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Special | Russland | Klimaschutz im Dialog

"Selbst jetzt müssen Russlands Firmen auf Klimapolitik schauen"

Der Politikwissenschaftler Thane Gustafson spricht im Interview über die Zukunft von Russlands Wirtschaft im Zeitalter des Klimawandels.

Von Lukas Latz | Berlin

Thane Gustafson, Professor für Politikwissenschaft an der Georgetown University Thane Gustafson, Professor für Politikwissenschaft an der Georgetown University | © Harvard University Press

Vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stand das Land vor der Aufgabe, die Wirtschaft zu diversifizieren. Zu stark hängt das Land von Öl-, Gas- und Kohleexporten ab. Was passiert mit diesem CO2-intensiven Wirtschaftsmodell, während die Industriestaaten klimaneutral werden? Welche Perspektiven hat Russland in einer klimaneutralen Weltwirtschaft? In dem Buch Klimat: Russia in the Age of Climate Change (2021) versucht Thane Gustafson, emeritierter Politikwissenschaftler an der US-amerikanischen Georgetown University, diese Frage zu beantworten. Gustafson ist Experte für russische und sowjetische Industriepolitik. Hoch aktuell ist auch sein Buch The Bridge: Natural Gas in a Redivided Europe (2020). Es rekonstruiert die Entstehung des Gashandels zwischen der Sowjetunion und Westeuropa in den 1960er Jahren; weiter beschreibt es die Entwicklung des Ost-West-Gashandels bis in die heutige Zeit, in der der Handel erneut unter dem Zeichen geopolitischer Konflikte stattfindet.

Herr Gustafson, viele Entwicklungen in Russlands Wirtschaft, die Sie für Ende der 2020er Jahre oder die 2030er Jahre prognostizieren, zeichnen sich schon jetzt im Jahre 2022 ab. Russlands Staatshaushalt nimmt schon seit April viel mehr Geld durch Gas als durch Öl ein. Würden Sie sagen, dass der Krieg in der Ukraine den Anpassungsdruck der russischen Wirtschaft nochmal erhöht hat?

Es gibt einen Langzeittrend. Er besteht darin, dass sich der Druck auf Russlands Kohlenstoff-basiertes Wirtschaftsmodel erhöht. Das betrifft sowohl Öl als auch Gas. Und ich bin einverstanden, dass dieser Druck sich durch die Invasion beschleunigt. In dem Buch unterscheide ich zwischen zwei Perioden: den 2020er und den 2030er Jahren. Ich habe antizipiert, dass die Öl- und Gasexporte Russlands in den 2020er Jahren noch eine Gnadenfrist erfahren. Ein direkter Effekt durch die Invasion wird wohl sein, dass sich diese Gnadenfrist deutlich verkürzt. Das passiert gerade ganz klar mit Gas. Es wird vielleicht noch fünf Jahre dauern, bis Deutschland oder Italien ihre Gasimporte aus Russland komplett stoppen können. In Südosteuropa dauert es vielleicht noch ein wenig länger. Aber das Geschäft von Gazprom in Europa ist dem Untergang geweiht. Mit Öl ist es komplizierter.

In Ihrem Buch beschreiben Sie sehr ausführlich Russlands politische Landschaft und die russischen Akteure, die ein Interesse an Klimaschutz haben. Durch die Invasion in der Ukraine scheint sich auch die politische Landschaft zu ändern. Anatolij Tschubais etwa, der in verschiedenen Positionen ein wichtiger Förderer erneuerbarer Energien war, hat das Land verlassen. Was bedeutet das für die Klimapolitik?

Aktuell gerät die Klimapolitik in den Hintergrund. Russland ist im Krisenmodus. Es werden überall Notmaßnahmen unternommen, um die Wirtschaft zu schützen. Das steht ganz im Gegensatz zur Situation vor dem Krieg, als die wirtschaftliche Elite deutlich mehr Notiz von der Klimafrage nahm. Dieses Bewusstsein wurde hauptsächlich von äußeren Anreizen getrieben: der Aussicht auf Handelsbeschränkungen, falls man keine Klimaneutralität in der Produktion anstrebt.

Denken Sie, Russlands Wirtschaft wird irgendwann wieder einen Anreiz haben, Emissionen zu senken? Gerade sieht es so, als würde der Handel mit Europa auf absehbare Zeit nicht mehr stattfinden. Unabhängig davon, ob man Emissionen reduziert oder nicht.

Ich denke, das hängt davon ab, wie die Ereignisse in der Ukraine weitergehen. Aber jedenfalls ist die Klimapolitik nicht einfach weg. Die Klimaschutzagenda der EU geht voran. Wie Sie wissen, enthält diese Agenda auch den sogenannten Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), eine Grenzabgabe für CO2-intensive Importe. Russland wäre dabei in direkter Schusslinie mit Gütern wie Aluminium oder Ammoniak. Und irgendwann müssen Russlands Handelspolitiker zu diesen Fragen zurückkehren. Sie müssen Russlands Exporte in der Welthandelsorganisation oder in Verhandlungen mit der EU verteidigen.

Russland kann also nicht einfach sagen: Wir kümmern uns um all das jetzt nicht mehr?

Eine ganze Reihe russischer Unternehmen muss über grüne Politik nachdenken, selbst jetzt während der Invasion. Sie müssen auf Druck von Investoren reagieren. Der Westen ist auch auf Konzerne wie Rusal, die Aluminium produzieren, weiter angewiesen. Das wird noch kompliziert. Russische Unternehmen werden weiter ESG-Botschaften auf ihren Homepages posten. Das ganze Thema wird nicht weggehen, wenn es auch erst einmal zweitrangig wird.

Sie beschreiben die Nuklearindustrie als wichtigen Trumpf für Russland, sich in einer klimaneutralen Weltwirtschaft zu behaupten. Hat sich daran durch die Invasion etwas geändert?

Russlands Nuklearindustrie hat schwimmende Atomkraftwerke entwickelt. Davon ist derzeit eines in Betrieb. Zum größten Teil konzentriert sich die Industrie auf große Druckwasserreaktoren. Gut möglich, dass es dafür weiterhin einen Markt gibt. Möglicherweise nicht mehr in den postsowjetischen Staaten, aber in Schwellen- und Entwicklungsländern.

Kasachstan und Usbekistan, die Atomkraftwerke bauen wollen, werden also eher nicht mit Rosatom ins Geschäft kommen?

Interessante Frage. Die zentralasiatischen Staaten versuchen größtenteils sich wegzuducken. Die Lage, die sich durch den Krieg für sie ergibt, ist sehr heikel. Welche Wirkung der Krieg auf die Energiepolitik der Länder haben wird, weiß ich nicht.

Russlands Regierung fördert den Export von Atomkraftwerken sehr stark mit Krediten und direkten Investitionen. Das ist ein sehr kapitalintensives Business. Seit dem Krieg ist Russland stark vom internationalen Kapitalverkehr abgeschnitten. Ausländische Währungsreserven sind eingefroren. Hat das Land da überhaupt noch Geld, seine Atomindustrie zu fördern?

Richtig. Das wird großen Schaden für die kurzfristigen Perspektiven des Exportgeschäfts von Rosatom bringen. Ein Produkt, das dagegen an Boden gewinnen wird, ist die Landwirtschaft, wie wir gerade auch sehen.

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