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Branchenbericht Europa Wasserkraft

Postsowjetische Wasserkraft hat hohen Modernisierungsbedarf

Mario Ledic vom Turbinenhersteller ANDRITZ Hydro spricht im Interview über Wasserkraft in der Ukraine und Zentralasien und über den ökologischen Fußabdruck großer Staudämme.

Von Lukas Latz | Berlin

Spätestens seit 2014 strebt die Ukraine explizit eine EU-Mitgliedschaft an. Die Westorientierung und zunehmend marktwirtschaftliche Ausrichtung eröffnete auch westeuropäischen Unternehmen größere Chancen auf dem ukrainischen Markt. Der Turbinenhersteller ANDRITZ Hydro hat diese Chancen genutzt und will auch nach dem Ukrainekrieg im Land aktiv bleiben.

Mario Ledic spricht außerdem über den Beitrag, den die Wasserkraft zum Klimaschutz leisten kann.  Die EU-Taxonomie sieht die Wasserkraft nur unter bestimmten Auflagen als nachhaltige Technologie. Ledic begrüßt die Einführung der Taxonomie, weist jedoch darauf hin: "Das bedeutet einen Mehraufwand."

  • "Der schreckliche Krieg hat auch Auswirkungen auf unsere Arbeit"

    Die Sowjetunion baute riesige Wasserkraftwerke. Für deren Modernisierung setzen Nachfolgestaaten wie die Ukraine zunehmend auf westliche Unternehmen.

    ANDRITZ Hydro produziert Turbinen und elektromechanische Ausrüstung für Wasserkraftwerke. Am Standort Ravensburg arbeiten 450 Beschäftigte. Seit 2006 gehört der Standort zur österreichischen ANDRITZ-Gruppe, einem Industriekonzern mit weltweit mehr als 27.000 Beschäftigten. Mario Ledic, der Leiter des Bereichs Governmental Affairs bei ANDRITZ Hydro, spricht im Interview über die Märkte des postsowjetischen Raumes.

    Lukas Latz: Herr Ledic, wie haben Sie den Schritt auf den ukrainischen Markt gemacht?

    Mario Ledic: Wir haben seit mehr als dreißig Jahren ein lokales Büro in Kiew, aus dem wir die Entwicklung des Energiesektors und speziell der Wasserkraft im Land verfolgen. So fällt uns die strategische Entscheidung leichter, an welchen Ausschreibungen wir teilnehmen können oder nicht. Wir haben vor Ort eine lokale Organisation, die den Markt und die Entwicklungen sehr gut einschätzen kann und unser Bindeglied zum Kunden ist.

    Sie haben dort seit dreißig Jahren ein Büro, aber erst seit sechs Jahren einen Großauftrag? Also haben Sie mit dem Büro ganz lange kein Geld verdient?

    Natürlich haben wir mit Unterstützung unseres lokalen Büros auch schon mehrere kleinere Aufträge in der Vergangenheit generiert. Unseren Großauftrag – die Modernisierung des Kraftwerks Dnipro 1 – haben wir natürlich nicht über Nacht gewonnen, sondern sind durch unsere lokale Organisation im Vorfeld der Ausschreibung tatkräftig unterstützt worden. Der Aufwand und die Erfahrung aus den vorherigen Ausschreibungen haben sich am Ende ausgezahlt. Wir haben als erstes westeuropäisches Unternehmen in der Ukraine einen Großauftrag für die Modernisierung eines Kraftwerks mit einem Gesamtwert von circa 60 Millionen Euro gewonnen. Die Abwicklung des Projekts wird insgesamt fünf Jahre dauern. In dieser Zeit sind wir auch vor Ort, wickeln das Projekt ab und bereiten uns auf weitere Projekte vor.

    Was hat sich am Markt geändert, dass Sie plötzlich einen Großauftrag bekommen haben?

    Ein Grund ist sicher die Annäherung der Ukraine an Europa in den vergangenen Jahren und die damit verbundene Öffnung des eigenen Marktes. Wenn internationale Entwicklungsbanken die Finanzierung für Großprojekte bereitstellen, steigen auch die Chancen für internationale Unternehmen.

