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Special | Norwegen | Klimawandel lokal

Offshore-Revolution in Norwegen

Auf dem Weg zur Klimaneutralität setzt Norwegen auf breit angelegte Elektrifizierung. Die Suche nach Stromquellen führt ins Meer. Aus zwei Offshore-Windkrafträdern sollen 1.500 werden.

Von Michał Woźniak | Stockholm

Dürreperioden nehmen der Hauptstromquelle Wasser die Kraft. Starkregen unterspülen Häuser und Infrastruktur. Wie geht es weiter mit den Haupteinnahmequellen Öl und Gas? Die Klimadebatte hat in Norwegen viele Facetten und bewegte die Politik längst, ambitionierte Ziele aufzustellen: Bis 2030 will das Land CO2-neutral sein. Allerdings sollen bei der Berechnung auch im Ausland angestoßene Projekte berücksichtigt werden. Im Land selbst soll es angelehnt an die Ziele der Europäischen Union (EU) 20 Jahre später so weit sein. Allerdings ist der Weg noch lang. Laut Eurostat emittierte das Land 2020 zwar etwa so viel Methan und Lachgas je Einwohner wie im EU-Durchschnitt. Wegen der Öl- und Gasindustrie lag der CO2-Ausstoß mit 10,3 Tonnen pro Kopf aber über dem doppelten Wert.

Eine über alle Lebensbereiche breit angelegte Elektrifizierung soll das Problem lösen. Weil das Ausbaupotenzial der Wasserkraft weitgehend erschöpft ist, muss der notwendige Strom aus Wind gewonnen werden. Die noch vor drei Jahren bevorzugte landbasierte Lösung legten Bürgerproteste lahm. Das Direktorat für Wasserressourcen und Energie (NVE) darf neuerdings zwar wieder neue Lizenzen vergeben. Angesichts strikterer Vorgaben und mehr Mitbestimmungsrechte der Kommunen dürften aber die für den Jahreswechsel 2022/2023 erwarteten ersten Verfahren die vormals angepeilte Vervielfachung der derzeit knapp 5 Gigawatt (GW) installierten Leistung verfehlen.

Entwicklung der Stromproduktion in Norwegen (in Terawattstunden)

2020

2030*)

2040*)

2050*)

Insgesamt

152

176

193

206

  Wasser

139

148

150

152

  Wind

11

25

38

44

  Solar

0

3

5

10

  Sonstige

1

1

1

1

*) PrognoseQuelle: Stattnett 2020

Fläche für 30 Gigawatt Offshore-Windkapazität

Die auch in Norwegen stark steigenden Energiepreise bewegten die Regierung zum Umdenken. "Unser Ziel ist es, bis 2040 Flächen für 30 Gigawatt Offshore-Windkapazitäten in Norwegen auszuweisen. Diese Summe entspricht fast der Energiemenge, die wir heute produzieren", verkündete Premierminister Jonas Gahr Støre am 11. Mai 2022.

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Um genug Fläche anbieten zu können, sollen mindestens 15.500 Quadratkilometer (qkm) des norwegischen Seegebietes für Offshore-Anlagen ausgewiesen werden. Momentan ist ein Fünftel davon freigegeben: Das zwischen Norwegen und Dänemark liegende Gebiet Sørlige Nordsjø II mit 2.500 qkm und das 1.000 qkm große Utsira Nord zwischen Stavanger und Bergen. Die Langzeitperspektive schafft dennoch etwas mehr Planungssicherheit: "Wir erhalten die Vorhersehbarkeit, die die Branche braucht, um zu beginnen und Investitionen zu tätigen", freut sich Arvid Nesse, CEO des Clusters Norwegian Offshore Wind.

Auktionen beginnen im Herbst 2022

Parallel zur Öl- und Gasförderung werden die Meeresgebiete für Windkraft in Auktionen vergeben. Den Anfang macht die erste Phase von Sørlige Nordsjø II. In der 2. Jahreshälfte 2022 sollen Investoren für die Hälfte der angepeilten installierten Leistung von 3 Gigawatt für das gesamte Gebiet gefunden werden. Planungen sehen vor, auf dem Gebiet mit einer durchschnittlichen Wassertiefe von 60 Metern Windräder fest im Meeresgrund zu verankern. Ausschlaggebend für die Vergabe wird der Preis sein. Eine staatliche Förderung ist nicht vorgesehen.

Welche Hürden stehen vor der norwegischen Offshore-Windenergie?

Michael Kern, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Norwegischen Handelskammer:


"Offshore-Wind wird zu einem immer wichtigeren Eckpfeiler der zukünftigen Energieversorgung Europas. Entsprechend sind die norwegischen Ausbaupläne zu begrüßen.


