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Lateinamerikas Fabriken sind nur teilweise digital

Die Region macht allmählich Fortschritte beim Thema Industrie 4.0. Inwieweit sind deutsche Firmen an diesem Prozess beteiligt?

Von Edwin Schuh | Mexiko-Stadt

Industrie 4.0 ist weltweit auf dem Vormarsch. Smarte Sensoren, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Big Data helfen, die Produktionsprozesse zu verbessern. Digitale Zwillinge von Maschinen, Produktionslinien oder ganzer Fabriken tragen dazu bei, die Ausfallzeiten von Maschinen zu minimieren, die Wartung zu optimieren und den Energieverbrauch zu senken.

Knapp ein Drittel der Unternehmen hat moderne Produktionsprozesse

Im Vergleich zu den führenden Industrieländern in Asien, Europa und Nordamerika zählt Lateinamerika zu den Nachzüglern bei der Einführung digitaler Produktionstechnologien. Dies zeigt der Industrial Development Report 2022 der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO). Auch wenn Länder wie Mexiko, Brasilien, Argentinien oder Chile über eine bedeutende industrielle Basis verfügen, so haben nur rund 30 Prozent der Unternehmen in der Region ihre Produktion automatisiert und digitalisiert, schätzt die UNIDO. Entsprechend produzieren 70 Prozent der Firmen weiterhin analog oder mit einfacher Mechanisierung. Es besteht also noch deutlicher Nachholbedarf - den deutsche Firmen helfen, zu verringern.

Deutscher Anbieter von Industriesensoren expandiert in Lateinamerika

Eines dieser Unternehmen ist die Firma Pepperl+Fuchs, ein Hersteller industrieller Sensoren für die Fabrik- und Prozessautomatisierung. Unter der Marke Sensorik 4.0 verkaufen die Mannheimer Sensoren, die Daten aus Maschinen und Anlagen nahtlos an verschiedenste Softwaresysteme in der Cloud übertragen.

"Lateinamerika ist beim Thema Industrie 4.0 schon ziemlich weit fortgeschritten und der Großteil unserer dort verkauften Sensoren verfügt über einen IO-Link - eine Schnittstelle, um die gewonnenen Daten an die Cloud zu senden", sagt René Morales, Geschäftsführer für Lateinamerika von Pepperl+Fuchs, im Interview mit GTAI. Neben der Automobilindustrie gehören der Logistikbereich, der Bergbau, die Nahrungsmittelindustrie und der Pharmasektor zu den Kunden des Unternehmens. "Etwa 42 Prozent unserer Verkäufe in Lateinamerika entfallen auf Brasilien, gefolgt von Mexiko mit 37 Prozent, Argentinien mit 11 Prozent und Kolumbien mit 4 Prozent. Die restlichen Länder des Kontinents kommen zusammen auf einen Anteil von 6 Prozent - wobei sich neben Chile auch Peru und Guatemala hervorheben", erklärt der Manager.

Mexiko ist in der Region Spitzenreiter bei Industrierobotern

Vernetzte Industrieroboter sind ein wichtiges Element von Industrie 4.0. Sie erleichtern die Arbeit in der Fabrik und minimieren Unfallrisiken. Nach Angaben des Internationalen Robotikverbandes IFR (International Federation of Robotics) waren Ende 2020 allerdings nur 2,2 Prozent des weltweiten Bestandes an Industrierobotern in Lateinamerika installiert.

Davon entfielen wiederum etwa zwei Drittel auf Mexiko, das im weltweiten Ranking der Länder mit den meisten Robotern sogar Platz neun belegt. Auch Brasilien und Argentinien verfügen über relevante Bestände an Industrierobotern. Allerdings besteht selbst beim regionalen Spitzenreiter Mexiko noch viel Luft nach oben: So sind laut dem IFR dort je 10.000 Angestellten in der Kfz-Industrie nur 377 Roboter installiert, während das Nachbarland USA auf 1.528 Roboter kommt.

Anzahl installierter Industrieroboter (Angaben jeweils zum Jahresende)

Land

2018

2019

2020

Lateinamerika* gesamt, darunter

49.893

56.209

60.358

  Mexiko

32.713

37.275

40.638

  Brasilien

14.179

15.303

16.117

  Argentinien

2.504

3.064

3.002

  Chile

211

250

262

  Kolumbien

196

220

235

  Peru

49

58

68

  Puerto Rico

16

16

20

  Venezuela

25

23

16

*) Südamerika plus Mexiko (Zentralamerika und die Karibik werden in der Statistik nicht getrennt ausgewiesen)Quelle: International Federation of Robotics IFR (World Robotics 2021 – Industrial Robots)

Bosch Rexroth bietet in Lateinamerika den kollaborativen Roboter (Cobot) APAS (Automatic Production Assistant) an, der in Fabriken eng mit Menschen zusammenarbeitet. In den kommenden Jahren wird das Unternehmen rund 215 Millionen US-Dollar (US$) in den Bau eines neuen Werks im mexikanischen Querétaro investieren. Rund 900 Mitarbeiter sollen dort künftig Ausrüstungen für die Automatisierung von Fabriken herstellen. "Bosch wird eines der ersten Unternehmen sein, das in Mexiko moderne Ausrüstungsgüter für die Industrie herstellt. Damit tragen wir zum Wandel in Richtung Industrie 4.0 bei", sagte René Schlegel, Geschäftsführer von Bosch México, bei der Ankündigung des Investitionsprojekts im September 2022.

