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Gesundheitssystem

Italiens Gesundheitssystem ist breit aufgestellt, gilt aber als langsam und uneinheitlich. Viele Zuständigkeiten liegen bei den Regionen und Gemeinden. 

Von Oliver Döhne | Mailand

Italiens öffentliches Gesundheitssystem gilt aufgrund seiner Reichweite grundsätzlich als Vorzeigebeispiel, ist aber in die Jahre gekommen. Die Coronapandemie legte schonungslos offen, wo Verbesserungsbedarf besteht. Das hat zum Umdenken bei den Verantwortlichen geführt und bietet eine Chance, das gute aber oft zu konservative System auf den neuesten Stand zu bringen.   

Bürgerrecht Gesundheit

Italien unterhält ein universelles öffentliches Gesundheitssystem, das allen Einwohnern einen größtenteils kostenlosen Zugang zu Praxen, Krankenhäusern und medizintechnischer Behandlung sowie eine freie Arztauswahl gewährt und einen Großteil der Kosten bei Rx-Präparaten übernimmt (Beveridge-System). Dies gilt als große gesellschaftliche Errungenschaft. 

Neben einer kostenlosen Grundversorgung über einen Haus- oder Kinderarzt umfasst das System das Recht auf eine Facharztbetreuung, Laboranalysen, Untersuchungen, für die meist ein geringer Eigenbetrag (ticket) zu leisten ist. Eingeschlossen sind auch vom Arzt verschriebene Medikamente, für die Patienten des öffentlichen Gesundheitssystems nur einen geringen Eigenbetrag beisteuern müssen. Medikamente für schwere und chronische Krankheiten und Langzeitkuren sind in der Regel für den Patienten ganz kostenfrei. 

Die Finanzierung erfolgt zu rund 18 Prozent aus der regionalen Wertschöpfungssteuer IRAP, die Unternehmen auf den Umsatz bzw. auf die Mitarbeiterzahl entrichten müssen, sowie zu einem kleineren Teil aus lokalen oder regionalen Aufschlägen zur Einkommenssteuer (IRPEF addizionale). Der Rest des Bedarfs wird durch das Haushaltsbudget ergänzt, in den vergangenen Jahren waren dies rund 80 Prozent. 

Weites Netz an Einrichtungen

Der öffentliche Gesundheitsdienst SSN (Servizio Sanitario Nazionale) umfasste nach Angaben des Gesundheitsministeriums von 2019 insgesamt etwa 27.000 medizinische Einrichtungen. Dazu zählen 1.045 Krankenhäuser mit etwa 191.000 Betten für normale Aufenthalte. Etwas mehr als die Hälfte der Krankenhäuser sind öffentlich, die von unterschiedlich organisierten und benannten öffentlichen Gesundheitsinstitutionen verwaltet werden, so zum Beispiel rund zwei Drittel von sogenannten lokalen Gesundheitsunternehmen (ASL, Azienda sanitaria locale) und ein Zehntel von Krankenhausunternehmen (AO, Azienda ospedaliera). Die privaten Krankenhäuser sind zum Teil staatlich akkreditiert und können so Leistungen des öffentlichen Gesundheitssystems übernehmen. Einige spezielle Krankenhäuser (IRCCS, Istituto di ricovero e cura a carattere scientifico) fokussieren sich auf die medizinische Forschung, nach aktuellsten Angaben gibt es davon in Italien 21 öffentliche und 30 private. 

Des Weiteren gibt es 8.867 ambulante fachärztliche Einrichtungen mit Labors und Gerätediagnostik. Für die stationäre und teilstationäre Betreuung alter, chronisch oder psychisch Kranker, Behinderter oder palliativer Patienten stehen 7.372 stationäre Einrichtungen und 3.086 teilstationäre Gesundheitseinrichtungen bereit, mit insgesamt 251.701 regulären Plätzen. Hinzu kommen 5.586 weitere Einrichtungen wie Zentren für mentale Gesundheit, Familienpraxen, Dialysezentren und hydrothermale Einrichtungen. Für die Rehabilitation existieren 1.122 spezielle Einrichtungen. Nachts und am Wochenende steht mit dem öffentlichen Gesundheitswachdienst (Guardia Medica) in den ASL eine Alternative zum Notarzt bereit. Insgesamt waren 2019 rund 102.416 Ärzte und 256.428 Pfleger und Krankenschwestern im SSN tätig, ein Arzt pro 1.237 Einwohner und ein Kinderarzt pro 917 Kinder.

Budgetwachstum moderater als geplant 

Die finanzielle Ausstattung des italienischen Gesundheitssystems war, nach einigen Jahren ohne signifikanten zusätzlichen Mittelzufluss, im Zuge der Coronakrise wieder spürbar angestiegen. Nach Ende der akuten Phase scheint sich die Entschlossenheit, ausreichende Mittel einzusetzen, wieder abzunehmen. So stellt die Regierung dem Gesundheitssystem 2023 zwar zusätzliche 2 Milliarden Euro bereit, sieht diese aber in erste Linie für den Ausgleich der hohen Energiekosten vor und nicht wo es wirklich brennt, so Branchenexperten. 

Beim Verhältnis der Zahl größerer Medizintechnik in Krankenhäusern wie Computertomografen, Magnetresonanzgeräten oder Mammographen bezogen auf die Bevölkerung liegt Italien laut OECD vor Deutschland und Frankreich. Allerdings haben viele Anlagen schon ein hohes Dienstalter und müssten seit längerer Zeit erneuert werden. Ziel in der Erneuerungsoffensive des Recovery Plans ist es, wo möglich, alle Diagnosegeräte, die über fünf Jahre alt sind, auszuwechseln. 

Auch wenn das Gesundheitssystem insgesamt als präsent und funktional gilt, kann es seinen hohen Standard nicht in allen Regionen halten. Besonders im Süden des Landes entstehen zum Teil lange Wartezeiten für Facharztbesuche, mit Ausnahme von unmittelbar lebensbedrohlichen Krankheiten und Krebspatienten, die sofort versorgt werden. Auch kommt es zu einer Fragmentierung der Dienstleistungen, wenig integrierten Versorgungsnetzen, Problemen bei der Rechtzeitigkeit von Kuren und Eingriffen, exzessiver Hospitalisierung und Eingriffen nicht nur bei klarer Indikation. Branchenkenner berichten auch von zu wenigen Kinderärzten, die für das öffentliche Gesundheitssystem arbeiten. 

Angesichts der oft langen Wartezeiten für Fachärzte, gehen viele Einwohner zu privaten Ärzten oder Gesundheitsunternehmen, die sie meist aus eigener Tasche bezahlen. Dabei handelt es sich um die gleichen Dienstleistungen, wie im öffentlichen System. Qualitativ besteht oft kein Unterschied zwischen privaten und staatlichen Anbietern. Diese Ausgaben lagen 2019 bei rund 36 Milliarden Euro. Private Kranken- und Zusatzversicherungen kommen nur in begrenztem Umfang zum Einsatz, meist über kollektive Zusatzleistungen des Arbeitgebers. Nur etwa 11 Millionen Italiener haben eine private Krankenversicherung, davon rund 8,2 Millionen über den Arbeitgeber oder über Branchenvereinbarungen Selbständiger. 

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