Wie nicht zuletzt die Ergebnisse unser diesjährigen Konjunkturumfrage zeigen, müssen allerdings erst die regulatorischen Rahmenbedingungen und ein Zeitplan verlässlich gegeben sein, damit die Ankündigung von Investoren auch realisiert werden kann. Ferner dürften die breit angelegten Offshore-Pläne weltweit für Engpässe in den Zulieferketten sorgen: In kurzer Zeit wird eine hohe Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen für die Offshore-Windenergie entstehen, für die es teilweise noch kein oder nur ein geringes Angebot gibt. Im Falle Norwegens könnte zusätzlich die Komplexität der noch nicht breit erprobten schwimmenden Anlagen für Verzögerungen sorgen.


Deswegen ist eine länderübergreifende Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg. Zumindest im deutsch-norwegischen Kontext wollen wir diese begünstigen und haben gemeinsam mit Norwep eine bilaterale Arbeitsgruppe für Offshore-Wind etabliert."

Angeschlossen werden die ersten Windparks über ein Unterseekabel ausschließlich ans norwegische Festland. Für weitere Vorhaben soll NVE die Anschlussmöglichkeiten untersuchen. "Für jede Ausschreibung werden Kabel mit bidirektionalem Stromfluss, Radialleitungen nach Europa und Radialleitungen nach Norwegen in Betracht gezogen", heißt es von offizieller Seite. Wegen begrenzter Kapazitäten des Inlandsnetzes soll langfristig ein signifikanter Anteil des Offshore-Stroms in andere Länder fließen. Daneben soll auch die Öl- und Gasindustrie zum direkten Abnehmer werden.

Erfahrung auf dem Meer

Die Branche dürfte auch ein potenzieller Kunde für die geplanten Windräder auf dem Gebiet Utsira Nord sein. Auf dem durchschnittlich knapp 270 Meter tiefen Seegebiet sollen schwimmende Anlagen mit insgesamt 1,5 Gigawatt Leistung entstehen. Hier werden bei der Lizenzvergabe qualitative Kriterien überwiegen. "Wir wollen Innovationen und technologische Entwicklungen fördern, die zu Kostensenkungen bei der schwimmenden Technologie beitragen", begründet der Minister für Erdöl und Energie Terje Aasland.

"Norwegen hat aufgrund der Meeresausdehnung und der geografischen Gegebenheiten ein enormes Potenzial, aber für uns geht es vor allem um schwimmende Offshore-Windkraftanlagen [...]. Das liegt an der Tiefe des Meeres und an der Erfahrung, die wir seit 50 Jahren in der Öl- und Gasindustrie gesammelt haben"

Ministerpräsident Jonas Gahr Støre

Die schwimmenden Anlagen dürfen auf Förderung hoffen. Noch steht aber nicht fest, ob diese im Rahmen einnahmestabilisierender Differenzkontrakte (Contract for Difference; CfD) aufgelegt oder als Zuschuss der Wirtschaftsförderungsagentur Enova gewährt wird. Per Zuschuss wird bereits das 95 Megawatt starke schwimmende Hywind-Projekt von Equinor unterstützt.

Wann geht es weiter?

Weder für Utsira Nord noch für die zweite Phase von Sørlige Nordsjø II steht ein genauer Tenderfahrplan. Noch länger dürfte die Freigabe weiterer Gebiete dauern. Hierfür soll ein interner Ausschuss bei NVE Vorschläge ausarbeiten. Vor den Ausschreibungen müssen aber die Folgen entsprechender Investitionen unter anderem auf Umwelt, Bevölkerung und das Stromnetz untersucht werden. Bis Frühjahr 2023 soll NVE dazu einen entsprechenden Prozess entwickeln. Erst Ende April 2022 wurde auch der staatliche Netzbetreiber Stattnett mit der Planung des zum Anschluss notwendigen Offshore-Stromnetzes beauftragt. Immerhin soll eine Konsolidierung der Beurteilungen von Lizenzen und Detailplänen den Investitionsprozess beschleunigen.

Weniger erfreulich für potenzielle Investoren, zu denen laut Medienberichten RWE, NTE, Vattenfall und Havfram gehören, dürfte hingegen sein, dass auch eine neue Grundsteuer für Offshore-Windparks im Gespräch ist. Laut Finanzminister Trygve Slagsvold Vedum soll sie dafür sorgen, "dass ein größerer Teil der Branchenprofite in die Gemeinschaft fließt".

Weitere Informationen:
  • Norwegens geplanter Beitrag zum Pariser Abkommen ist der Regierungsstrategie zu entnehmen.
  • Die norwegische Industrie einigte sich im Rahmen ihres Verbandes auf Roadmaps zur Nachhaltigkeit.
  • So will der staatliche Betreiber Stattnett das Stromnetz für das Elektrifizierungsalter fit machen.
  • Die in Norwegen tätigen Unternehmen der Windkraftbranche organisieren sich im Verband Norwea.

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