Volkswagen investiert in die Digitalisierung seiner Werke in Nordamerika

Die zunehmende Bedeutung digitaler Technologien und intelligenter Roboter wird auch am Beispiel von Volkswagen deutlich: Der Automobilkonzern investiert zwischen 2021 und 2025 rund 1 Milliarde US$ in seine drei Werke in Nordamerika (Chattannooga/USA, Puebla/Mexiko und Silao/Mexiko). Damit sollen eine cloudbasierte Software, intelligente Roboter und künstliche Intelligenz in die Produktionsprozesse integriert werden. "Wir stoßen unsere digitale Transformation an, damit die Volkswagen-Werke in Nordamerika effizienter, nachhaltiger und besser verknüpft sind", so Johan de Nysschen, Chief Operating Officer (COO) in Nordamerika gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Forbes. Beispielsweise verwendet Volkswagen in seinem Werk in Puebla inzwischen Cobots zur Messung von Abständen bei der finalen Inspektion produzierter Fahrzeuge.

Ein anderes Bild zeichnet Andreas Voelker, Geschäftsführer von Thyssenkrupp Automation Engineering in Mexiko. Denn in der Praxis bestehe zumindest in der Automobilindustrie in Lateinamerika noch Nachholbedarf bei der Digitalisierung. "Seit gut vier Jahren entstehen kaum neue Kfz-Werke, stattdessen bauen die Automobilhersteller bestehende Produktionslinien um. Neue Möglichkeiten ergeben sich jedoch mittelfristig dank des Umstiegs der Hersteller auf Elektromobilität", erwartet Manager Voelker. Die Thyssenkrupp-Sparte bietet 4.0-Lösungen wie die intelligente Nutzung von Produktionsdaten, innovative Automatisierungsmöglichkeiten und digitale Zwillinge der realen Produktionsanlage an und liefert Turnkey-Projekte für die Montage von Antriebssträngen und Batterien.

"In Mexiko nutzen nur 11 Prozent der Unternehmen digitale Zwillinge"

Siemens engagiert sich in Lateinamerika auch in der Berufsbildung mit dem Schwerpunkt Industrie 4.0. In Kolumbien etwa hat das Unternehmen 2019 ein Abkommen mit dem Berufsbildungsdienst SENA geschlossen, in Mexiko betreibt Siemens gemeinsam mit dem Industrieverband CONCAMIN ein Informationszentrum. GTAI sprach mit Alejandro Preinfalk, Geschäftsführer von Siemens in Mexiko, Zentralamerika und der Karibik und gleichzeitig Senior Vice President für digitale Industrien.


Alejandro Preinfalk, SVP de Digital Industries - Siemens, S.A. de C.V. Alejandro Preinfalk, SVP de Digital Industries - Siemens, S.A. de C.V. | © MIGUEL ANGEL ALONSO; Siemens AG

Herr Preinfalk, wie weit ist Mexikos Industrie schon digitalisiert?

Die Einführung und Umsetzung des vierten industriellen Zeitalters erfolgte in einigen Sektoren wie etwa der Automobil- und Luftfahrtindustrie schneller als in anderen Bereichen. Die genannten Industrien haben sehr früh erkannt, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit etwa durch eine Verkürzung der Markteinführungszeit ihrer Produkte erheblich steigern können.

Heute nutzen in Mexiko nur 11 Prozent der Unternehmen digitale Zwillinge. Dieser Prozentsatz soll in den nächsten drei Jahren auf 34 Prozent steigen - was zwar ermutigend ist, aber nicht ausreicht. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) herrscht häufig nach wie vor die Überzeugung, dass die Einführung neuer Technologien kostspielig und kaum finanzierbar sei.


Worin besteht die Zusammenarbeit zwischen Siemens und dem mexikanischen Industrieverband CONCAMIN?

Siemens leitet bei CONCAMIN die Arbeitsgruppe Comisión México 4.0. Wir befassen uns dort mit Themen wie duale Ausbildung, Nachhaltigkeit und Normung, Industrie 4.0 und ihre Anwendungen, KMU 4.0, Transformation und digitale Reife. Um KMUs bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen und die Digitalisierung der mittelständischen Industrie des Landes voranzutreiben, haben wir im Juni 2022 das Informationszentrum CONCAMIN ins Leben gerufen. Dort bieten wir unter anderem Schulungen und Zertifizierungen in unserer Software-Plattform Mendix und anderen Siemens-Tools an.

Dieser Beitrag gehört zu:

Branchenguide 2023 - Lateinamerika und Karibik - Neue Geschäftschancen nutzen!


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