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Kanadas Start-up-Szene mausert sich
Kanada bietet starke staatliche Unterstützung, die auf die Einwanderung talentierter Gründer abzielt. Die Zahl kanadischer Unicorns ist in den letzten Jahren stetig gewachsen.
16.04.2025
Von Heiko Steinacher | Toronto
- Start-ups in Kanada stehen trotz Chancen auch vor großen Hürden
- Spitzenforschung und proaktive Politik verschaffen Standortvorteile
- Toronto, Vancouver und Montreal sind wichtige Innovationshubs
- Handelsstreit mit den USA könnte auch auf die Gründerszene durchschlagen
- Unterstützung beschränkt sich oft auf städtische Zentren
Im Global Startup Ecosystem Index steht Kanada weltweit auf Platz 4, hinter den USA, dem Vereinigten Königreich und Israel. Erstellt wird das Ranking von StartupBlink, einer Forschungsgemeinschaft für Start-up-Ökosysteme. Kanada hat seinen Rang seit 2020 gehalten und ist eines der wenigen Länder, das mindestens drei Städte in den globalen Top 50 platziert hat. Allerdings ist die Kluft zwischen der Spitzenstadt Toronto und anderen kanadischen Städten größer geworden.
Start-ups in Kanada stehen trotz Chancen auch vor großen Hürden
Die Chancen, aber auch die Herausforderungen Kanadas für Start-ups lassen sich gut an zwei Firmenbeispielen ablesen. Das erste ist Slack: Ursprünglich 2009 in Vancouver gegründet, hat der webbasierte Instant-Messaging-Dienst heute seinen Hauptsitz in den USA, ging dort 2019 an die Börse und wurde 2021 von Salesforce übernommen.
Das zweite Beispiel ist Shopify: Die cloudbasierte E-Commerce-Plattform wurde 2004 von einem deutschen Einwanderer in Ottawa gegründet und ist heute eines der erfolgreichsten Onlineshopsysteme weltweit.
Kanada sollte sich daher bemühen, erfolgreiche Unternehmer im Land zu halten und gleichzeitig hochqualifizierte ausländische Talente anzuziehen. Das bezwecken zwei Initiativen: das Start-up Visa Program und die Global Skills Strategy. Während die erste ausländische Gründer ins Land lotst, zielt die zweite auf hochqualifizierte Arbeitskräfte ab. Das Start-up Visa Program ermöglichte zum Beispiel den Gründern des Start-ups ApplyBoard schnell und unkompliziert aus dem Iran nach Kanada zu ziehen und dort 2015 ihr Unternehmen aufzubauen. Inzwischen ist ApplyBoard ein führender Anbieter im Bereich Bildungstechnologie.
Erfolgsbeispiele kanadischer Unicorns
Viele Start-ups, darunter Shopify, Wealthsimple und Element AI, haben von Kanadas robustem Netzwerk an Tech-Talenten, lokalen Inkubatoren und Acceleratoren sowie der Nähe zu führenden Universitäten profitiert, die einen stetigen Strom an qualifizierten Absolvierenden liefern. Alle drei Unternehmen haben zudem Einhorn-Status erreicht (Marktbewertung von mindestens 1 Milliarde US-Dollar; US$); Element AI zumindest bis 2020, dann wurde es von ServiceNow übernommen.
Ein weiteres Start-up, das all diese Kriterien erfüllt, ist Xanadu: Das in Toronto ansässige Einhorn hat sich auf die Entwicklung von photonischen Quantencomputern spezialisiert – eine Technologie, mit der komplexe Probleme schneller und effizienter lösbar sein könnten als mit anderen Quantenrechnern.