    Seit dem 24. Februar herrscht in der Ukraine Krieg. Wie geht es ihren Monteuren vor Ort? Wie geht es ihren Geschäftspartnern beim ukrainischen Stromversorger?

    Der schreckliche Krieg in der Ukraine hat natürlich auch Auswirkungen auf unsere Arbeiten am Kraftwerk Dnipro 1. Mit der Teilreisewarnung des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar haben wir in Absprache mit dem Kunden die Ausreise unserer Monteure vorbereitet. Auch unser Büroleiter hat Kiew aus Sicherheitsgründen in der Zwischenzeit vorübergehend verlassen. Nach Angaben unseres Kunden Ukrhydroenergo arbeiten derzeit alle Wasserkraftwerke nach Plan, hierzu veröffentlicht Ukrhydroenergo täglich auf seiner Internetseite einen Bericht.

    Spielt der russische Markt eine Rolle für Sie?

    Die Hydrosparte der ANDRITZ hat dort im Jahr 2010 eine Niederlassung eröffnet. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung unserer wichtigsten Kunden und weil Energieversorger bevorzugt russischen Unternehmen Aufträge zur Modernisierung von Wasserkraftwerken erteilen, wurde die Filiale aber wieder geschlossen. Aktuell sind wir in Russland nicht sehr aktiv, verfolgen aber die Marktentwicklung. In der Vergangenheit war Russland aber ein wichtiger Markt. Es wurden mehrere Modernisierungsprojekte von Wasserkraftwerken wie zum Beispiel Tsimljanskaja (50 Megawatt) und Iowskaja (96 Megawatt) erfolgreich abgewickelt. Der letzte Auftrag beim Kleinwasserkraftwerk Lykovskaja wurde im Jahr 2015 abgeschlossen. Wir hoffen auf Besserung und wieder mehr Geschäft in der Zukunft.

    In Kasachstan arbeiten Sie seit 2006. Die Wasserkraft existiert in dem Land jedoch bereits deutlich länger. Was hat sich damals im Land verändert, dass Sie plötzlich eine Chance auf diesem Markt hatten?

    Kasachstan hat vor einigen Jahren damit begonnen, erneuerbare Energien auszubauen. Das aktuelle Potenzial der Wasserkraft wird auf 62.000 Gigawattstunden geschätzt, wobei bis heute lediglich 13 Prozent des Potenzials entwickelt wurden. Wir sind seit mehr als 15 Jahren in Kasachstan aktiv und konnten mit unserer Erfahrung sowohl in der Lieferung von Neuanlagen als auch in der Modernisierung von Wasserkraftwerken punkten.

    In den Ländern Zentralasiens gibt es eine Vielzahl von Anlagen aus Sowjetzeiten, die durch eine Modernisierung einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung des Anteils an erneuerbaren Energien bieten. Unsere Referenzen sind bis dato die großen Wasserkraftwerke Mojnak sowie Schardarinskaja. Beim Kraftwerk Schardarinskaja konnten wir mit der Modernisierung eine Leistungssteigerung von 20 Prozent erreichen. Aber auch die Kleinwasserkraft ist in Zentralasien interessant.

    In Usbekistan gab es 2016 einen Regierungswechsel. Der neue Präsident sorgte für eine Öffnung des Marktes. Haben Sie davon etwas gemerkt?

    Die neue Politik des Präsidenten war für uns besonders durch die verstärkte regionale Kooperation mit den Nachbarländern deutlich spürbar. Wir konnten im Jahr 2016 einen Auftrag im Bereich Kleinwasserkraft generieren. Für das Kraftwerk Kamolot mit einer Gesamtleistung von 8,5 Megawatt haben wir die elektromechanische Ausrüstung geliefert. Usbekistan plant, in den kommenden Jahren weiterhin massiv in den Ausbau der Wasserkraft zu investieren. Insgesamt stehen mehr als 23 Vorhaben in der Diskussion – wir verfolgen die Entwicklungen genau.

