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Rechtsbericht Niederlande Coronavirus
Durch die COVID-19 Krise werden auch niederländische Unternehmen in Schieflage geraten. Was kann dies für Geschäftspartner bedeuten, und welche Sonderregelungen gibt es derzeit?
07.12.2020
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Das niederländische Insolvenzrecht ist im Wesentlichen im Faillissementswet (im Folgenden: Insolvenzgesetz) geregelt.
Das Insolvenzgesetz sieht in den Artikeln 214 ff ein Verfahren vor, das Schuldnern helfen soll, eine temporäre Krise zu überwinden: die „surseance van betaling“, also ein Moratorium. Voraussetzung ist ein Antrag beim zuständigen Gericht. Der Antrag muss von einer Aufstellung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der Schuldnerin begleitet sein. Er ist kostenlos einsehbar. Wenn dem Antrag vorläufig stattgegeben wird, bestellt das Gericht einen Verwalter, der die Führung des Unternehmens beaufsichtigt und wichtige Entscheidungskompetenzen hat. Die endgültige Gewährung des Moratoriums setzt voraus, dass ein bestimmtes Quorum der Gläubiger nicht widerspricht, dass keine Gläubigerbenachteiligung zu befürchten ist und dass hinreichende Erfolgsaussichten bestehen. Wird ein Moratorium gewährt, gilt es für maximal 18 Monate, allerdings kann eine Verlängerung beantragt werden. Trotz des Moratoriums möglich bleiben Gerichtsverfahren gegen die Schuldnerin sowie Vollstreckungshandlungen durch bevorrechtigte Gläubiger.
Ein Insolvenzverfahren kann von Gläubiger oder Schuldnerseite beantragt werden. Es setzt lediglich voraus, dass die Schuldnerin aufgehört hat, zu bezahlen, der Grund dafür spielt keine Rolle. Wenn das Verfahren eröffnet wird, ernennt das Gericht einen Insolvenzverwalter (curator), der die Verfügung über die Masse von der Schuldnerin übernimmt. Auf die Vertragserfüllung hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens direkt keinen Einfluss. Wenn die Schuldnerin einen Vertrag nicht erfüllt hat, kann die andere Partei den Insolvenzverwalter unter Fristsetzung auffordern zu erklären, ob er erfüllen will. Bejahendenfalls muss er eine Sicherheit geben, lehnt er hingegen ab, kann die andere Partei zurücktreten oder Schadensersatz verlangen, allerdings nur auf dem Wege der Anmeldung der Forderung.
Der Insolvenzverwalter kontaktiert die ihm bekannten Gläubiger und fordert sie zur Bekanntgabe ihrer Forderungen innerhalb einer bestimmen Frist. Andere Informationsquellen sind die Veröffentlichung im Staatscourant sowie im Insolvenzregister. Auch im Handelsregister wird die Insolvenz einer dort registrierten Gesellschaft vermerkt.
Das Tijdelijke Betalingsuitstelwet 2020 sowie die geplante Nachfolgeregelung, das Tijdelijke Voorziening Betalingsuitstel Covid-19, gewährt Schuldnern einen vorübergehenden Zahlungsaufschub und Schutz bei Insolvenzanträgen und bestimmten Vollstreckungen, wenn sie nachweisen können, dass die Zahlungsschwierigkeiten mit der Coronakrise zusammenhängen. Konkret müssen die betroffenen Unternehmen nachweisen, dass sie vor dem 16. März keine finanzielle Schieflage hatten, dass sie durch die Schutzmaßnahmen der Regierung an der Ausübung ihres normalen Geschäfts gehindert waren, und dass sie infolgedessen mindestens 20 Prozent weniger Einnahmen hatten. Außerdem muss die realistische Aussicht bestehen, dass das Unternehmen nach der Krise wieder zu alter Solvenz zurückfindet und die Gläubigerinteressen nicht unangemessen beeinträchtigt werden.
Wenn die Voraussetzungen vorliegen, gilt ein zunächst zweimonatiges Moratorium, während dessen der Insolvenzantrag beziehungsweise die Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt werden. Liegen die Gründe nach zwei Monaten noch vor, kann eine Verlängerung um weitere zwei Monate beantragt werden, insgesamt kann das Moratorium aber nicht länger als sechs Monate andauern.
Beide Gesetze sind als vorübergehende Regelungen konzipiert. Das Tijdelijke Voorziening Betalingsuitstel Covid-19 ist derzeit bis 1. Februar 2021 befristet, kann aber um zwei Monate verlängert werden.
Das Wet homologatie onderhands akkoord (abgekürzt: WHOA) war schon vor der Coronakrise geplant, hat aber nun neue Aktualität und Dringlichkeit gewonnen. Ziel des Gesetzes ist es, Restrukturierungspläne zur Abwendung einer Insolvenz zu ermöglichen, selbst wenn nicht alle Gläubiger zugestimmt haben. Hierzu kann die Schuldnerin einen Plan vorschlagen, alternativ können Gläubiger, Anteilseigner oder sogar der Betriebsrat die Initiative ergreifen, indem sie das zuständige Gericht bitten, einen Restrukturierungsexperten zu ernennen. Wenn ein Sanierungsplan entworfen ist, muss er in einer Abstimmung bestätigt oder verworfen werden. Für diese Abstimmung werden Gruppen von Gläubigern gebildet. Zum Beispiel gibt es gesonderte Gruppen für gesicherte und ungesicherte Gläubiger, weitere Gruppen sind möglich. Eine Gruppe stimmt für den Plan, wenn mehr als 2/3 des Kapitals zustimmt. Unter bestimmten Umständen kann es sogar genügen, den Plan für alle Gläubiger verbindlich zu machen, wenn nur eine Klasse zustimmt. Allerdings muss das Gericht den Plan bestätigen. Ist dies erfolgt, wird der Plan bindend für alle Gläubiger, die berechtigt waren, an der Abstimmung teilzunehmen.
Als Teil des Planes kann zum Beispiel die Möglichkeit vorgesehen sein, bestimmte Verträge zu ändern oder, falls die andere Seite nicht zustimmt, zu beenden. Die Schuldnerin kann außerdem das Gericht anrufen und beantragen, eine Stillhalteperiode von bis zu acht Monaten zu beantragen, während der die Schuldnerin beispielsweise berechtigt ist, Sachen oder Rechte der Gläubiger weiter zu benutzen, während Gläubiger keine Sicherungsrechte geltend machen können. Dies setzt allerdings voraus, dass die Rechte der Gläubiger angemessen geschützt werden.
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