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Mehr Cyberangriffe in Kolumbien – IT-Sicherheit gefragt
In Kolumbien investieren Unternehmen und der öffentliche Sektor zunehmend in Cybersicherheit. Ein Branchenexperte erklärt, welche Chancen sich daraus für deutsche Anbieter ergeben.
16.05.2025
Von Janosch Siepen | Bogotá
Mit der zunehmenden Digitalisierung steigt in Kolumbien auch die Cyberkriminalität. Die Anzeigen von Cyberdelikten nahmen 2024 um knapp ein Viertel zu, so die nationale Polizei. Auch eine Studie des US-amerikanischen IT-Sicherheitsunternehmens Fortinet stellt einen starken Anstieg von Cyberangriffen fest.
Gleichzeitig wächst die Nachfrage nach IT-Sicherheit rasant. Die Marktforscher von Mordor Intelligence gehen davon aus, dass das Marktvolumen für Cybersicherheit in Kolumbien von 2025 bis 2030 von 1,1 Milliarden auf knapp 1,9 Milliarden US-Dollar (US$) steigen wird.
Kolumbien sucht Lösungen – und investiert
Zwischen 2023 und 2024 haben laut einer Studie des IT-Sicherheitsunternehmens GMS 85 Prozent der befragten Unternehmen ihre Ausgaben für Cybersicherheit erhöht. Dieser Trend setzt sich auch 2025 fort: Die Investitionen in die Cybersicherheit in Kolumbien sollen um 19 Prozent steigen. Ein Beispiel dafür ist das kolumbianische Telekommunikationsunternehmen Claro, das über 3 Millionen US$ investiert, um seine Cybersicherheit zu verbessern – unter anderem durch den Ausbau seines Sicherheitszentrums und verstärkter Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI).
Auch internationale Unternehmen engagieren sich zunehmend im Bereich der Cybersicherheit in Kolumbien. Das US-Unternehmen Teramind nahm Anfang 2025 seine Geschäftstätigkeit im Land auf, um IT-Sicherheitsdienstleistungen für Privatunternehmen anzubieten. Ende 2024 weihte das spanische IT-Unternehmen Indra ein Zentrum für Cybersicherheit in Medellín ein, das Schulungen und Ausbildungsprogramme unter anderem für den Verteidigungs- und Energiesektor bereitstellt.
Behörden modernisieren ihre digitale Infrastruktur
Auch der öffentliche Sektor hat die wachsende Bedrohung durch Cyberkriminalität erkannt und reagiert mit gezielten Investitionen. Im Januar 2025 weihte das Informationsministerium das erste Cybersicherheitszentrum (SOC) des Landes ein. Kostenpunkt: 3,5 Millionen US$. Das Zentrum soll staatliche Einrichtungen sowie rund 300.000 private Organisationen bei der Abwehr von Cyberangriffen und dem Schutz sensibler Informationen unterstützen.
Die drittgrößte Stadt des Landes, Cali, schaffte Systeme zur Cyberabwehr und Echtzeitanalyse von Angriffen an, die für mehr digitale Sicherheit sorgen. Von diesen Entwicklungen profitieren auch internationale Anbieter. So unterzeichnete der US-amerikanische Cloud-Anbieter Amazon Web Services (AWS) im November 2024 eine Absichtserklärung mit der kolumbianischen Regierung, um Cybersicherheitslösungen und Schulungen zur Verfügung zu stellen.
Ausbau der Cybersicherheit dringend nötig
Cybersicherheit ist lateinamerikaweit ein wachsendes Problem. Laut dem Anbieter von Sicherheitssoftware Kaspersky verloren in den letzten zwei Jahren 42 Prozent der Unternehmen in der Region vertrauliche Daten durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Gerade Erpressungsversuche stellen eine Gefahr dar: Im Jahr 2024 ist die Anzahl der Ransomware-Attacken in Lateinamerika um 259 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, so eine Studie des IT-Unternehmens SonicWall. Auch kolumbianische Behörden waren betroffen.
Der Privatsektor muss ebenfalls aufrüsten. Laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens PwC sind die Unternehmen in Kolumbien nur unzureichend auf digitale Sicherheitsrisiken vorbereitet:
- Mehr als 60 Prozent der befragten Unternehmen haben keinen Plan zur Risikominimierung für Datenbestand und -nutzung erstellt.
- Rund die Hälfte der Unternehmen verfügt nicht über einen Backup- und Notfallwiederherstellungsplan, der auf aktuelle Bedrohungen getestet wurde.
- Fast 70 Prozent der befragten Unternehmen sind nicht vor Cybersicherheitsrisiken durch Drittpersonen gewappnet.
Digitalisierung sorgt für steigende Gefahr
"Die globale Cybersicherheitslandschaft hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert, insbesondere aufgrund von Fortschritten bei neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz, Blockchain und Quantencomputing, die immer ausgefeiltere Bedrohungen und Angriffe ermöglichen", schreibt die Kolumbianische Kammer für Informationstechnologie und Telekommunikation (CCIT) in ihrem jüngsten Bericht. Hinzu kommen mangelnde Kenntnisse im Bereich der Cybersicherheit.
Doch noch von anderer Seite drohen Gefahren:
- Kriminelle Gruppen wie APT C36 werden aktiver.
- Die Nutzung von Fintech steigt rasant.
- Das Gefahrenbewusstsein ist ungenügend.
- Cybersicherheit wird als teuer wahrgenommen.
- Personal mit guten Cybersicherheitskenntnissen ist rar.
- Rechtssicherheit ist gering.
