Rechtsbericht | Peru | Verfassungsrecht
Präsidentenwechsel in Peru
Die Amtsenthebung des Präsidenten in Peru durch die Legislative hat eine verfassungsrechtliche Grundlage.
09.12.2022
Von Dr. Julio Pereira | Bonn
- Zielsetzung dieses Berichts
- Welches Rechtsinstrument wurde zur Amtsenthebung des Präsidenten eingesetzt?
- Ist die Resolution verfassungsmäßig begründet?
- Worum handelt es sich aus rechtlicher Sicht bei der Erklärung der Vakanz?
- Aus welchem rechtlichen Grund wurde die Präsidentschaft für vakant erklärt?
- Ist der Präsident der Republik befugt, den peruanischen Kongress aufzulösen?
- Kann der peruanische Kongress die Anordnung eines amtierenden Präsidenten ignorieren?
- Ist die präsidiale Amtsnachfolge in Peru verfassungsmäßig geregelt?
- Ist das Amtsenthebungsverfahren in Peru vergleichbar mit den in anderen lateinamerikanischen Rechtssystemen vorgesehenen Verfahren?
Zielsetzung dieses Berichts
Am 7. Dezember 2022 erklärte das Plenum des Nationalkongresses der Republik Peru das Präsidentenamt für vakant. Wenige Stunden später war der Präsidentschaftswechsel abgeschlossen. Eine Abfolge von Rechtsakten beendete die Amtszeit des nun ehemaligen Präsidenten Pedro Castillo Terrones. Mit dem Aufstieg der ersten Frau ins Präsidentenamt, Dina Boluarte Zegarra, beginnt eine neue Phase in der Geschichte der peruanischen Republik.
Ziel dieses Berichts ist es, die normativen Grundlagen zu erläutern, die es der Legislative Perus erlauben, den Präsidenten der Republik seines Amtes zu entheben.
Welches Rechtsinstrument wurde zur Amtsenthebung des Präsidenten eingesetzt?
Eine vom Nationalkongress (Congreso de la República) erlassene Resolution (Resolución 001-2022-2023-CR). Mit dieser Resolution, die nur zwei Artikel enthält, gab der Kongress zwei entscheidende Erklärungen ab:
1. die Erklärung der "dauerhaften moralischen Unfähigkeit" (permanente incapacidad moral) des nunmehr ehemaligen Präsidenten zur Ausübung des höchsten Amtes der Exekutive (Art. 1 RES); und 2. die Erklärung der "Vakanz" (Moción de vacancia) des Präsidentenamtes.
Es gab 101 Stimmen für die Resolution, 6 Gegenstimmen und 10 Enthaltungen. Damit wurde die Anwendung der Nachfolgeregelung für den Präsidenten beschlossen.
Ist die Resolution verfassungsmäßig begründet?
Artikel 113 der politischen Verfassung Perus (Constitución Política del Perú, CP/93) sieht ausdrücklich vor, dass das Präsidentenamt in verschiedenen Situationen für vakant erklärt wird - unter anderem bei Tod oder Rücktritt des Präsidenten. Daneben legt die peruanische Verfassung ausdrücklich fest, dass das Amt im Falle der "(vorübergehenden oder dauerhaften) moralischen oder physischen Unfähigkeit des Präsidenten" vom Kongress für vakant erklärt werden kann (Art. 113 Abs. 2 CP/93). Dies ist die Verfassungsbestimmung, auf die sich die Resolution zur Amtsenthebung des ehemaligen Präsidenten Castillo im Wesentlichen stützte.
Außerdem fand die in Art. 117 CP/93 vorgesehene Regel Anwendung, wonach der Präsident seine Rechtsimmunität verliert.
Worum handelt es sich aus rechtlicher Sicht bei der Erklärung der Vakanz?
In diesem speziellen Fall handelt es sich um eine Art politisches Schnellverfahren (juicio politico). Es handelt sich um ein Verfahren, mit dem der Staatschef, seine Minister und generell jeder hohe Beamte der öffentlichen Verwaltung seines Amtes enthoben werden kann. Ziel der Erklärung der Vakanz ist es, das Verfahren zur Neubesetzung des Amtes zu formalisieren und somit die volle Funktionsfähigkeit der Institutionen des peruanischen Staates zu gewährleisten.
