Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Special | Russland | Smart Farming

Agrarwirtschaft: Vom Importeur zum Global Player

Russlands Landwirtschaft kann auf einen großen Entwicklungssprung zurückblicken. Die Regierung will den Sektor ausbauen und das Land zum großen Exporteur von Agrarprodukten machen.

Von Gerit Schulze | Moskau

Die Landwirtschaft gehört zu den wachstumsstärksten Wirtschaftszweigen in Russland. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der angestrebten Diversifizierung der Exportstruktur. Ein Erlass von Präsident Putin sieht die Steigerung der Agrarausfuhren von 25 Milliarden US-Dollar (US$) im Jahr 2018 auf 45 Milliarden US$ im Jahr 2024 vor. Die Branche gilt als strategisch wichtig, um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

Embargo für EU-Produkte und schwacher Rubel helfen

Noch vor rund einem Jahrzehnt war Russland bei vielen Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Milch und Fleisch von Importen abhängig. Staatliche Subventionen, das russische Einfuhrverbot für Lebensmittel aus der EU und Nordamerika sowie Investitionen großer Agrarholdings haben die Situation grundlegend geändert. Der schwache Rubel verbessert die Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Agrarprodukte.

Das größte Land der Erde ist sogar zum weltweit führenden Weizenexporteur aufgestiegen und kann sich mit Getreide, Zucker und Pflanzenöl inzwischen weitgehend selbst versorgen. Rindfleisch und Milch müssen aber weiterhin im Ausland hinzugekauft werden.

Die Branche entwickelt sich dynamisch und hat riesiges Potenzial. Während Deutschland ein Drittel seiner Landfläche als Ackerland nutzt (11,7 Millionen Hektar), beträgt der Anteil in Russland nur 7 Prozent (116 Millionen Hektar). Deshalb sollen in den kommenden zehn Jahren weitere 10 Millionen Hektar gewonnen und mehr Brachland kultiviert werden.

Eckdaten zur Landwirtschaft und Infrastruktur in Land

Kennziffer

Wert

Einwohner (in Millionen, 1. Januar 2021)

146,2

Landwirtschaftliche Nutzfläche (in Millionen Hektar, 2019)

197,8

  Ackerfläche

116,2

  Weideland

57,2

  Brachflächen

4,4

Anteil der Landwirtschaft an der Entstehung des BIP (in Prozent, 2020)

4,1

IMD Digital Competitiveness Ranking 2020 (Rang unter 63 untersuchten Ländern) 

43

Quelle: Rosstat; Föderaler Dienst für Staatliche Registrierung, Kataster und Kartographie; Institute for Management Development (IMD)

Ländlicher Raum bleibt eine Problemregion

Moskau subventioniert die Landwirtschaft jährlich mit rund 3 Milliarden Euro. Entwicklungshemmend wirken die geringe Attraktivität der Branche für Arbeitnehmer, die schlechte Infrastruktur im ländlichen Raum und die allgemeine Landflucht. Die Digitalisierung der Branche bietet ein großes Potenzial, um den Einsatz von Arbeitskräften zu verringern und den Agrarsektor zu modernisieren.

Die Dominanz großer Holdings dürfte sich als Vorteil erweisen, um die Branche schneller zu digitalisieren. Bei der Produktion von Schweine- und Geflügelfleisch kontrollieren wenige Agrarkonzerne, die häufig auch riesige Flächen besitzen, bis zu 90 Prozent des Marktes.

Fleischproduzent Miratorg ist laut Fachportal Agra-Europe Eigentümer von 1 Million Hektar Agrarland. Weitere wichtige Landbesitzer sind der Zuckerproduzent Prodimex mit 900.000 Hektar, der Agrokomplex N.I. Tkatschewa, die Holding Step und die Firmengruppe Rusagro.

