Mehr zu:
MarokkoKfz-Teile, Zulieferindustrie / Lieferketten, Beschaffung
Wirtschaftsumfeld
Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?
Special | Marokko | Lieferketten
Die Coronakrise war mehr als ein Boxenstopp für die marokkanische Automobilindustrie. Die Unternehmen vor Ort erhoffen sich neue und mehr internationale Aufträge.
24.03.2021
Von Michael Sauermost | Casablanca
Der von Marokko verfolgte Plan, das Land zu einem bedeutenden Automobilproduzenten zu machen, ist weitgehend aufgegangen. Im Zuge der Industriestrategie "Plan d´Accélération Industrielle du Maroc 2014-2020" siedelten sich unter anderem Renault sowie die PSA Gruppe im Königreich an. Im Windschatten von Renault, Dacia, Peugeot und Citroën haben sich nach und nach auch zahlreiche Komponenten- und Teilehersteller vor Ort etabliert. Der Umsatz der marokkanischen Autobranche erhöhte sich seit 2009 innerhalb von zehn Jahren von 1,2 Milliarden US-Dollar (US$) auf über 7 Milliarden US$ im Jahr 2019.
In Folge der Investitionen der Renault- und PSA-Gruppen ist die Branche insgesamt auf ein international tragfähiges Niveau gebracht worden. Dabei sind es längst nicht mehr die Kostenvorteile, die das Königreich als Produktions- und Beschaffungsstandort attraktiv machen. "Marokko ist nicht mehr das Billiglohnland", betonen Branchenunternehmen. Das Land hat sich international einen Namen gemacht und zunehmend steht die Qualität im Vordergrund.
Als Drehscheibe zwischen Europa und Afrika ist das Land für Handelsströme in beide Richtungen prädestiniert. Durch die bestehenden und entstehenden Freihandelsabkommen mit der EU und in Richtung Süden ergeben sich wirtschaftliche Potenziale, die auch die Kfz-Teileindustrie nutzen möchte.
Die Teile- und Komponentenhersteller kamen zwar zunächst als Zulieferer für die vor Ort aktiven Automobilbauer ins Land, die in erster Linie für den Export fertigen. Allerdings sorgt nicht zuletzt die Coronakrise und die daraus resultierende Neugestaltung der Lieferketten für ein Umdenken. Dabei könnte sich Marokko als Standort in Zukunft nicht nur gegen asiatische sondern auch gegebenenfalls europäische Standorte durchsetzen.
Im Rahmen des "Plan de Relance Industriel 2021-23" der Regierung, der auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Marokkos abzielt, spielt auch der Automobilsektor eine große Rolle. Marokkanische Eigenfertigung soll gezielt gefördert werden. In der Kfz-Industrie soll der Anteil der lokalen Wertschöpfung von 60 auf 80 Prozent gesteigert werden.
Die Unternehmen entscheiden sich für den Standort Marokko, weil die Infrastruktur überzeugt. Die Hafenstadt Tanger ist nicht nur geographisch gut gelegen, sondern bietet auch gut funktionierende Freihandelszonen in denen produziert werden kann. Die "Zones d´Accélération Industrielles" bieten Anreize für Exportunternehmen, aber auch für Firmen die den lokalen Markt im Blick haben. Verschiedene Kfz-Firmen sind in der Tanger Automotive City angesiedelt. Aber auch die anderen Kfz-Standorte in Kenitra sowie Casablanca locken Investoren an.
Für verschiedene deutsche Kfz-Teilehersteller ist Marokko ein gutes Pflaster. Leoni, Kromberg & Schubert oder Prettl sind beispielsweise an unterschiedlichen Standorten aktiv. Trotz Corona siedeln sich auch aktuell Firmen vor Ort an. Die japanische Unternehmensgruppe Sumitomo und der Hersteller von Kabelbäumen Yazaki haben sich Anfang 2021 zu Investitionen von etwas mehr als 100 Millionen US$ in vier neue Fabriken vor Ort entschieden. Dabei könnte es sich Pressemeldungen zufolge um die Verlagerung von Produktionsstätten aus einigen osteuropäischen Ländern handeln.
Ein richtungsweisendes Projekt steht 150 Kilometer südlich von Casablanca an. Dort soll das erste Automobil-Testzentrum Afrikas entstehen. Das Vorhaben wird von der französischen Gruppe UTAC, welche die Einhaltung von Normen durch Fahrzeuge überprüft, und dem deutschen Unternehmen FEV durchgeführt. Das Testzentrum kann sowohl für die Entwicklung von neuen Fahrzeugen genutzt werden als auch für die Anpassung von Fahrzeugen an regionale Begebenheiten.
Als Kritikpunkt galt bisweilen, dass die angesiedelte Exportindustrie bislang kaum untereinander verflochten ist - dass somit wichtige Zulieferbranchen fehlen. Dies trifft für den Automobilsektor jedoch immer weniger zu. Auch das Argument, dass es auf Grund der starken Importkonkurrenz zu einer Bremse in Sachen Industrieansiedelung kommt, ist durch die während der Coronakrise entstandenen Lieferkettenproblematik hinfällig.
Verkabelungssysteme waren ein erster wichtiger Baustein der marokkanischen Automobilindustrie. Die Grundlage dafür wurde bereits im Jahr 2014 geschaffen. Knapp 40.000 Arbeitsplätze schafften die führenden Automobilzulieferer des Landes. Mittlerweile hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Die Produktpalette wurde im Laufe der Zeit erweitert. Von Reifen über Alarmsysteme, Karosserien, Tachometern, Verbrennungspumpen, Dichtungen, Rückspiegel, Batterien oder Autositzen. Allerdings sei bei vielen Firmen der Übergang von der Auftragsfertigung für die lokalen Exportunternehmen bis zum Marketing für neue, internationale Kunden noch nicht vollzogen, ist von Branchenunternehmen zu hören.
In der marokkanischen Ausfuhrstatistik für Kfz-Teile spielen Lieferungen nach Deutschland bisher keine wesentliche Rolle. Insgesamt exportiert das Königreich laut UN Comtrade beispielsweise Zündkabelsätze im Wert von 2,16 Milliarden US-Dollar (US$). Davon wurde lediglich ein Anteil von rund 2 Prozent in Richtung Deutschland verschifft. Etwa die Hälfte der Ausfuhren gingen nach Spanien und etwas mehr als 35 Prozent nach Frankreich.
Bei der Warengruppe Fahrgestelle, Karosserien und zugehörige Teile ( Standard International Trade Classification 784) mit einem Exportvolumen von 340,45 Millionen US$ sieht es ähnlich aus. Auch dabei war Deutschland mit einem Anteil von 0,6 Prozent ein sehr kleiner Abnehmer. Spanien (40 Prozent), Portugal (15 Prozent), Frankreich (14 Prozent) sowie die USA (10 Prozent) sind bedeutender. Allgemein bleibt bei den Außenhandelsstatistiken jedoch verborgen, inwieweit beispielsweise nicht doch deutsche Unternehmen mit Sitz in Frankreich oder Spanien auf Beschaffungen in Marokko zurückgreifen.
2010 | 2019 | Veränderung 2019/2010 | |
---|---|---|---|
SITC 778.3 Kfz-Elektrik | 0,001 | 0,185 | 18.867,7 |
SITC 784 Fahrgestelle, Karosserien, Stoßstangen etc. | 0,172 | 3,96 | 2.197,6 |
SITC 773.13 Zündkabelsätze | 17,58 | 114,80 | 552,94 |
SITC 713.2 Verbrennungsmotoren | - | - | - |
Summe | 17,75 | 118,95 | 570,14 |