kommt der Faktor Bildung und Ausbildung: Der chinesische Staat investiert gezielt in die Ausbildung professioneller Normierer in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern, vergibt Stipendien und Projektmittel.

Daran fehlt es oft in Europa. Wenn es nicht zum unmittelbaren Vorteil des eigenen Unternehmens gereicht, sind Engagement und Kooperation in Sachen Standards oft wenig attraktiv. In der Studie der Europäischen Handelskammer in Peking antworteten 71 Prozent der befragten Unternehmen, dass Europäische Union und Nationalstaaten deutliche Anreize setzen sollten, um die Normungsarbeit für ihre Akteure in China attraktiver machen. Nur so könne man dem hohen Anspruch, auch in Zukunft führend bei der Normierungsarbeit zu sein, gerecht werden.

Weiterführende Links

EU Chamber of Commerce in China: The Shape of Things to Come. The Race to Control Technical Standardisation.

https://www.europeanchamber.com.cn/en/publications-standardisation-report

Seconded European Standardization Expert on China (SESEC)

https://sesec.eu/

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