Aus welchem rechtlichen Grund wurde die Präsidentschaft für vakant erklärt?
Der Grund dafür ist in der Resolution zu finden. Das Plenum des Nationalkongresses bezeichnet die vom ehemaligen Präsidenten der Republik verursachte Situation darin als "gravierend". Wenige Stunden zuvor hatte der ehemalige Präsident in einer Rede an die Nation versucht, den Kongress aufzulösen. Außerdem wollte er eine "Ausnahmeregierung" (gobierno de excepción) schaffen. Nach Ansicht des peruanischen Kongresses zielte dieser Versuch darauf ab, "öffentliche Funktionen zu usurpieren", das "Funktionieren der Staatsgewalt" zu verhindern und "die in der Verfassung festgelegte Ordnung zu verletzen". Aus diesen Gründen erklärte der Kongress den ehemaligen Präsidenten für dauerhaft moralisch unfähig, sein Amt auszuüben.
Ist der Präsident der Republik befugt, den peruanischen Kongress aufzulösen?
Artikel 134 der Verfassung sieht diese Möglichkeit vor. Es gibt jedoch formale und materielle Anforderungen, die erfüllt werden müssen. Die Verfassung verlangt unter anderem, dass das Auflösungsdekret Neuwahlen für einen neuen Kongress innerhalb von vier Monaten vorsehen muss (was nicht geschehen ist).
Kann der peruanische Kongress die Anordnung eines amtierenden Präsidenten ignorieren?
Ja. Peru ist eine demokratische Republik (Art. 43 CP/93). Darüber hinaus legt Art. 46 CP/93 ausdrücklich fest, dass niemand einer "usurpierenden Regierung" (gobierno usurpador) Gehorsam schuldet, auch nicht denjenigen, die ein Amt im Widerspruch zur Verfassung und zu den Gesetzen übernehmen. Schließlich bestimmt die Verfassungsnorm, dass solche Handlungen "null und nichtig" sind. In diesem Sinne handelte das Plenum des peruanischen Nationalkongresses mit der Verabschiedung der Resolution zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung und der Rechtsstaatlichkeit.
Ist die präsidiale Amtsnachfolge in Peru verfassungsmäßig geregelt?
Die peruanische Verfassung sieht zwei Vizepräsidenten vor. Im Falle einer Vakanz übernimmt der erste Vizepräsident die Aufgaben des Präsidenten (Art. 115 CP/93). So hat die ehemalige erste Vizepräsidentin ihr Amt bereits angetreten: Sie wurde im Nationalkongress vereidigt und ist nun offiziell die neue Präsidentin der Republik Peru. Derzeit gibt es keinen zweiten Vizepräsidenten. Sollte also die aktuelle Präsidentin aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sein, die Amtszeit zu vollenden, übernimmt der Präsident des Kongresses die Regierung des Landes. Er wäre in dem Fall verpflichtet, unverzüglich allgemeine Wahlen einzuberufen.
Ist das Amtsenthebungsverfahren in Peru vergleichbar mit den in anderen lateinamerikanischen Rechtssystemen vorgesehenen Verfahren?
"Dauerhafte moralische Unfähigkeit" als Grund für den Verlust des Präsidentenamtes ist in den Verfassungen der anderen Länder Lateinamerikas nicht vorgesehen. Nur vier lateinamerikanische Länder haben vergleichbare, aber nicht identische Normen in ihren Verfassungen, nämlich: Argentinien, Kolumbien, Paraguay und Honduras. Es handelt sich also um einen verfassungsrechtlichen Mechanismus, der dem peruanischen Recht eigen ist. Auch dieser Mechanismus ist nicht neu, da er seit 1839 in praktisch allen peruanischen Verfassungen ausdrücklich vorgesehen ist.
- Nationalkongress (Congreso de la República)
- Präsidentschaft (Presidencia de la República del Perú)