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Wirtschaftsumfeld | Russland | Sanktionen

Europa schränkt Visavergabe an russische Bürger ein

Die EU erschwert die Ausstellung von Visa für Reisende aus Russland. Die Anrainerstaaten verbieten die Einreise. Russische Mitarbeiter deutscher Firmen können dennoch übersiedeln. 

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Visaerteilung wird aufwändiger und teurer

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg setzt die EU seit 12. September 2022 das Abkommen zur erleichterten Visavergabe mit Russland außer Kraft; es war am 1. Juni 2007 in Kraft getreten. Die Bearbeitungszeit von Anträgen russischer Staatsbürger verdreifacht sich damit auf 45 Tage und die Bearbeitungsgebühr steigt von 35 auf 80 Euro. Sichtvermerke mit langfristiger Gültigkeitsdauer, die zur mehrfachen Einreise berechtigen, sollen nicht mehr ausgestellt werden.

Anträge von Personen ohne triftigen Reisegrund, wie Touristen, sollen nachrangig bearbeitet werden. Konsulate dürfen zudem weitere Unterlagen anfordern, um die Antragsteller noch gründlicher auf mögliche Sicherheitsrisiken prüfen zu können. Falls ein Visainhaber ein Risiko darstellt, dürfen Mitgliedsstaaten des Schengenraums sogar bereits erteilte Sichtvermerke aufheben.

Die EU-Kommission erschwert mit dieser Maßnahme russischen Bürgern den Zugang zu Schengenvisa und verschärft die Einreisebedingungen. Bereits seit Mitte Mai 2022 werden Visaerleichterungen für russische Geschäftsleute, Diplomaten und Mitglieder offizieller Delegationen nicht mehr angewandt. Jedoch sieht der Staatenbund von einem vollständigen Einreiseverbot ab. Dies hatten Finnland, Polen und die baltischen Staaten gefordert.

Anrainerstaaten verhängen eigene Einreiseverbote

Den Russland-Anrainern gehen die auf EU-Ebene beschlossenen Maßnahmen nicht weit genug. Sie verhängen eigene Regelungen und stützen sich auf den nationalen Ermessensspielraum bei Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung.

Ab 19. September 2022 beschränken Polen, Litauen, Lettland und Estland die Einreise für russische Bürger mit von anderen EU-Staaten erteilten Visa. Betroffen sind Reisen zu geschäftlichen, touristischen, sportlichen und kulturellen Zwecken, sowie zur Durchreise in andere Mitgliedsstaaten. Ausnahmen gelten unter anderem für Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen, Familienangehörige von EU-Bürgern, Inhaber von Aufenthaltsgenehmigungen und Mitarbeiter internationaler Speditionen sowie für den Transit nach Kaliningrad.

Schon zuvor ergriffen die Anrainerstaaten Russlands Maßnahmen zur Beschränkung der Vergabe kurzfristiger Visa an Russinnen und Russen sowie zur Annullierung gültiger Schengen-Visa.

Finnland reduziert seit 1. September 2022 die Vergabe von Touristenvisa um 90 Prozent auf rund 100 Anträge pro Tag. Finnische Grenzer annullierten in mehreren Fällen Visa von Russen, die das Land nur zur Weiterreise in ein anderes EU-Land nutzen wollten.

Estland verweigert seit 18. August 2022 russischen Staatsbürgern mit einem von estnischen Behörden ausgestellten Schengen-Visum die Einreise. Das baltische Land annullierte im Jahr 2022 bereits mehr als 50.000 Sichtvermerke.

Lettland setzte Anfang August 2022 die Annahme von Anträgen zur Ausstellung von Visa für russische Staatsbürger auf unbestimmte Zeit aus. Behörden des baltischen Staates sollen auch bereits ausgestellte Visa und Aufenthaltstitel neu bewerten und diese annullieren oder nicht verlängern können, falls eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung besteht.

Auch weitere EU-Mitgliedstaaten schränken die Visavergabe im Alleingang ein. Tschechien, die Slowakei, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Malta stellen die Vergabe von Touristenvisa an russische Bürger ein. Die Schweiz, Österreich und Ungarn erteilen Visa nur noch für die Dauer eines Urlaubsaufenthalts.

Die beschlossenen Maßnahmen dürften dazu führen, dass die Zahl der Neuvisa für Russen erheblich sinken wird. Dabei entspricht die Zahl der potenziellen Antragsteller nur einem kleineren Teil der Gesamtbevölkerung. Nur etwas mehr als jeder Vierte der rund 143 Millionen Russinnen und Russen besitzt überhaupt einen Auslandsreisepass, meldet die russische Migrationsbehörde (FMS).

Rund eine Million Schengen-Visa bei Russen im Umlauf

Aktuell sind rund eine Million an russische Staatsbürger ausgestellte gültige Schengen-Visa im Umlauf. Der Großteil davon berechtigt zur mehrfachen Einreise. Daneben sind Kurzzeit-Visa, meist ausgestellt für Touristen, vergeben worden. Deutsche Konsulate in Russland stellten im 1. Halbjahr 2022 rund 14.000 Kurzzeit-Visa aus, meldet das Auswärtige Amt. Vor der Coronapandemie waren es zehnmal so viele.

Seit dem 24. Februar 2022 reisten rund 1,3 Millionen Russinnen und Russen in die EU ein, so die Grenzschutzagentur Frontex. Meist nutzen sie wegen der gegenseitigen Luftraumsperren den Landweg über Finnland, Polen und die baltischen Staaten. Die Anrainerstaaten Russlands dienen dabei als Tor nach Europa und zugleich als Transitland.

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Überschaubare Folgen für deutsche Unternehmen

Deutsche Firmen, die den Rückzug aus Russland antreten und ihre lokalen Mitarbeiter nach Deutschland mitnehmen wollen, sind von den beschlossenen Maßnahmen nicht direkt betroffen. Nationale Visa zur Arbeitsmigration unterliegen keinen EU-Beschränkungen und dürfen weiter erteilt werden. Einzig bei der Ausreise können übersiedlungswillige Russen nicht mehr kostengünstig per Bus und Bahn nach Riga oder Helsinki fahren und von dort aus weiter reisen. Stattdessen können teure Umwege über Serbien, die Türkei oder Dubai nötig werden.

Russland erlässt vorerst keine Gegenmaßnahmen

Russland will - obwohl bei Sanktionen immer auf Spiegelbildlichkeit pochend - aktuell nicht reziprok reagieren und kein allgemeines Visaverbot für EU-Bürger aussprechen. Geschäftsleuten und Touristen sollen die Türen ins größte Flächenland weiter offen stehen. Die Tourismusbehörde Rostourism kündigte sogar an, für Bürger der EU-Staaten, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben, vereinfachte elektronische Kurzzeitvisa auszustellen. Dennoch raten Sicherheitsbehörden deutschen Staatsbürgern von Reisen nach Russland ab. Der Bundesverfassungsschutz befürchtet, dass Geschäftsreisende vom Geheimdienst FSB zur Zusammenarbeit gedrängt werden könnten.


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