    Ist Russisch noch die wichtigste Geschäftssprache im Land? Oder legen Partner eher Wert auf Englisch, Kasachisch oder Usbekisch?

    Die Amt- und Landessprache in Usbekistan ist natürlich Usbekisch, wobei auch nach der Wende Russisch als Geschäftssprache genutzt werden kann. Jüngeren Nachwuchskräfte und politische Entscheidungsträger:innen nutzen aber auch immer mehr Englisch und sind sich der Bedeutung von Fremdsprachen im Umgang mit internationalen Unternehmen bewusst.

    Von Lukas Latz | Berlin

  • "Ein Projekt ohne Umwelt- und Sozialstandards gehen wir nicht an"

    Die Wasserkraft produziert zwar Strom ohne laufende Treibhausgasemissionen, der ökologische Fußabdruck kann jedoch groß sein. Projektentwickler müssen Nachhaltigkeit sicherstellen.

    Mario Ledic, Leiter des Bereichs Governmental Affairs bei ANDRITZ Hydro, einem Ravensburger Turbinenherstellen, spricht im Interview über ökologische Chancen und Risiken der Wasserkraft.

    Herr Ledic, wie trägt die Wasserkraft zum Klimaschutz bei?

    Wasserkraft ist die älteste Erzeugungstechnologie für erneuerbare Energie. Ende 2020 betrug die installierte Leistung an erneuerbaren Energien weltweit knapp 3.000 Gigawatt. Der Anteil der Wasserkraft daran beträgt etwa 45 Prozent. Der Anteil an der weltweit erzeugten erneuerbaren Energie liegt jedoch bei rund 57 Prozent. Dieser kann jedoch regional sehr unterschiedlich ausfallen. Aber auch als Speichertechnologie, mit sogenannten Pumpspeicherkraftwerken, leistet die Wasserkraft wertvolle Dienste.

    Pumpspeicherkraftwerke? Was ist das?

    Dazu müssen Sie sich bildlich ganz einfach vorstellen: zwei Seen mit einem Höhenunterschied von mehreren hundert Metern werden durch Turbinen und Generatoren verbunden. So kann überschüssige Energie beispielsweise aus Wind und Solar gespeichert werden, indem Wasser hochgepumpt wird. Bei fehlender Sonneneinstrahlung oder in Schwachwindphasen wird die Energie mittels Turbinenbetrieb wieder abgegeben. Pumpspeicherkraftwerke machen 97 Prozent der weltweiten Stromspeicherung aus. Durch die Energiewende merken wir international eine steigende Nachfrage, da größere Energiemengen nicht wirtschaftlich in Batterien gespeichert werden können.

    Trotzdem ist Wasserkraft umstritten. Wie bewerten Sie Risiken bei Ihren Projekten?

    Wenn Wasserkraftwerke nach international geltenden Standards gebaut werden, sind die Risiken für Mensch und Umwelt minimal. Wenn Standards bei Projekten nicht erfüllt sind, sind diese Projekte für uns nicht interessant. Konkret heißt das, dass es zu jedem Neubauprojekt eine Studie zu den ökologischen und sozialen Folgen und zu Umsiedlungen geben muss. Diese sogenannte ESIA-Studie (Environmental and Social Impact Assessment) erfolgt nach international vereinbarten Standards. Das ist eine Grundvoraussetzung, ehe wir uns überhaupt mit einem Projekt detailliert beschäftigen. Ich bin der Auffassung, dass die Themen Nachhaltigkeit und vor allem Klima-Impact künftig eine größere Rolle bei der Bewertung von Energieprojekten spielen wird.

    In Zentralasien und im Kaukasus waren die Erträge aus der Wasserkraft zuletzt geringer als kalkuliert. Das hängt wohl mit Hitze und höherer Verdunstung zusammen. Senkt der Klimawandel die Erträge der Wasserkraft?

