Die großen Volksparteien befürworten lokale Beschaffungsstrukturen. Die Regierung unterstützt verschiedene Initiativen und fördert den Unternehmernachwuchs.
Coronakrise führt zu Debatten um die Regionalisierung von Lieferketten
Seit 2021 verfolgt die Lobbygruppe "Reshoring Canada" das Ziel, die Globalisierung zurückzudrängen, ausgelagerte Produktion wieder ins Land zu holen und die Lieferketten für Kanadas Industrie lokal aufzubauen.
Auch die großen Volksparteien Kanadas betonten im letzten Wahlkampf, sich für regionale Beschaffungsstrukturen einsetzen zu wollen. Sie blicken dabei unter anderem auf die Pharmaindustrie, kritische Minerale und ganzheitlich kanadische Lieferketten für die Batterieproduktion.
Dabei geht es in Politik und Wirtschaft neben der Versorgungssicherung mit medizinischen Gütern und Batteriemineralen auch zunehmend um die Halbleiterindustrie. Die Angebotsknappheit während der Pandemie und die steigenden Logistikkosten könnten einen größeren Einfluss auf die Regionalisierung haben als Handelskriege und wachsender Protektionismus.
Gründung des "Semiconductor Council Canada" soll langfristig Fachkräfte sichern
Einige Wirtschaftsakteure sehen jetzt eine Chance für Kanada, in Zukunft eigene Kapazitäten in der Halbleiterindustrie aufzubauen beziehungsweise zu erweitern. Ein neu gegründetes industriegeführtes Gremium will unter anderem das Potenzial der im Land ausgebildeten Nachwuchskräfte nutzen. Diese bildeten eine ideale Voraussetzung für einen größeren Beitrag Kanadas zur globalen Halbleiterindustrie.
Das "Semiconductor Council Canada", dem unter anderem der Computerchipentwickler und -hersteller AMD beisitzt, will eine nationale Halbleiterstrategie entwickeln. Die Strategie soll dabei helfen, das Land als einen globalen Entwickler und Hersteller von Halbleitern zu positionieren. Diese sollen in Elektroautos, Medizintechnikprodukten, Unterhaltungselektronik und Precision Farming zum Einsatz kommen.
Die Branchenkenner erwarten allerdings nicht, dass Kanada in absehbarer Zeit unabhängig von der globalen Halbleiterproduktion wird. Vielmehr müssen die Nischenfindung, Spezialisierung bei der Chipproduktion sowie die künftige Rolle Kanadas im Fokus stehen.
Das Semiconductor Council wird unter anderem darauf setzen, das technische Personal für diese Industrie zu rekrutieren und im Land zu halten. Weiterhin will das Council eine kritische Masse an lokalen Halbleiterfirmen aktivieren, die bereits geistiges Eigentum in der Branche halten, und diesen bei der Skalierung helfen. Das Council wird also auch im Bereich strategischer Finanzierung unterstützen.
Politik fördert Forschung und ersten Inkubator für Computer-Hardware und Halbleiterprodukte
Ein Mitglied des Councils ist Melissa Chee, CEO des Ontario Technologie Hubs "ventureLAB". Von der Region York in der Greater Toronto Area (GTA) aus fördert ventureLAB kanadische Technologieunternehmen mit Beratungsprogrammen zu Investitionen, Arbeitskräften, Technologieentwicklung und Vertrieb.
Teil von ventureLAB ist Kanadas erster und einziger Inkubator für Hardware und Halbleiter-Lösungen - die "Hardware Catalyst Initiative". Bereits 2019 investierte die kanadische Regierung 4 Millionen US-Dollar (US$) in den Aufbau dieses Inkubators. Seit 2020 ist das Programm aktiv und soll lokale Start-ups in den globalen Halbleitermarkt führen. ventureLABs Hardware Catalyst will Gründern über den Zugang zu fortgeschrittenen Computerressourcen und Produktionskapazitäten vor allem die Hürden kapitalintensiver Investitionen nehmen. Die Initiative erhielt dafür 2021 weitere öffentliche Zuschüsse von knapp 4 Millionen US$.
Der Inkubator ist so aufgestellt, dass Start-ups aus dem ganzen Land die Plattform "remote" nutzen können. Mit den neuen Fördergeldern wird die Initiative zudem bisher in Kanada nicht vorhandene Spitzenausrüstung kaufen mit Fokus auf 5G-Technologien, autonomem Fahren und KI-Entwicklung. Der Aufbau von Fähigkeiten zur Kommerzialisierung neuer Hardware und Halbleiterprodukten soll so Firmen aus dem Sektor anspornen, ihre Produktion im Land zu belassen.
Geboren wurde die Hardware Catalyst Initiative aus dem globalen Angebotsmangel für Computerchips und Sensoren und dem steigenden Wunsch nach einer sicheren, lokalen Versorgung. Das Bündnis soll den Technologiesektor stärken.
Mit Industriepartnern wie TSMC, AMD und Synopsys, die unter anderem Ausrüstung, Designwerkzeuge und technische Beratung anbieten, ist die Fördereinrichtung gut aufgestellt und es lohnt sich, deren noch junge Entwicklung im Blick zu behalten.
Die Regierung plant zudem, 70 Millionen US$ über die nächsten fünf Jahre in die Modernisierung des kanadischen Photonik Zentrums (CPFC) zu investieren. Angegliedert an dieses Zentrum in Ottawa ist eine Forschungseinrichtung für Photonik und elektronische Komponenten.
Die Zukunft der kanadischen Halbleiterindustrie sehen Branchenexperten eher in Spezialprodukten als in der Massenfertigung von Standardprodukten, wo der globale Wettbewerb extrem ausgeprägt ist. Aber in der Photonik, der Mikrosystemtechnik oder bei Quantensensoren könne das Land gezielt investieren und schnell einen Brückenkopf errichten, um sich strategisch im globalen Halbleitermarkt zu etablieren. So könnten Lösungen für Spezialanwendungen in autonomen Fahrzeugen oder in der Medizintechnologie, wie etwa optische Datenkommunikation, Beleuchtung und Displays entstehen.
Von Daniel Lenkeit
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Toronto