Xanadu hat in Kanada mehrere Finanzierungsrunden bis zur Serie C abgeschlossen und erhebliche Förderungen auf Bundes- und Provinzebene bekommen, darunter vom Strategic Innovation Fund und von FedDev Ontario. Auch die Partnerschaften mit der University of Toronto und dem Vector Institute haben Xanadu dabei geholfen, sich als führendes Unternehmen im Bereich Quantencomputing zu etablieren und seine Technologien weiterzuentwickeln. Ende Januar 2025 gab Xanadu bekannt, vier unabhängige Server-Racks miteinander vernetzt zu haben, um den weltweit ersten modularen, skalierbaren und vernetzten Quantencomputer zu bauen.
Spitzenforschung und proaktive Politik verschaffen Standortvorteile
Vor allem bei künstlicher Intelligenz (KI) und Cleantech ist Kanada für seine Innovationskraft bekannt. Erfolge im Bereich der KI-Forschung sind auch das Ergebnis der unter der Regierung von Ex-Premierminister Justin Trudeau geschaffenen fünf kanadischen Spitzencluster. Eines davon, AI-Powered Supply Chains Cluster (Scale AI), spezialisiert sich auf KI für resiliente Lieferketten.
Unternehmen wie Element AI und Cohere sind führend in der Entwicklung von KI-Technologien. Bei nachhaltigen Baustoff- und Energietechnologien stechen Start-ups wie EnviCore und Heliene hervor. Ein weiteres wichtiges Feld sind Quantentechnologien: McKinsey zufolge haben sich in Kanada bereits um die 50 Start-ups im Bereich Quantencomputing herausgebildet. Noch mehr gibt es mit knapp 100 nur in den USA. Den Finanzsektor revolutionieren Unternehmen wie Neo Financial und Wealthsimple.
Name | Fokus | Anmerkungen |
---|---|---|
Velocity | Seed-Phase, Frühphase, Wachstum, Tech-Start-ups | Inkubator an der Universität Waterloo |
MaRS Discovery District | Frühphase, Wachstum, Tech-Start-ups, Medtech, Cleantech, Fintech | Größtes urbanes Innovationszentrum Nordamerikas, Toronto |
CommuniTech | Gründer, Wachstumsfinanzierung, Tech-Start-ups | Für innovative Technologien, Kitchener/Waterloo |
L-SPARK | Skalierung, Wachstum, Serie A, SaaS (Software-as-a-Service), Cloud | Accelerator und Inkubator, Ottawa |
Centech | Frühphase, Deeptech, Medtech | Technologie-Inkubator, Montreal |
LE CAMP | Frühphase, Wachstumsphase, Tech-Start-ups | Technologie-Inkubator und -Accelerator in Québec City |
Creative Destruction Lab | wissenschafts- und technologiebasierte Unternehmen in der Seed-Phase | Inkubator und Accelerator; Standorte: Vancouver, Calgary, Toronto, Montreal, Halifax |
Innovate BC | Frühphase, Tech-Start-ups | Förderung von Technologieentwicklung, -anwendung und -kommerzialisierung für Jungunternehmen in British Columbia |
Next Canada | Tech-Start-ups | Verschiedene Programme, um das Wachstum und die Entwicklung von aufstrebenden und skalierenden Unternehmen zu beschleunigen, Hauptstandort: Toronto |
The Accelerator Centre | Unter anderem High Tech, digitale Medien, Gesundheitswesen und KI | privater Business-Accelerator in Waterloo |
Toronto, Vancouver und Montreal sind wichtige Innovationshubs
Die Zahl der Unicorns, also Jungunternehmen mit einer Marktbewertung von mindestens 1 Milliarde US-Dollar (US$), wächst in Kanada stetig. Sie hat sich bis Anfang 2025 auf 31 erhöht und damit seit 2020 mehr als verdoppelt. Technologien von Unternehmen wie Shopify, Lightspeed und Element AI (nach der Übernahme durch ServiceNow im Jahr 2020 kein unabhängiges Einhorn mehr) finden weltweit Beachtung.