    Fließt weniger Wasser, wird weniger Strom erzeugt. Weltweit gibt es zahlreiche Studien zu den möglichen Effekten des Klimawandels auf die Ertragssituation der Wasserkraft und die Ergebnisse sind regional und sogar lokal sehr unterschiedlich. So ist in manchen Regionen sogar eine positive Auswirkung auf die Erzeugung zu erwarten, etwa durch vermehrten Niederschlag. Der Faktor Klimawandel ist also ein wichtiger Punkt, sowohl bei der Berechnung künftiger Erträge also auch bei der technischen Auslegung der Anlagen.

    Der Bau von großen Staudämmen erfordert eine Menge Zement, den man nicht klimaneutral herstellen kann. Sind Sie verpflichtet, die CO2-Emissionen von Projekten zu messen?

    Wir sind aktuell nicht verpflichtet, die CO2-Emissionen von Projekten zu messen. Das ist Aufgabe der Projektwerber im Zuge der Genehmigungsverfahren. Wir sind aber durchaus in der Lage, an konkreten Projekten der Wasserkraft die Einsparung von CO2 im Vergleich zu anderen Erzeugungstechnologien zu berechnen. Die deutsche Zementindustrie will bis 2050 klimaneutral werden und hat damit aus unserer Sicht eine richtige Entscheidung getroffen. Wichtig ist natürlich noch einmal zu bemerken, dass der Betrieb eines Wasserkraftwerks weder CO2-Emissionen noch zusätzliche schädliche Emissionen mit sich bringt.

    Wenn sich Treibholz in einem Stausee ansammelt, können große Mengen Methan ausgestoßen werden.

    Das ist so nicht richtig. Treibholz kann keine Methanemissionen verursachen. Aber verrottende Biomasse in Stauseen – vor allem im warmen, sauerstoffarmen Wasser tropischer Stauseen – kann sehr wohl erhöhte Methanwerte verursachen. Dafür gibt es Lösungen. In natürlichen Becken sollte vor der Flutung eine vernünftige Reinigung des Bodens dem vollständig entgegenwirken. Bei künstlichen Becken hingegen besteht dieses Problem von Anfang an nicht. Man sollte an dieser Stelle auch erwähnen, dass Staudämme sehr oft Multifunktionsprojekte sind. Das heißt, neben der Stromerzeugung dienen sie dem Hochwasserschutz, der Bewässerung, Flussregulierung, Trinkwasserversorgung oder zu Erholungszwecken.

    Die EU hat gerade ihre Taxonomie vorgestellt, einen Katalog von Wirtschaftszweigen, die unter dem Label "nachhaltig" finanziert werden können. Was heißt das für die Wasserkraft?

    Die EU-Taxonomie ist der Versuch, nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu definieren und stellt somit einen bedeutenden regulatorischen Schritt zur Förderung der Transparenz im Bereich der Nachhaltigkeit dar. Weil das für Projektentwickler zusätzlichen bürokratischen Aufwand mit sich bringt, haben wir uns im Laufe des Entstehungsprozesses sowohl auf Landes- als auch auf europäischer Ebene aktiv eingebracht. Die Taxonomie ist unter anderem die Weichenstellung dafür, unter welchen Bedingungen ein Projekt künftig finanziert werden kann und wird uns sicher in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen.

    Um als nachhaltig zu gelten, muss ein Wasserkraftwerk entweder ohne künstlichen Stausee auskommen, eine hohe Effizienz haben oder nachweisen, dass die Treibhausgas-Emissionen über die gesamte Lebenszeit des Wasserkraftwerks unter einem bestimmten Wert bleiben. Vor allem die europäischen Entwicklungsbanken wie EIB und EBRD müssen ihre Kreditvergabe an der EU-Taxonomie orientieren. Was heißt das für Sie?

    Dass sich Projekte der Wasserkraft künftig an den Kriterien der EU-Taxonomie messen lassen müssen. Das ist grundsätzlich begrüßenswert, bedeutet aber Mehraufwand.

    Von Lukas Latz | Berlin

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