Auch kleine Agrarbetriebe kaufen digitale Technik

Kleinere Agrarbetriebe produzieren häufig für den regionalen Markt. Sie haben eine starke Position bei Freilandgemüse und Obst, bei Rohmilch und Rindfleisch. Als Abnehmer für smarte Technologien sind Unternehmen mit 5.000 bis 40.000 Hektar ein interessanter Kunde, sagt Bjoerne Drechsler, Vorstand bei Ekotechnika, einem der größten Landtechnik-Händler in Russland. „Diese Betriebe haben oft keine eigene IT-Abteilung und sind auf externe Dienstleister angewiesen, um ihre Prozesse zu optimieren“, so der Marktkenner. „Die mittelgroßen Agrarfirmen wachsen meist organisch, sind schuldenfrei und finanzieren ihre Investitionen aus den gut laufenden Einnahmen.“ Damit seien sie für Smart-Farming-Lösungen eine ideale Zielgruppe.

Ekotechnika vertreibt in Russland vor allem Ausrüstungen von John Deere, aber auch von rund 20 anderen Landtechnik-Herstellern. Bislang entfallen rund 5 Prozent des Jahresumsatzes auf Anwendungen für Smart Farming. „Kommerziell ist das noch kein bedeutender Geschäftszweig, aber die Wachstumsraten sind sehr stark“, erklärt Bjoerne Drechsler.

Auf Pilotfeldern mit einer Fläche von insgesamt 30.000 Hektar sammelt Ekotechnika seit mehreren Jahren Erfahrungen mit digitaler Technik wie Applikationen auf Basis von Satellitenfernerkundung, N-Sensoren für die präzise Stickstoffausbringung, mit Bodenscannern, Systemen für autonomes Fahren und mit landwirtschaftlichen ERP-Lösungen (Enterprise-Resource-Planning).

Das Unternehmen gehört zur EkoNiva-Holding, die mit 630.000 Hektar Ackerfläche und über 40 Milchbetrieben ein wichtiger Akteur in der russischen Landwirtschaft ist.

Autonomes Fahren ist ein wichtiges Einsatzgebiet

Drechsler sieht in Russland zwei Hauptrichtungen, bei denen der Einsatz von Smart Farming sinnvoll ist: bei automatischen Systemen und selbstfahrender Technik sowie in der Agronomie, also der Dokumentation, Planung von Düngung, Aussaat, Pflanzenschutz und Ernte. „Bislang befassen sich aber höchstens 5 Prozent der Agrarunternehmen in Russland mit digitaler Technik“, sagt der Ekotechnika-Vorstand. Die Kunden seien oft junge Quereinsteiger im Agrargeschäft. „Viele Agrarmanager dagegen sind sehr konservativ und mental nicht für den Einsatz solcher Technologien bereit.“ Dabei könnten sie Kostenersparnisse von 30 bis 40 Prozent erzielen.

In Russland lohnt sich der Einsatz vor allem bei Feldern mit Mischböden, etwa in Sibirien oder beim Übergang von den Schwarzerdegebieten zu Sandböden. 

Der Bedarf an digitalen Technologien in Deutschland und Russland ist nicht deckungsgleich, erklärt Alexander Haus, Experte für internationale Märkte und Technologien beim Fachverband Landtechnik im VDMA. „Zwar setzen großflächige Betriebe in beiden Ländern Lösungen für Precision Farming ein, darunter exakte Dosierungssysteme, Teilbreitenabschaltung und Controlled Traffic Farming (CTF). Deutsche Landwirte bedienen sich dabei gern digitaler Hilfen wie Farm Management Systeme, um die Bürokratie in den Griff zu bekommen.“ In Russland seien eher Überwachungssysteme nötig, „zum Beispiel, um in den Tanks die Konzentration von Pflanzenschutzmitteln zu prüfen, die häufig entwendet werden.“

Außerdem setzen russische Landwirte Drohnen nicht nur zum Feld-Monitoring ein, sondern auch, um Pflanzenschutzmittel gezielter auszubringen. „Wegen der großen Ackerflächen gibt es mehr Pilotprojekte für Schwarmsysteme“, erklärt Experte Haus. Dabei fahren mehrere Fahrzeuge parallel nebeneinander, wobei nur eines von einer Person gesteuert wird.

Dieser Inhalt gehört zu

Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.