Kanadische Einhörner sind vor allem in den Bereichen Unternehmensanwendungen und Hightech zu finden. Auch im FinTech-Bereich sind sie stark vertreten: Die beiden in Montreal ansässigen Fintechs Nuvei und Plusgrade haben 2024 zusammen Kapital in Höhe von mehr als 7 Milliarden US$ angezogen und zählten damit zu den fünf größten Deals in dieser Branche weltweit.
Unter den Großstädten führt Toronto mit zehn Einhörnern, gefolgt von Vancouver mit sechs und Montreal mit fünf. Das Gebiet zwischen dem Großraum Toronto und der Region Waterloo (sogenannter Golden Horseshoe) wird aufgrund seiner Innovationshubs und Gründeraktivitäten oft auch als Silicon Valley des Nordens bezeichnet. Die Region gilt auch als ein wichtiges Zentrum für KI-Start-ups. Multinationale Unternehmen wie Google, SAP, Netsuite (gehört zu Oracle) und EPAM Systems forschen dort an neuen Technologien.
Name | Stadt | Bewertung in Mrd. US$ | Branche |
---|---|---|---|
Dapper Labs | Vancouver | 7,6 | Internetsoftware und -dienstleistungen |
1Password | Toronto | 6,8 | Cybersicherheit |
Hopper | Montreal | 5,0 | Travel Tech |
SSENSE | Montreal | 4,2 | E-Commerce |
PointClickCare | Mississauga | 4,0 | Internetsoftware und -dienstleistungen |
Blockstream | Vancouver | 3,2 | Fintech |
Applyboard | Kitchener | 3,2 | Bildungstechnologie |
Clio | Vancouver | 3,0 | Legal Tech |
In den letzten Jahren ist kontinuierlich mehr Wagniskapital in kanadische Start-ups geflossen, was zur Förderung und Skalierung vieler Unternehmen beigetragen hat. Im Jahr 2024 waren es 5,5 Milliarden US$.
Handelsstreit mit den USA könnte auch auf die Gründerszene durchschlagen
Der kanadische Binnenmarkt ist wesentlich kleiner als der in den USA oder China. Für Start-ups kann es daher schwierig sein, ihre Geschäfte im Inland zu skalieren, bevor sie international expandieren. Dennoch bietet die Nähe zum riesigen US-Markt und dessen finanzkräftigen Wagniskapitalgebern grundsätzlich gute Voraussetzungen. Vor dem Hintergrund des jüngsten Handelsstreits zwischen den USA und Kanada könnten Kapitalgeber allerdings zögern, in kanadische Jungunternehmen zu investieren, wenn sie befürchten, dass Handelsbarrieren die Geschäftstätigkeit und den Marktzugang negativ beeinträchtigen werden.
Unterstützung beschränkt sich oft auf städtische Zentren
Kanada bietet von der Ost- bis zur Westküste eine Vielzahl von Veranstaltungen. Ebenfalls umfangreich vertreten sind Acceleratoren und Inkubatoren. Für kanadische Jungunternehmen, die auf Auslandsmärkten aktiv werden wollen, bietet der staatliche Canadian Technology Accelerator (CTA), der unter anderem in wichtigen globalen Technologiehubs wie San Francisco, Boston, Singapur, Hong Kong oder Berlin vertreten ist, klassische Acceleratoren-Dienstleistungen.
Event | Ort |
WebSummit | Vancouver |
Elevate Festival | Toronto |
Startupfest | Montreal |
Atlantic Venture Forum | Halifax |
Außerhalb der großen städtischen Zentren kann es für Start-ups aber schwierig sein, Unterstützungsleistungen zu nutzen. Trotz verschiedener Gründerzentren, Acceleratoren und Networking-Events sind erfahrene Mentoren mit Fachwissen in dem riesigen Land nicht überall verfügbar. Zudem ist in Bereichen wie Technologie und elektronischer Handel schnelles Internet von entscheidender Bedeutung, was in abgelegenen oder ländlichen Gebieten ein Problem darstellen kann.