Wie ist die Rechtslage der Cybersicherheit in Kolumbien?
Die kolumbianische Verfassung von 1991 verwendet den Begriff Cybersicherheit nicht, schützt jedoch in Artikel 15 das Recht auf Privatsphäre, das die digitale Sicherheit umfasst. Kolumbien verfügt über kein einheitliches Gesetz zur Cybersicherheit. Der Rechtsrahmen ist fragmentiert und hat nur geringe rechtliche Tragweite.
Eines der wichtigsten Rechtsinstrumente ist das Dekret 1.078 aus dem Jahr 2015, das mehrfach aktualisiert wurde. Es enthält Leitlinien zur Stärkung des digitalen Risikomanagements, richtet sich jedoch ausschließlich an den öffentlichen Sektor. Der private Sektor – einschließlich Unternehmen, die kritische Cyberinfrastrukturen betreiben und wesentliche Dienste erbringen – kann frei entscheiden, ob er die Leitlinien übernimmt oder nicht.
Die rechtliche Bekämpfung der Cyberkriminalität ist hauptsächlich im kolumbianischen Strafgesetzbuch verankert, das durch das Gesetz 1.273 von 2009 geändert wurde und verschiedene Computerkriminalitätsdelikte auflistet. Das Gesetz 1.581 von 2012, das den Schutz personenbezogener Daten regelt, ist ebenfalls anwendbar.
Kolumbien im lateinamerikanischen Mittelfeld
Kolumbien zählte 2024 laut dem IBM X-Force Threat Intelligence Index noch zu den am stärksten betroffenen Ländern Lateinamerikas und belegte mit 17 Prozent aller Cyberangriffe Platz 2 in der Region, nach Brasilien. Im aktuellen Ranking 2025 taucht das Land zwar nicht mehr unter den Top 3 der Region auf. Doch die Cybersicherheit bleibt weiterhin ausbaufähig. Kolumbien liegt im Mittelfeld der Länder des amerikanischen Kontinents, so der Global Cybersecurity Index 2024. Die Studie zeigt, dass sich Cybersicherheit im Land erst etabliert. Ihr Stand ist vergleichbar mit Chile, Costa Rica und Peru, aber hinter Brasilien (Kategorie: Vorbild) und Mexiko (Fortgeschritten).
Auswirkungen von Cyberattacken groß
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind in Kolumbien am meisten von Cyberkriminalität betroffen. Viele können nach einem Angriff ihre Unternehmensaktivität nicht weiterführen, da die Wirtschaftsschäden zu hoch sind. Laut der Unternehmensberatung KPMG verursacht jeder Cyberangriff in Kolumbien im Schnitt einen Schaden von rund 250.000 US$ für das Unternehmen. Besonders schädlich sind Ransomware-Attacken, Datenlecks und Schäden des Webservices. Gerade KMU können meist nur unzureichend auf Angriffe reagieren.
Interview mit Branchenexperten: Welche Lösungen sich in Kolumbien gut verkaufen
"Deutsche Firmen können mit gezielten Lösungen helfen"
Samuel Valencia ist Ingenieur für Cybersicherheit bei einem US-amerikanischen Softwareunternehmen. Im Interview mit Germany Trade & Invest spricht er über Geschäftschancen im Bereich Cybersicherheit in Kolumbien.
Herr Valencia, welche technologischen Trends zeichnen sich derzeit in Kolumbiens IT- und Cybersicherheitssektor ab?
In Kolumbien nutzen wir bereits künstliche Intelligenz bei digitalen Produkten im Vertriebs-, Logistik- und Kundendienst, zum Beispiel durch den Einsatz von Chatbots. Viele kleine und mittlere Unternehmen haben zudem ihre digitale Infrastruktur in die Cloud migriert, was ihnen ermöglicht, ihre Dienste besser an Hardware anzupassen. Um größere Cybersicherheit zu erreichen, verbessern größere Unternehmen ihre Zero-Trust-Sicherheitskonzepte. Damit können sie digitale Identitäten besser schützen und so mehr Vertrauen sowie ein geringeres Investitionsrisiko schaffen.
Welche Geschäftschancen bestehen für deutsche Unternehmen bei Cybersicherheitstechnologie in Kolumbien?
Unternehmen in Kolumbien sind bestrebt, Kosten zu minimieren. Deutsche Firmen können kolumbianischen Unternehmen mit gezielten und effektiven Lösungen helfen. Das betrifft besonders Unternehmen im Finanzsektor wie Banken und Versicherungen sowie Kohlenwasserstoff- und Versorgungsunternehmen. Besonders gefragt sind Netzwerkschutz wie Firewalls, Angriffserkennungssysteme (IDS/IPS), Antivirensoftware für Server und EDR-Technologien, Cloud Computing (AWS, Azure oder GCP) sowie Anwendungs- und Identitätsintegrationssoftware wie Okta oder BeyondTrust, da sie Unternehmen in Kolumbien in puncto Cybersicherheit deutlich verbessern können.
Welche Technologie- und Softwarelieferantenländer sind in Kolumbien bislang besonders vertreten?
Das Land, das Kolumbien hauptsächlich mit Technologie versorgt, sind die Vereinigten Staaten. Große Technologieunternehmen wie Google, Microsoft, Cisco und Fortinet sind im Land stark vertreten. Hinzu kommen spanische Unternehmen, die Support- und Beratungsdienste für digitale Infrastruktur und Cybersicherheit anbieten. Auf der anderen Seite stellen chinesische Unternehmen wie Huawei einen Großteil der Telekommunikationsinfrastruktur bereit.